Jonas Berglund

Das Geheimnis des Scorpio Scripts


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Leonore und Anna waren nicht rein zufällig von ihr ausgewählt worden. Sie hatten ebenfalls mediale Fähigkeiten in die Wiege gelegt bekommen. Das war zu jener Zeit äußerst selten. Aber es war vor allem ihre reine Herzensenergie, die sicherstellte, dass sie mit so viel Macht umgehen konnten und nicht prahlten. Absolute Geheimhaltung war unerlässlich. Das Schicksal hatte beide Frauen schon im jungen Mädchenalter als Waisen zu Agathe geführt. So konnten sie sicher aufwachsen und ihre Talente entwickeln.

      Feierlich eröffnete ihre Mentorin ihnen, dass ein besonderer Knabe geboren worden war. Die beiden lächelten erfreut. »Anna, bitte erspüre Gustavs Sohn und beschreibe, was du empfindest.«

      Die junge Frau schloss die Augen und ein sanftes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Seine Seele ist so zart und sein Herz so empfindsam. Aus ihm wird gewiss ein sehr gefühlvoller Mann werden.«

      Agathe nickte zufrieden. »Kannst du es auch fühlen?«, fragte sie Leonore. Diese schloss nun ebenfalls die Augen und nickte.

      »Meine Lieben, und jetzt fühlt die Sterne. Spürt ihre Energie. Könnt ihr es wahrnehmen?«

      Leonore antwortete: »Es ist seltsam. So etwas habe ich zuvor noch nie wahrgenommen. Ich spüre das Sternbild Skorpion. Es wird harmonisch sowohl von der männlichen Mars-Energie als auch von der weiblichen Venus-Energie aufgeladen. Es fühlt sich so an, als würden beide Energien miteinander verschmelzen wollen. Aber dazwischen gibt es so eine Art Hindernis. Ich verstehe das nicht.«

      Agathe nickte zustimmend und erklärte: »Es ist schon gut. Alles, was du wahrgenommen hast, ist richtig. Manchmal werden Menschen mit einer ganz besonderen Aufgabe geboren. Das Hindernis, das du gesehen hast, ist der Einfluss von Chiron.«

      »Chiron, der Zentaur?«

      »Ja, das Mischwesen aus Mensch und Pferd aus der griechischen Mythologie. Genauer gesagt geht es um seine Wunde, die nicht heilt.«

      Leonore entgegnete: »Verstehe. Der Skorpion hat eine komplexe Gefühlswelt und ist sehr tiefgründig. Er wird sich eher im Hintergrund halten und den Geheimnissen des Lebens auf den Grund gehen wollen. Die Chiron-Energie steht zwischen Venus und Mars. Es wird also um den Ausgleich der weiblichen und männlichen Aspekte gehen?«

      Agathe lächelte zustimmend und ergänzte: »Männer im Zeichen des Skorpions sind sehr leidenschaftlich und kennen die Geheimnisse der Sexualität. Doch sie prahlen nicht damit, sondern genießen in der Stille.«

      »Dann hat er also eine Bestimmung? Er soll einen heilsamen Ausgleich zwischen Männern und Frauen schaffen?«, fragte Anna.

      »Richtig. Dafür muss zunächst die männliche Sexualität geheilt werden, damit es zu einer neuen Vereinigung mit der weiblichen kommen kann. Die Chiron-Energie wird ihn durch die Jahrhunderte hinweg begleiten – als seelische Wunde, die nicht heilen kann. Sie wird wohl seinem zarten Herzen Schmerzen bereiten. Wenn die rechte Zeit allerdings gekommen ist, dann wird er sich seine Wunde anschauen müssen und sie endlich transformieren können. Schließlich wird er sein volles Heilerpotenzial entfalten und kann seine wahre Bestimmung erfüllen.«

      »Er hat kein einfaches Schicksal vor sich«, entgegnete Anna ernst.

      »Das Universum lässt niemanden allein mit seiner großen Aufgabe. Seine Seele hat sich in diesem Leben eine Familie ausgesucht, die ihm Rückhalt geben wird. Es wird den Menschen kaum auffallen, dass der kleine Jacob in diesen rauen Zeiten zu einem so sensiblen Mann heranwächst. Als jüngster kann er sich im Schatten seiner älteren Brüder entwickeln. Vor allem Albert und Georg werden in der Aufmerksamkeit des Dorfes stehen. Sie werden Matthis und ihn beschützen, wenn es nötig sein sollte.«

      Anna und Leonore bedankten sich bei ihrer Mentorin für diese tiefgreifende Lehrstunde. Auf dem Weg zu ihrem Schlafgemach schauten beide noch einmal dankbar in den klaren Sternenhimmel.

      * * *

      Wie es die drei weisen Frauen bereits zu seiner Geburt vorhergesagt hatten, war Jacob zu einem gefühlvollen jungen Mann herangewachsen. Aus Raufereien hatte er sich stets herausgehalten. Aber auch seine Brüder waren anständig und brachen keinen überflüssigen Streit vom Zaun. Während Albert und Georg von stattlicher Statur waren und mit ihren Bärten und der Brustbehaarung ihrem Vater ähnelten, waren Matthis und Jacob athletisch gebaut und kamen mit ihren markanten Gesichtszügen eher nach der Mutter.

      Jacob kam oft ins Kloster und studierte die Kräuter, die im Garten wuchsen und wurde von Agathe unterrichtet. Er wollte Heilkundler werden. Seine Eltern unterstützten das sehr. Sie spürten den positiven Einfluss, den die Ordensschwester auf ihn ausübte.

      Der Familie ging es gut. Sie hatten große Felder mit Gemüse und Getreide, zudem Ställe mit Schweinen, Rindvieh und Hühnern. Albert würde eines Tages den Hof übernehmen und ihn verwalten. Wenn der Vater nicht da war, erfüllte er bereits jetzt die Rolle des Familienoberhaupts. Seine jüngeren Brüder respektierten ihn.

      Berglund lag sehr abgelegen am Rande des Reichs, mitten in der riesigen Talsohle einer schwer zu überquerenden Bergkette. Nur selten fand der Landvogt mit seinem Gefolge den Weg dorthin. Das Dorf genoss daher gewisse Freiheiten und verwaltete sich nahezu selbst. Da sie stets pünktlich ihre Abgaben lieferten, hatten die Bewohner auch ihren Frieden.

      Jacob war gerade dabei, ein Buch zu studieren, welches Agathe ihm gegeben hatte. Es ging um die Anatomie des menschlichen Körpers. Die handschriftlich verfassten Seiten waren in einem großen, schweren Ledereinband eingefasst. Interessiert schaute er die Detailzeichnungen der weiblichen Geschlechtsteile an, als Agathe den Raum betrat. Schnell schlug er die Seite um.

      »Aber nicht doch!«, sagte sie bestimmt und blätterte wieder zurück. Jacob wagte natürlich nicht zu widersprechen. »Das ist doch ein sehr wichtiges Kapitel. Ich nehme an, dass du noch keine Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht gesammelt hast?«, fragte sie behutsam.

      Jacob errötete und verneinte schüchtern. Er befürchtete, dass nun eine peinliche Aufklärungsstunde auf ihn zukommen würde. »Heute werden wir über die weibliche Sexualität sprechen«, sagte sie ernst. Jacob saß wie versteinert an dem großen Holztisch. Doch sie fuhr ohne zu zögern fort: »Während ein Mann schon recht schnell auf die Reize einer Frau reagieren kann, dauert es bei den weiblichen Geschöpfen etwas länger. Die meisten Männer wissen wenig über den Körper der Frau und die Kunst des Sich-Zurückhaltens. So geben sie sich oftmals zu schnell ihren Trieben hin und finden eine baldige Befriedigung.«

      Natürlich hatte sich Jacob auch schon einige Male im stillen Kämmerlein selbst befriedigt und wusste, wovon sie sprach. Er schaute verlegen in das Buch, um Agathe nicht in die Augen blicken zu müssen, hörte aber aufmerksam zu. Die ganze Zeit schaute er auf die Zeichnung einer Vulva, die in feinsten Details dargestellt war.

      »Aber ihr Männer beraubt euch der schönsten sexuellen Erlebnisse, da ihr den Lüsten der Frauen keine Aufmerksamkeit schenkt.« Agathes Blick fiel nun auch auf die Zeichnung, die Jacob schon die ganze Zeit fokussierte. »Ich denke, mit dem Aufbau der weiblichen Geschlechtsorgane hast du dich jetzt hinlänglich beschäftigt.« Sie lächelte in sich hinein und wusste natürlich, dass diese Unterrichtsstunde keine einfache für ihren Schüler war. Aber sie verhielt sich äußerst rücksichtsvoll, um ihn nicht zu überfordern.

      Agathe stand auf und ging zu einem Schrank, der mit einem dicken Vorhängeschloss aus Eisen verschlossen war. Sie holte den Schlüssel unter ihrem Gewand hervor, öffnete das Schloss und entnahm ein Buch. Bevor sie es jedoch aufklappte, schaute sie Jacob eindringlich an. Sie senkte die Stimme und sagte: »Es wird Zeit, dass du in die Geheimnisse der weiblichen Lust eingeweiht wirst. Bist du bereit dafür?«

      Jacob nickte schweigend. Ihm war klar, dass alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit passieren würde. Agathe wusste, dass sie ihm vertrauen konnte. Über derartige Themen wurde in der Öffentlichkeit nicht gesprochen.

      Das Buch war in einer Schrift geschrieben, die Jacob nicht kannte. Es waren fernöstliche Schriftzeichen. Seine Mentorin blätterte zu einer Seite mit der Zeichnung einer nackten Frau. Daneben waren diverse Textfragmente niedergeschrieben worden. Sie erklärte behutsam: »Die meisten Männer vergnügen sich erstmal an den Brüsten der Frau und lassen ihre Hände dann weiter nach unten