Christof Wackernagel

Traumprotokolle


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schon unterwegs, wir müssen einen überschwemmten Fluss überqueren, eine Brücke steht unter Wasser und ein Auto fährt drüber, Pohrt ist schon auf der anderen Seite, Renate geht mit dem Koffer vor, ich nehme einen Anlauf und hole den Koffer ab; drüben sind wir bald im Trockenen in einer Tordurchfahrt, Pohrt fragt, ob ich nicht wegen der Amnestie noch was machen könnte, Aufruf etc., ich sei widersprüchlich und ich überlege es dann nochmal ernsthaft –

      – ein in mehreren Schriften in verschiedenen Farben geschriebenes Blatt, lange Diskussion darüber, schließlich die Bestätigung, dass ich auch wirklich leben kann, nicht nur darüber schreiben –

      – stehe am Fenster und sehe hinter dem Haus gegenüber die Sonne untergehen; wenn ich mich etwas höher recke, sehe ich wieder etwas mehr, das aber sofort verschwindet, so schnell sinkt sie, da landet ein riesiger Vogel auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses, ein Kranich oder überdimensionaler Adler, der so groß ist, dass auf seinem Kopf und auf seinem Rücken noch je ein Schwan Platz haben; er ruht sich etwas aus und schlägt mit den Flügeln, mir wird ganz ehrfürchtig zumute, er strahlt etwas Weites, Beruhigendes, majestätisch Hoffnungsvolles aus, wie er da im Gegenlicht der untergehenden Sonne auf dem Dach steht – und dann hebt er auch schon wieder ab und schwebt in einem großen Halbkreis vor mir herum und rechts hinten aus meinem Blickfeld; die anderen Gefangenen am Fenster verstummen, sobald sie ihn sehen, vor Bewunderung, ich warte bedauernd, ob er nochmal kommt, aber er bleibt für immer weg –

      – Verfolgungssituation am Flughafen, ich sitze am Tisch und sehe schräg nach unten und oben, wo zwischen Plexiglasrolltreppen gerannt wird, unklar, wo, wer und inwieweit ich beteiligt bin; Kinder laufen dazwischen rum; eine Verfolgungsjagd oder Flucht folgt, bei der wir im Wald bei einem Depot landen, ein Kurier gräbt etwas aus, es geht um Experimente, deren zweiter Teil jetzt stattfindet: ein Sack mit Erdbeeren ist da, die wir essen können, ich frage mich, ob wir das dann wieder ausscheißen, worum es geht –

      – bringe Kleider zum Reinigen, ein blaues Hemd kostet sechs Mark, ich frage mich, ob ich das nicht vergesse, und kehre zum Hotel zurück, zuvor noch ein Blick auf die Reinigungsladenverkäuferinnen, lauter Schwestern von denen ich denke, dass ich mit allen auf einmal zusammen sein könnte; der eine Aufzug geht nicht, der zweite entpuppt sich als Lastenaufzug und hält nicht im dritten Stock, sondern erst ganz oben am Wolkenkratzer, ich höre Stimmen von Arbeitern und war schon mal mit Onkel Karl da, als nicht gebaut wurde, aber jetzt hängt er, wie befürchtet, schräg über dem Dach und mir wird äußerst schwindlig –

      – räume mit einer Frau, die in einer Gruppe lebt, in der ich zwar auch bin, aber nicht so fest, oder nur zu Besuch, Betten und Bücher ab, mache dauernd Vorschläge, was zu tun ist, sie ist distanziert, macht aber alles mit – später sitzt sie mit anderen um ein blaugraubraunes Brett und schält mit Spachteln Schichten davon herunter, wobei sie von mir erzählt, meinem Ordnungs- und Harmoniebedürfnis; sie merkt nicht, dass ich reingekommen bin und zuhöre, und als sie es merkt, tut sie so, als sei es ihr egal, weil sie gar nichts zu verbergen habe; wir gehen ins Bücherlager, wo eine kleine Garküche plötzlich zu brennen anfängt; erst stinkt es komisch, dann sehe ich Rauch rausquellen, dann die erste Flamme, und springe auf, um einen Feuerlöscher zu holen; erst ein paar Räume weiter finde ich einen mit Löschschaum, aber die Flamme geht nicht aus, einer pustet noch wie verrückt zusätzlich und bis wir Aufpasser holen, eventuell Feuerwehrleute, wächterartig, wie Lutterbeck, und die sagen, dass wir doch die Flamme hätten abdrehen können, ich gebe darauf beim Frisör eine Bestellung von drei oder vier Büchern auf, kriege kurz darauf aber eine Rechnung über hunderte von Mark, aber der Inspizient, der sie mir überreicht, sagt, das sei Betrug oder ein Versehen und das müsse ich nicht bezahlen; wir stehen in einem düsteren Verbindungsgang, der aber auch noch voller Bücherpaletten ist, und wir müssen auch noch einen Text ändern, aus dem klar wird, dass das, was ich sage und wie ich bin, ganz selbstverständlich ist –

      – am Effner-Platz, erst warte ich auf Heiner, der dann kommt, aber weiter muss, dann kommt Ebby, wir wollen zu Fuß in die Lützenkirchen-Straße zurück, vor allem zu dem Tante-Emma-Laden am Anfang der Effnerstraße; ich will etwas beschreiben, mündlich und schriftlich – wieder am Effner-Platz rauchen wir eine Pfeife, es sind noch mehr dabei, nur noch ein Rest Shit da, eilig gezogen und gelauert, dass keiner zu lang zieht, dann fahren sie den Mittleren Ring Richtung Stadtmitte runter, wo unten etwas Großes sich ereignet, dramatisch, traurig, eine Frau mit dabei, sie hat Schrifttafeln • einer muss zur Kur, schreibt Brief deswegen, darin Verweis, dass Beethoven langweilig sei –

      – eine Frau hängt unten an einem Hubschrauber an einem Seil und fliegt über die aufgewühlte, stürmische See, etwas wird gesucht, eine Verfolgungssituation oder eine Flucht –, bis in der Brandung eine Mischung aus Wolfgang Kieling und Alexander May steht, er deklamiert pathetisch eine Klage, Wellen schwappen über ihm zusammen, neben ihm versinkt einer im Schlick und eine kommentiert, dass der Sand unter der Brandung runterzieht, unausweichlich, und da sieht man auch schon niemanden mehr, nur noch aufgewühltes, dreckiges Meer; dann geht eine Liste herum, Namen von Leuten, bei manchen stehen in Klammern Erläuterungen, auch bei mir steht an sich nur unverfängliches Zeug drin und es ist unklar, wer was mit der Liste anfangen kann und soll; in einer Nische steht die Frau und verhandelt mit einem Mann über ihre Flucht, ihr Kind an der Hand, es will nicht mit, es sei zu kalt dort, wo sie hinwollten, aber es muss, es ist dringend • nachts wird die Bevölkerung von einer Gruppe Menschen observiert, wie im besetzten Frankreich in einem Dorf sieht es aus, Licht vor einem Bistro, wo eine Frau sitzt, die Listen kontrolliert und auf den Bus wartet –

      – bin zu Besuch bei einer Großgruppe und spreche mit einigen, die in irgendeiner Art eine besondere Stellung haben, nicht, dass sie führend wären, eher dass sie gesucht werden; eine Blonde sitzt halb liegend in einem bequemen Sessel, fast Sofa, und erzählt von der Gruppe und was sie machen, ausgerechnet hier soll kein Gruppenschwulst sein, frage ich mich und berichte es einer Frau auf der Treppe, die mich fragt, wie es war; in dem anderen Raum sind Kinder, die malen, schöne, gekonnte Bilder, Comicserien und einzelne, sie werden von den Erwachsenen dabei unterstützt, aber es sind trotzdem eigene Sachen, auch von Debilen, und trotzdem bewundernswert professionell, jemand bringt Andrucke von Texten über die Gruppe, die ich aber nicht lesen kann, Beschreibungen, dass sie nicht wie andere Gruppen sind; ich komme auf den Bahnhof, sehe ihn von schräg oben, mehrere Gleise, muss umsteigen und überlege, ob ich an einem Kiosk was kaufen soll – der Kiosk gegenüber ist geschlossen – und bei dem, den ich sehe, hängen an der Seite Zeitschriften mit handgemalten Titeln, darunter eine von Karajan über Karajan, die ich überlege zu kaufen –

      – mache ein Spiel mit Kindern, bei dem sie über eine Bank an der Wand gehen und dann in den Nebenraum; einiges davon tragen wir in einen großen Block ein, es ist etwas, das getan werden könnte, so wie wir das machen, was andere tun würden – ein Kind nimmt ernst, dass ich geschrieben habe, dass wir irgendetwas durchstehen – ich nehme es mit in den anderen Raum und rede ihm ins Gewissen, dass es doch nicht ernst gemeint gewesen sei – als ob ich mich entschuldigte; in den Block tragen wir die Passagierlisten für den Jumboflug in die Revolution ein; sobald wir fliegen, alles voller Nebel, meldet sich eine Stewardess und beruhigt die Leute, dass wir weit genug von der Grenze der Sowjetunion vorbeifliegen, aber auch höher fliegen könnten – stattdessen fliegen wir tief runter, bis fast auf den Boden, wo wir Blätter aufwirbeln und Leute winken, und wir dann unter Elektroleitungen durch wieder steil hoch fliegen und wieder runter und einmal sogar ganz lange unter Elektroleitungen durch –

      – bin im Maxgymnasium, und Heiner und Claudija gehen mit einem Zettel zur Post, um eventuell die Schreibmaschine abzuholen – wenn das Geld kommt, ist sie genehmigt – kurz darauf habe ich zum ersten Mal Geld in der Hand und stehe vor dem offenen Klassenzimmer und freue mich, schaue mir die Bänke an und stelle mir vor, wie die Maschine auf eine der Bänke passt, alle Leute wissen es schon, die auf dem Gang entlang kommen, zum Beispiel das junge Schwein ohne Bart, das sagt, dass jetzt ein »elektronischer Schießplatz« aufgebaut werden soll, dass ich auch die ganzen Frachtgebühren zahlen soll, und macht mich auf Leuchttafeln aus Milchglas unter der Decke des Gangs aufmerksam, auf denen alles steht, je nach Entfernung und Gewicht, was mich etwas wundert, weil das sonst doch niemand braucht, woraufhin mich ein pickelvernarbter junger Mann anspricht, ob es für »Jungs« wie mich – wo ich erst denke, er will was von mir – also »Serientäter«, die gefährdet seien,