E.D.M. Völkel

Nullmenschen


Скачать книгу

was machen wir jetzt? Sollen wir die Polizei informieren? Kathi, wie können wir sie finden? Dieser widerliche Kerl nennt sich ihr Vater und setzt alles in Bewegung, um sie zu vernichten.«

      »Wir haben wichtige Details mein Schatz, lass uns dort weitersuchen. Chris lässt die Tasten glühen und unterstützt uns.«

      »Wird die Polizei die Sache verfolgen? Ich glaube nicht. Was haben wir? Ein demoliertes Auto, einen halbblinden Pförtner und einen Vater, der mit Sicherheit alles abstreitet. In der Firma, wo Kathi arbeitet, heißt es, sie habe Urlaub genommen und ist verreist«, brachte sie den Vorgang auf den Punkt.

      »Pass auf, auch im Hotel, wo sie gewohnt hat, werden die bestimmt sagen, dass sie ausgecheckt hat. Fertig. Was sollen wir der Polizei berichten?«

      »Na gut, aber in drei Tagen müssen die nach ihr suchen. Ich als Freundin werde sie als vermisst melden.«

      * * * * * * *

      Jens setzte alles daran den Kopf frei zu bekommen. Fast täglich zog er die Laufschuhe an und drehte seine Runden. Unentschlossen, wie es weitergehen sollte, hatte er diverse Zukunftsmodelle erdacht, die dann nach einer Nacht wieder verworfen wurden.

      Die erste Urlaubswoche war bereits Vergangenheit und er war keinen, noch so kleinen, Schritt vorangekommen.

      ›Am besten denke ich beim Laufen‹, dachte er, griff sich den Fitnesstracker, aktualisierte ihn über sein Handy und begann sich umzuziehen. Die Dezembertage waren schnell kälter geworden.

      ›Wenn das so weitergeht, haben wir weiße Weihnachten.‹ In Gedanken schmunzelte er über den unbändigen Drang der Nachbarskinder, den kürzlich erbauten Schneemann am Leben zu halten. Der Witterung entsprechend zog er eine zusätzliche Jacke über und rückte den Gurt mit der elastischen Handytasche zurecht. Rasch verstaute er noch einen Proteinriegel und nahm die für Läufer geformte Trinkflasche vom Tisch. Am Treppenabsatz sah er die hochschwangere Nachbarin vor der Haustür stehen und nach dem Schlüssel suchen. Hilfsbereit hielt Jens ihr die Tür auf, »Fehlalarm«, übermüdet grinste sie breit und zeigte auf ihren Bauch. »Viel Spaß beim Laufen«, rief sie ihm aufmunternd hinterher, er hob dankend seine Hand und schlug den Weg zur Fichtenstraße ein. Die feinen Schneeflocken hatten eine neue dünne, weiße Schicht auf dem Gehweg hinterlassen. Sofort verselbstständigten sich seine Gedanken.

      ›Melanie, sie hatte ein klares Ziel vor Augen. Schon vom ersten Tag in der Akademie, wusste sie, wo sie hin wollte und welchen Weg sie dafür vorgesehen hatte. Julius, ihn kenne ich im Grunde genommen überhaupt nicht und trotzdem ist er mir vertraut. Eigenartigerweise fühle ich mich ihm momentan näher als der langjährigen Kollegin. Mit wem kann ich noch darüber sprechen? Die anderen im Präsidium? Nein, eher nicht, jeder von ihnen hat seine Probleme. Hiermit schließt sich der Kreis und ich bin ein weiteres Mal bei Julius angekommen. Ich gebe ihm eine Kopie von meinen persönlichen Recherchen, vielleicht können wir zusammen die so offensichtlichen Unstimmigkeiten klären.‹

      Sein Weg führte bergauf am Wiesenbachtal entlang bis zur Bundesstraße. ›So früh morgens ist noch nicht viel Verkehr‹, überquerte diese ohne Probleme. Er folgte dem Weg zu den Hünerberg Wiesen und weiter zum Altkönig. Unwillkürlich schmunzelte er, die Fußspuren vor ihm zeigten in dieselbe Richtung und waren ganz deutlich im Schnee zu sehen. Ein anderer Frühaufsteher war unterwegs. Er oder sie musste sich kurz vor ihm befinden.

      ›In der Vergangenheit sind mir selten Läufer begegnet, eher Spaziergänger oder Familien mit Kindern, die durch den Wald und über die Wiesen tobten. Ab und an auch mal Radfahrer und Jogger, sehr selten Langstreckenläufer.‹ Die aufkeimende Warnung im Hinterkopf ignorierte er, zu sehr wollte er endlich eine Entscheidung herbeiführen.

      ›Am Parkplatz in der großen Kurve schicke ich Julius eine Nachricht oder noch besser, ich rufe ihn an und wir verabreden uns.‹ Zufrieden nickte er, ›es fühlt sich gut an einen Bruder zu haben. Ach was soll´s, ich ruf ihn jetzt sofort an.‹ An der nächsten Weggabelung blieb er kurz stehen, fingerte das Handy aus der kleinen Tasche und wählte Julius Festnetznummer an. Bereits nach dem dritten Freizeichen hörte er die unverkennbare Stimme.

      »Ja?!«, kurz und knapp antworten.

      »Jens hier, hab ich Dich geweckt?!«

      »Nein.«

      »Hast Du Zeit? Können wir uns treffen?«

      »Morgen. Wo?«

      »Im Clubhaus? Oder doch besser ein neutraler Ort?«

      »Bei Maxy´s, 19 Uhr.«

      »Danke Julius, bis morgen«, verabschiedete er sich und freute sich auf das Treffen. Zufrieden verstaute er das Handy, aß den Proteinriegel, nahm noch einen Schluck aus der Flasche und lief weiter.

      Schon aus der Entfernung sah er den großen schwarzen SUV auf dem Parkplatz stehen. An ihm abgestürzt eine Frau mit ihrem leuchtend orangenen Oberteil und Pferdeschwanz, die ihre Dehnübungen absolvierte. Mit jedem weiteren Schritt freute er sich mehr auf ihre Begegnung.

      ›Wow, muss die heißblütig sein. Bei der Kälte, hat sie die Jacke fast bis zum Bauchnabel offen und trägt nur einen der schicken Sport BH‹, grinste er und vergaß sofort die Strapazen des Anstiegs. Rasch überquerte er die Straße, sein Herzschlag erhöhte sich, als sie ihm zuwinkte.

      »Hey, Du bist aber früh unterwegs«, flirtete sie unmissverständlich.

      »Du aber auch«, grinste er von einem Ohr bis zum anderen. Sie streckte sich und ließ ihre Augen frech über seinen Körper wandern.

      »Du bist gut in Form« schmeichelte sie ihm und zog ihn regelrecht mit Blicken aus. Absichtlich beugte sie sich etwas vor, damit er ihr sexy Oberteil unter der Jacke bewundern konnte.

      ›Oh Mann, das ist eindeutig‹, dachte er und sein Blick saugte sich in ihrem Dekolletee fest. ›Sie friert, ich kann ihre Gänsehaut ganz deutlich sehen. Autsch‹, instinktiv griff er mit der Hand zum Hals. ›Was hat mich gerade gestochen?‹, war sein letzter Gedanke, bevor er bewusstlos zu Boden sank.

      Das nächste, was er registrierte, waren Stimmen, die dumpf durch den Nebel in seinem Kopf drangen. Ihm war übel, er versuchte sich zu bewegen, spürte allerdings weder Arme noch Beine, dann schwanden ihm die Sinne und er kehrte in die Bewusstlosigkeit zurück.

      Rütteln und holpern verstärkten die rasenden Kopfschmerzen auf ein Maximum. Er würgte und ein widerlicher Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Schwacher Lichtschein drang durch das grobe Gewebe der Kapuze auf dem Gesicht. Er lag gefesselt auf dem Boden in einem Fahrzeug, das langsam über eine schlechte Straße oder gar Feldweg gelenkt wurde.

      »Er wird wach.«

      »Kein Problem, wir sind gleich da. Sitzt der Sack?!«

      »Ja, alles bestens.«

      Jens spürte wie der Fahrer ruckartig das Fahrzeug rechts und links lenkte und fühlte den harten Schlag an der Schulter, als das Rad in ein tiefes Schlagloch geriet. Sein Körper schmerzte, die auf den Rücken gefesselten Hände waren eiskalt und die Füße fühlten sich an wie aus Blei. Unvermittelt blieb der Wagen stehen, doch der Fahrer ließ den Motor weiterlaufen. Als sich die Tür öffnete, drang ein leichter Geruch von frisch gesägtem Nadelholz gemischt mit stinkenden Dieselabgase in das Innere des Autos.

      ›Verdammt noch mal, was war passiert?‹, versuchte er, die Geschehnisse zu erfassen. Mit eisernem Griff packte jemand seine Beine und zerrte ihn rabiat aus dem Fahrzeug. Sein Kopf schlug gegen den Türholm als starke Hände ihn ergriffen und auf die Füße stellten. Deutlich hörbar stöhnte er auf. Der eisige Wind ließ ihn frösteln und Erinnerungsfetzen bahnten sich ihren Weg, doch ergaben sie kein komplettes Bild, sondern eher einen Flickenteppich mit riesigen Löchern. Schwindel und Übelkeit vermischten sich zu einem Cocktail aus Gefühlen. Abrupt blieb er stehen,

      ›ich will nicht mit ihnen gehen, es muss noch eine Alternative geben.‹ langsam kehrte seine Entschlossenheit zurück.

      ›Was