Heidi Cullinan

Winterfunke


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diesen Umweg nicht einschlagen, sondern die Bibliothek einfach direkt retten.

      ***

      Marcus Gardner besaß eine Kanzlei an der Main Street, direkt neben dem Friseursalon seines Partners. Arthur hatte gelernt, es Salon und nicht Kosmetikladen zu nennen, genauso wie er Frankie als Stylist und nicht als Friseur bezeichnete. Frankie selbst sagte, dass es ihm egal war, wie die Leute ihn nannten.

      Marcus hatte recht deutlich klargemacht, dass es ihm ganz und gar nicht egal war.

      Seit der zweiten Klasse war Marcus Arthurs bester Freund, als Arthur wegen einer Prügelei getadelt worden war und Marcus ihm zum Trost einen Twinkie gegeben hatte. Das Arschloch, das Arthur verprügelt hatte, hatte fette Kinder gerne fett genannt und damals war Marcus eins dieser Kinder gewesen. Die Wahrheit war, dass Arthur den Kerl schlicht und ergreifend gehasst hatte und ihn wohl auch ohne Grund aufgerieben hätte. Aber der Twinkie war eine nette Geste und irgendwie waren sie von da an beste Freunde gewesen. Arthur hatte Marcus beigebracht, sich zu verteidigen, und Marcus hatte Arthur gezeigt, wie man die zweite Klasse meisterte. Und die dritte. Und die Junior High und die Highschool.

      Als die Highschool in Logan mit der in Pine Valley zusammengelegt wurde, trafen Marcus und Arthur auf Paul, der begann, Arthurs Bett während Übernachtungspartys zu wärmen. Das Leben war verdammt schön gewesen.

      Eine Weile lang hatten sie alle drei zusammen bei dem Holzunternehmen gearbeitet, aber in Wahrheit war Marcus als Anwalt in einer Kleinstadt viel glücklicher, als er es als Anwalt in der Großstadt oder als Holzfäller in den Wäldern gewesen war. Obwohl er wahrscheinlich größtenteils glücklich war, weil er Frankie hatte.

      Zunächst steckte Arthur den Kopf durch die Tür des Salons. Als Frankie ihn bemerkte, strahlte er ihn über Nancy Schneiders Kopf hinweg an, der voll von diesen seltsamen Alufolienstücken war. »Hi, Arthur. Hab ich dir nicht erst letzte Woche die Haare geschnitten?«

      »Ich wollte mit deinem Mann sprechen. Ist er da?«

      Es war süß, wie Frankie errötete und aus der Fassung geriet, wenn Arthur so tat, als wären er und Marcus bereits verheiratet. Warum sie es nicht waren, obwohl die gleichgeschlechtliche Ehe mittlerweile per Gesetz gültig war, blieb den Mutmaßungen aller überlassen. »Er ist bei einer Versammlung im Rathaus. Warum kommst du nicht heute Abend zum Essen vorbei? Ich habe einen Rosmarineintopf mit weißen Bohnen im Schmortopf vorbereitet.«

      »Klar.« Arthur blendete den Teil mit den weißen Bohnen und dem Rosmarin aus und konzentrierte sich auf den Eintopf. In einem Eintopf musste Fleisch drin sein, oder? »Ich denke, es kann so lange warten. Ich hatte da nur so eine fixe Idee, über die er mal nachdenken sollte, während sie mir noch im Kopf herumschwirrt.« Er kratzte sich am Bart, während er Frankie in Betracht zog. »Du könntest mir vielleicht auch weiterhelfen. Weißt du irgendwas über diese Zuschuss-Sachen? Wo man einen Antrag stellen muss, um Geld von… keine Ahnung wem zu bekommen? Den Zuschuss-Leuten?«

      »Meine Mutter hat einige Anträge für Regierungsfördergelder für das College gestellt, aber sie sagt, dass die der privaten Stiftungen mit viel weniger Ärger verbunden und meist schneller mit der Auszahlung sind. Nicht so viel bürokratischer Papierkrieg.«

      Eine private Stiftung also. »Wie findet man denn so eine? Wen muss man da fragen?«

      Frankie sah aus, als würde er gleich anfangen zu lachen. »Was um alles in der Welt hast du vor, Arthur?«

      Als Arthur einen Blick auf den Stuhl warf, war Nancy natürlich ganz Ohr. Genauso gut hätte er eine Anzeige in der Logan Gazette schalten können. »Ist 'ne lange Geschichte. Ich erzähl's dir später. Wann soll ich zum Essen da sein?«

      »Keine Ahnung. Wie wär's, wenn ich dir eine SMS schreibe? Ich weiß die Hälfte der Zeit nie, wie lange Marcus arbeiten muss.«

      »SMS klingt gut«, sagte Arthur.

      Er ging zum Haus seiner Eltern und arbeitete weiter am Schlitten. Währenddessen dachte er über die Bibliothek und ihren Bibliothekar nach.

      Er kam noch immer nicht darüber hinweg, wie anders Gabriel sich benahm, wenn er mit Kindern zu tun hatte. Der Kerl sollte in die Stadt ziehen, sich einen Schwulen in irgendeiner Führungsposition suchen und einen Haufen Babys aus Ruanda adoptieren – oder aus welchem Land die Leute heutzutage eben Kinder adoptierten. Das würde aber bedeuten, dass die Kinder aus Logan keine Vorlesestunde mehr haben konnten, deswegen würde der schwule Führungsmensch wohl hierher ziehen müssen.

      Gott, er war schon etwas Besonderes, dieser Gabriel. Immer noch nicht Arthurs Typ, aber süß, wenn er lächelte. Irgendwie hatte es Arthur gerührt, als er so lieb zu den Kindern gewesen war. Endlich verstand er, warum seine Mutter ihn mit ihm verkuppeln wollte.

      Nicht, dass das je passieren würde. Aber der Kerl war nicht so schlimm, wie Arthur gedacht hatte.

      Vielleicht sollte er Gabe Frankie vorstellen, als Freunde. Sie schienen der gleiche Typ Mann zu sein, abgesehen davon, dass Gabe eher der Nerd war, wo Frankie ziemlich klar eine Vollzeitfee war. Wahrscheinlich wäre Gabe ganz begeistert von weißen Bohnen und Rosmarin. Soweit Arthur das beurteilen konnte, ging er nie aus und niemand schien ihn wirklich zu kennen, sogar nach den achtzehn Monaten, die er schon in der Stadt war. Bis jetzt hatte Arthur nicht viel darüber nachgedacht, aber es war eine Schande, dass sich außer seiner verrückten Mutter niemand die Mühe gemacht hatte, sich mit ihm anzufreunden. Es lag verdammt noch mal besser nicht an der Tatsache, dass er schwul war.

      Fuck, womöglich lag es wirklich an den Haaren.

      Auf dem Weg nach Hause schaute Arthur bei der Bibliothek vorbei und dann, einer Laune folgend, fuhr er die Straße bis zu dem Haus hinunter, das seines Wissens nach Gabriel gemietet hatte. Vom Bordstein aus wirkte es ziemlich traurig: abbröckelnde, graue Farbe, ein geschwungenes, graues Dach und drei Fenster an der Vorderseite mit… grauen Vorhängen. Der grüne Nissan, den Gabe fuhr, parkte in der Auffahrt – offenbar gab es keine Garage, was bedeutete, dass der Schnee, der für heute Nacht angekündigt war, sich darauf anhäufen würde.

      Was würde Gabriel heute zu Abend essen?

      Arthur lenkte seinen Pick-up an den Straßenrand und fischte sein Handy hervor. Frankie nahm beim dritten Klingeln ab. »Hi, Arthur. Ich wollte dir gerade schreiben. Ist sieben in Ordnung?«

      Es war etwas spät fürs Abendessen, aber Frankie war durch und durch Städter und dachte auch, dass neun in Ordnung war. »Klar. Hey – wäre es okay, wenn ich jemanden mitbringe?«

      Auf der anderen Seite der Leitung entstand eine lange Pause. »Du meinst… jemanden, der nicht Paul ist?«

      »Nein, der nuckelt noch an seinem Daumen, weil er Gefühle oder so einen Scheiß hat. Ich wollte den Bibliothekar mitbringen.«

      »Gabriel? Natürlich kannst du ihn mitbringen. Ich hab schon mehrmals versucht ihn einzuladen, aber er hatte jedes Mal etwas vor. Wie um alles in der Welt hast du ihn dazu gebracht?«

      Er legte eine leichte Betonung auf das du, was Arthur nur noch entschlossener machte. »Ich kann ziemlich überzeugend sein. Ich werde um sieben mit Gabe da sein.«

      Nachdem er aufgelegt hatte, wendete er den Pick-up und nahm Kurs auf das traurige kleine Haus. Er war schon ganz aufgeregt wegen der Diskussion, die er hundertprozentig gleich führen würde.

      Als die Türklingel schrillte, ignorierte Gabriel sie und runzelte über den Stapel eingefrorener Mahlzeiten in seinem Tiefkühlfach weiterhin die Stirn. Er versuchte zu entscheiden, ob er faul sein und eine davon essen sollte oder ob er die Packung Hähnchenbrust hervorholen und die Weinsoße kochen sollte, die er irgendwann mal ausprobieren wollte. Das zweite Klingeln an der Tür war lauter und aufdringlicher und Gabriel starrte finster in Richtung der Eingangstür. Er hoffte, dass es nicht wieder eine Verkaufstruppe der Pfadfinder war. Das waren immer unangenehme Momente, weil er diese Organisation einfach nicht unterstützen konnte, solange sie keine schwulen Mitglieder und auch Leiter zuließen, aber genauso wenig konnte er seinen Bibliotheksbesuchern eine Bitte abschlagen.

      Vielleicht waren es auch wieder diese Kirchenmissionare, was eine noch unangenehmere Aussicht