Heidi Cullinan

Winterfunke


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      Der Schlitten war, um es milde auszudrücken, ein einziger Schrotthaufen.

      Die Hälfte war verrottet, alles war verrostet und von dem gepolsterten Sitz war nichts mehr übrig. Theoretisch wusste Arthur, wie man ihn zu reparieren hatte, doch es war viel Arbeit und beinhaltete eine Menge Versuch und Irrtum und reichlich viel Fluchen. So viel Fluchen, dass eines Nachmittags im frühen November, als die Ersatzsperrholzplatte, die sie an ihren Platz zwingen wollten, mal wieder zerbrach, Thomas Hurensohn sagte, bevor Arthur es konnte.

      Arthur zuckte zusammen. »Kumpel, du darfst nicht einfach Hurensohn sagen.«

      Thomas beäugte ihn mit ernstem Blick. »Aber du sagst das die ganze Zeit. Und Fuck und Scheiße und gottverdammt.«

      Scheiße. Arthur rieb eine Hand über seinen Nacken. »Ja, aber das sollte ich nicht tun. Jemand sollte mir den Mund auswaschen, wenn ich so was sage.«

      »Okay.« Thomas kauerte sich hin und runzelte wegen der zerbrochenen Platte die Stirn. »Sie will sich nicht biegen. Das ist unser Problem.«

      »Wohl wahr, Kumpel.« Mit einem Seufzen stieß Arthur das zersprungene Brett an. »Holen wir uns einen heißen Kakao, dann sehen wir nach, ob wir auf YouTube eine Lösung finden können.«

      Thomas' Gesicht hellte sich auf. »Kakao mit Marshmallows?«

      Arthur zerzauste seine Haare. »Und mit Schlagsahne und Streuseln.«

      Nachdem sie sich ihre Getränke zubereitet hatten, eilten sie ins Arbeitszimmer, ehe sich Brianna ihnen anschließen oder Corrina ihnen noch etwas zum Reparieren geben konnte. Er würde seine Nichte später bespaßen, aber erst wollte er ein bisschen gemeinsame Zeit mit dem Jungen verbringen.

      Thomas kletterte auf Arthurs Schoß und schmiegte sich an ihn, während sie darauf warteten, dass der Computer hochfuhr.

      »Ich habe gehört, dass du dich an Halloween als Handwerker verkleidet hast«, sagte Arthur.

      Thomas sah ihm in die Augen. »Irgendwann bin ich ein richtiger Handwerker und arbeite mit dir zusammen. Und ich will drei Babys haben. Kleine Mädchen in Kleidern wie Brianna und April. Vielleicht einen Jungen, aber ich will auf jeden Fall zwei Mädchen haben.«

      Arthur schmolz förmlich. »Das wäre bestimmt schön.«

      Mit seinem Kopf unter Arthurs Kinn machte Thomas es sich gemütlich. »Wenn ich groß bin, will ich mit einem Jungen zusammenwohnen.«

      Das war etwa das dritte Mal, dass Thomas das sagte, und er wusste, dass es bei Becky überhaupt nicht gut ankommen würde. Das Problem war, dass Arthur immer noch nicht wusste, wie er darauf antworten sollte. Er gab sein Bestes, um den Unbeteiligten zu spielen. »Wirklich?«

      »Ja. Mädchen sind eklig. Mit Jungs macht Spielen viel mehr Spaß.«

      Arthur konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ja, das macht es wirklich. Halt dir trotzdem alle Möglichkeiten offen, Kumpel. Wenn du mit zwölf immer noch so denkst, kannst du zu mir kommen und wir reden darüber.«

      Besorgt richtete Thomas sich wieder auf. »Davor kann ich nicht mehr mit dir reden?«

      Sechsjährige, die wortgetreusten Wesen auf der Welt. »Du kannst mit mir reden, wann immer du willst, Thomas. Patenonkel sind immer zur Stelle.«

      Thomas entspannte sich sichtlich. »Okay.« Allerdings biss er sich auf die Lippe und Arthur wusste, dass er noch mehr zu sagen hatte.

      Sanft schnippte er gegen Thomas' Kinn. »Was liegt dir auf dem Herzen, Zwerg? Ich sehe doch, wie es in deinem Köpfchen arbeitet.«

      Thomas wand sich, starrte auf seine Jeans hinunter und zupfte an einem Loch am Knie. »Ich wollte Soupy mit in die Schule nehmen und den anderen zeigen, aber Mom hat Nein gesagt. Und jetzt ist Soupy traurig.«

      Vom Regen in die Traufe. Denn im Grunde genommen war Soupy der Schandfleck der Anderson-Familie. Die Puppe, die Corrina irgendwann einmal für Thomas draußen in Duluth gekauft hatte und die Becky hasste, was bedeutete, dass Soupy das Spielzeug war, das Thomas überall hin mitnehmen wollte.

      Arthur räusperte sich und verkniff sich all die Dinge, die er sagen wollte, für die Dinge, die er sagen sollte. Er konnte keinen verdammten Unterschied darin sehen, ob man nun Vater-Mutter-Kind mit einem Dinosaurier oder mit einer Babypuppe spielte, außer dass die Puppe um einiges näher an der Realität war. Warum musste Thomas den Ernährer von Monstern und Tieren spielen statt von unechten Menschen? Er konnte allerdings nichts sagen, denn das hier war sein Patenkind und Neffe, nicht sein eigenes Kind.

      »Es tut mir leid.« Er strich Thomas übers Haar und der Ausdruck in dessen großen braunen Augen schmerzte ihn sehr. »Vielleicht will Soupy uns stattdessen helfen, den Schlitten zu reparieren.«

      Thomas bedachte Arthur mit einem tadelnden Blick. »Onkel Arthur, Soupy ist ein Baby. Für Werkzeuge ist sie viel zu klein.«

      Entschuldigend hob Arthur eine Hand in die Luft. »Du hast recht. Mein Fehler. Tja, was will Soupy denn dann machen?«

      Das Zögern hätte ihm eine Warnung sein müssen. »Sie will in deinem Pick-up mitfahren. Und im Café Pommes essen.«

      Fuck. Verzweifelt suchte Arthur eine Möglichkeit, die Situation zu meistern. Er hatte kein Problem damit, sich mit Thomas und seiner Babypuppe in der Öffentlichkeit zu bewegen. Becky allerdings würde den totalen Wutanfall bekommen, wenn sie es herausfand. Doch jetzt steckte Arthur in der Klemme, denn wenn er keinen Ausflug mit Thomas und der Puppe unternahm, würde er sich bei diesem Streit auf eine Seite schlagen. Seine Mutter würde ihn unterstützen, aber es fühlte sich falsch an, Beckys Wünsche nicht zu respektieren.

      Er entschied sich für den Mittelweg. »Ich würde dich und Soupy sehr gerne mitnehmen. Aber wenn ich das mache, wird deine Mom ziemlich sauer auf mich sein. Da komme ich nicht drum herum. Aber ich werde es durchstehen, wenn du das willst.« Er zwickte Thomas in die Nase. »Deine Entscheidung, Zwerg.«

      Thomas sackte in sich zusammen. »Soupy mag es nicht, wenn Leute sich anschreien.«

      War es falsch, dass Arthur ein wenig enttäuscht war? »Ich werde mit deiner Mom reden, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt. Vielleicht können wir eine Ausnahme machen. Nur dieses eine Mal.«

      Thomas schüttelte den Kopf. »Lass uns den Schlitten reparieren, Onkel Arthur.«

      Sie sprachen nicht mehr über die Puppe, aber sie arbeiteten jeden Abend, sobald Thomas von der Schule nach Hause kam, an dem Schlitten. Bis zum achten November hatten sie die Karosserie vollständig wiederhergestellt und Arthur führte seine Mutter zum Schuppen, um ihr sein Werk zu zeigen.

      »Wir müssen noch eine letzte Bodenplatte erneuern und ihm eine neue Schicht Farbe verpassen, aber wir sind ziemlich nah dran. Was denkst du?«

      Corrina schlug die Hände an ihre Wangen und strahlte ihn an. »Oh, Arthur, er ist perfekt. Er sieht jetzt besser aus als damals, als ich klein war, und dabei bist du noch nicht einmal fertig. Gabriel wird ihn lieben. Du musst ihn ihm zeigen. Ich werde ihn irgendwann zum Essen einladen und dann kannst du ihn herumführen.«

      Arthur zuckte zusammen und begriff, dass die Kuppelei doch nicht aufgehört hatte. Und mein Gott, von allen potenziellen Dates. Gabriel. Der offen schwule Bibliothekar von Logan. Ein Strichmännchen, eingehüllt in einen Pullover und komplettiert mit einer Brille mit Plastikgestell. Ein netter Junge, wie er im Buche stand, und so weit von Arthurs Typ entfernt, dass er ein Navi brauchen würde, um wieder nach Hause ins Bärenland zu finden.

      Corrina warf die Arme um seine Schultern und drückte ihn fest. »Vielen Dank. Du wirst der perfekte Weihnachtsmann zu Gabriels Elf sein.«

      Blanker Horror stoppte jegliche Aktivität in Arthurs Gehirn. Als er wieder in der Lage war zu sprechen, stotterte er größtenteils. Das war zehn Mal schlimmer als Kuppelei. »Mom – was – willst du mich verdammt noch mal verarschen –«

      Mit ernstem Gesichtsausdruck tauchte Thomas hinter dem Schlitten auf. »Oma Cory, du musst Onkel Arthurs Mund mit Seife auswaschen.«

      Corrina