Frank Witzel

Revolution und Heimarbeit


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verzog keine Miene und setzte noch einen drauf. Trotzdem ein sehr schönes Auto. Kunstpause. Ganz wie auf der Bühne. Und dann: Wenn es auch nicht ganz in die Sammlung paßt.

      Damit hatte er Trickett am Haken. Und Trickett merkte noch nicht mal, wie sich die Spitze durch seinen vorgereckten Hals bohrte, sondern zappelte fröhlich daran herum, überglücklich, endlich jemanden gefunden zu haben, der in der Lage war, den Clou seiner Sammlung zu begreifen.

      Mein lieber Ben, hob er feierlich an, du kannst schon davon ausgehen, daß bei mir alles zusammenpaßt. Den Wagen, den du da siehst, den hat Palmer nämlich höchstpersönlich restauriert.

      Tusch und Applaus.

      Mit sowas kann ich natürlich nicht aufwarten, obwohl mir Ben, der von seinem Erfolg richtig angespornt wurde und sich immer weiter in die Materie reingearbeitet hat, einige Tips hat zukommen lassen, die es mir vielleicht etwas einfacher machen würden. Aber das ist nicht meine Art. Ich kann nicht, so wie er, ganz nebenbei was vom Oxford Hoist oder dem Oxford Vaporizer fallen lassen, auch wenn das noch so effektvoll wäre. Irgendwie sind das zwei Sachen von diesem Palmer, die er im zweiten Weltkrieg gebaut hat. Mit dem ersten Ding kann man, glaube ich, Leute ohne Beine hochhieven und mit dem zweiten die dann gleich betäuben, falls man ihnen noch auf dem Schlachtfeld etwas rausschneiden muß. Alles durchaus interessant, aber erstens kann ich mir Namen schlecht merken und dann kommt das einfach komisch rüber bei mir. So blöd ist selbst Trickett nicht. Der würde sofort denken, daß ich ihn auf den Arm nehmen will.

      Wenn ich mit ihm über Waffen reden könnte … Aber Waffen, das hab ich auch von Ben, interessieren wiederum Trickett nicht. Was ich, ehrlich gesagt, ein bißchen seltsam finde. Über meine Browning 9 mm oder den Heckler-und-Koch-Karabiner, den übrigens auch die englische Polizei benutzt, könnte ich schon einiges sagen. Und das wäre doch ein Verbindungspunkt. Schließlich soll Tricketts Alter bei denen da drüben sogar gelernt haben. Und wahrscheinlich kommt mein Karabiner sogar genau aus dieser Quelle. Aber wenn Trickett damit nichts am Hut hat, dann halte ich lieber meinen Mund, schaue nach draußen und lasse ihn reden.

      Es war schon erstaunlich, wie die Leute uns nachgafften. Trickett schien sich ziemlich sicher zu sein, daß niemand ihn mit mir, und vor allem mit dem Ding, was noch anstand, in Verbindung bringen würde. Oder er hatte mehr Vertrauen in mich als ich selbst und dachte, daß ich meinen Auftrag erledigen würde, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen.

      Gibt es Radio? fragte ich.

      Trickett lächelte und drückte auf einen neben dem Handschuhfach versenkten Knopf. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, irgendein Lied von Bowie zu hören. Das wäre zwar ein enormer Zufall, aber manchmal gibt es so Zufälle ja. Stattdessen kamen nur Nachrichten und Schnulzen. Für einen Moment sah ich das als schlechtes Zeichen an, obwohl es schon ein enormer Zufall gewesen wäre, genau in dem Moment und genau auf dem eingestellten Sender irgendwas von Bowie zu hören. Nachdem ich mir das so ausgerechnet hatte, wurde ich auch gleich wieder ruhig. Das mit dem schlechten Zeichen, mit dem Schicksal und diesem ganzen Kram, ist sowieso nicht meine Sache. Tanny steht auf so etwas. Da heißt es ständig, was das wohl bedeuten mag und jenes. Und daher hatte ich das wohl auch in diesem Moment.

      Trickett trug Lederhandschuhe und eine dunkle Sonnenbrille, sonst war er eher normal gekleidet. Jackett, sogar Turnschuhe. Ben schätzt ihn auf Anfang fünfzig, aber Ben ist, was das angeht, ein richtiges Kind. Trickett war noch nicht mal vierzig, würde ich sagen. Tannys Mutter war ja noch nicht einmal fünfzig. Und doch hatte es sie schon erwischt. Und gerade weil sie eben noch vergleichsweise jung ist, kamen die Ärzte auch nicht sofort auf den Grund für ihre Beschwerden. Außerdem hat sie nicht nur Alzheimer, sondern zusätzlich noch etwas anderes, das selbst die Ärzte erst seit ein paar Jahren kennen und das Dementia irgendwas heißt. Außerdem erklär mal einem Arzt, was mit dir los ist, wenn du kaum ein Wort von seiner Sprache verstehst und er garantiert kein einziges Wort von deiner Sprache. Jetzt ist es außerdem so, daß man bei dieser irgendwas Dementia ohnehin alle möglichen Wörter vergißt. Für mich war es ganz normal, daß Tannys Mutter viele Worte nicht kannte. Nur Tanny fiel es schließlich auf, als sie sich mit ihr auf Khmer unterhielt, obwohl umgekehrt Tanny da ganz schöne Lücken hat, weshalb es auch eine Zeitlang brauchte, bis ihr dämmerte, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Also hat Tanny ihre Mutter zum Arzt geschleppt, und der hat sie gleich ins Krankenhaus geschickt, wo sie ihr das Hirn durchleuchtet haben. Bei dem Ergebnis waren dann selbst die Ärzte ziemlich überrascht und auch entsprechend konfus. Beide Krankheiten zusammen, sowas hatten sie noch nie gesehen. Und dann mit noch nicht einmal fünfzig.

      Tanny hat drei Tage lang nur geheult. Sie kam einfach nicht darüber hinweg, daß ihre Mutter mit Not den Schweinen da unten entkommt, um dann hier krank zu werden. Ich wußte darauf auch nichts zu sagen. Ich fand es auch eine Sauerei und wahnsinnig ungerecht. Aber auf der anderen Seite ist eben ganz schön viel ungerecht. Zum Beispiel die Leute, zu denen ich unterwegs bin. Die haben zwei kranke Kinder. Da hilft ihnen ihr Geld auch nichts. Und die sind wirklich steinreich und so berühmt, daß jeder sie kennt, wenn ich nur den Namen sagen würde, was ich natürlich nicht mache. Obwohl, manche kämen einfach nicht drauf, selbst wenn ich den Namen verraten würde, daß die tatsächlich was mit dem Schokoriegel zu tun haben, den jeden Tag Millionen in sich hineinstopfen, weil, ich wußte auch nicht, daß die Leute genau so heißen wie das, was sie herstellen. Aber egal. Die Kinder haben eine seltsame Krankheit und das eben ist Tricketts Plan. Da gibt es kein langes Gefackel, da geht es um wenige Stunden. Da können sich die Eltern nicht großartig was überlegen. Und wenn man schnell ist und die Forderungen auch nicht überzieht, dann kann das schon klappen. Und dann kaufen wir ganze Wagenladungen mit Aricept und Exelon, und Schlaf- und Beruhigungsmittel. Aufhalten können wir das ganze ohnehin nicht mehr. Aber Tannys Mutter soll wenigstens noch ein paar schöne Jahre haben.

      Ben behauptet, Trickett sei selbst noch in einem Verein gewesen, wo sie einem bei der Aufnahme ein Stück vom Finger abgeschnitten haben. Nicht weil sie damit irgendeinen Hokuspokus anstellen wollten oder glaubten, daß sie auf ewig die Macht über dich haben wie in den Horrorstreifen, sondern aus einem ganz einfachen, aber sehr praktischen Grund. Wenn du nämlich aussteigen wolltest, oder wenn du dich sonst irgendwie daneben benommen hast, dann bekamen die Bullen einfach deinen Finger zugeschickt. Die hatten dann einen astreinen Fingerabdruck und konnten dir alles mögliche anhängen. Die konnten dir sogar Sachen anhängen, mit denen du gar nichts zu tun hattest. Sie haben deinen Finger genommen, und wenn sie irgendwo nicht weiter kamen, dann haben sie mit deinem Finger einfach ein paar Abdrücke am Tatort hinterlassen. Und mittlerweile geht es ja schon lang nicht mehr nur um Fingerabdrücke. Mit der DNA, die man aus so einem Finger ziehen kann, können sie dir sämtliche ungeklärte Morde aus dem Umkreis von Washington unterschieben. Ben hat sich das auch so ähnlich vorgestellt und irgendwann mal Trickett davon erzählt. Aber der hat sich angeblich halb tot gelacht darüber.

      Ein bißchen muß man sich dann doch auskennen. Diese hirnlosen Kleinkriminellen mit ihren Einmachgläsern, was die aus den Zeitungen so aufschnappen. DNA. Zufällig weiß ich haargenau, daß die ihre Finger in Formalin einmachen. Da geht die DNA sofort kaputt. Alkohol müssen sie nehmen. Aber davon haben die doch keine Ahnung. Und so sehen dann auch die Geschäfte aus, die sie betreiben.

      Trickett hat sich einen eigenen Namen gemacht, indem er weitgehend aus dem Drogen- und Waffengeschäft ausgestiegen ist. Er hat sich auf speziellere Sachen verlegt. Soviel ich weiß, illegale Pferderennen, Beschaffung von Tieren, die am Aussterben sind, und sowas in der Art. Als sie vor ein paar Wochen unser Wappentier von der Liste der bedrohten Tiere genommen haben, da war das ein ganz schöner Einbruch für Trickett. Plötzlich tauchen über Nacht an allen Ecken und Enden Seeadler auf und bringen die Preise zum Purzeln. Aber Trickett hat so viel am Laufen, daß das schon nicht sein Ruin sein wird. Ansonsten muß er eben eine von seinen Karossen verkaufen. Und an mir verdient er ja auch ne Kleinigkeit. Außerdem hat er noch das, was er Ben gegenüber mal seinen Reliquien- und Devotionalienhandel genannt hat. Meistens geht es dabei um Knochen oder sogar Schädel von Toten. Amelia Earhart zum Beispiel, die in den dreißiger Jahren während ihrer Weltumrundung irgendwo im Bermudadreieck abgestürzt und verschollen ist. Für fast eine Million hat er zwölf Knochen, einen Schädel, einen Damenschuh und einen Sextanten, alles zusammen in einem Earhart-Set verkauft. Keine Ahnung, wo er den ganzen Kram aufgetrieben hat. Aber das ist seine Sache. Für sowas hat Trickett