E.D.M. Völkel

Nullmenschen


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Absender, und hielt für einen Augenblick inne. ›Das muss ein Ende haben, die Beeinflussung, das Schritt für Schritt in den Wahnsinn treiben und diese Zermürbe Taktik. Sie wissen sehr genau, wie die Psyche eines Menschen zu torpedieren ist, wie sie qualvoll langsam zerstückelt wird, nur um an ihr Ziel zu gelangen. Ich bin stark, die Frage ist, wie lange halte ich diese grausame und unerträglich zehrende Methode aus?‹ Resolut öffnet er den Brief und las die handgeschriebenen Zeilen.

      ›Lieber Julius, mein Sohn, ich schreibe Dir, um Deine jahrelange Suche nach mir zu beenden.‹ Ein lauter Schrei durchbrach die Stille und hallte in der spartanisch eingerichteten Wohnung wieder.

      »Nein! Verschwinde! Du hast keine Macht über mich!« Fest entschlossen, dem Ganzen für heute ein Ende zu bereiten, griff er nach dem Autoschlüssel. Rasch schlüpfte er in die Stiefel, zog die Jacke mit der Weste über und verließ fluchtartig sein zu Hause. ›Zu Hause‹, dachte er grimmig und fuhr geradewegs zum Clubhaus.

      ›Hier ist mehr mein Heim, als die nur mit dem allernotwendigsten ausgestattete Drei-Zimmer-Wohnung. Vielleicht nehme ich doch das Angebot an und ziehe in die Blauzeder Villa‹, überlegte er. ›Kann ich die Vergangenheit einfach zurücklassen oder klammert sie sich an mich. Klebt wie stinkender Hundescheiß am Stiefel und folgt mir auch ins neue Heim?‹

      * * * * * * *

      Schon als Katharina die Hotellobby betrat, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Die Empfangsdame vermied sie anzusehen und begrüßte sie höflich mit, »Guten Tag Frau von Arche«, ungewöhnlich laut. Unauffällig schob sie ihr eine handgeschriebene Nachricht zu und wandte sich sofort dem nächsten Gast entgegen. Verstohlen las Kathi die drei Worte.

      ›Sie werden beobachtet‹, und musste ihre ganze Willenskraft aufbringen, sich nicht suchend umzusehen. Dezent verschwand der Zettel in ihrer Handtasche.

      ›Er will mich vernichten, es lässt ihm keine Ruhe, bis ich im Staub vor ihm krieche.‹ Wissend nickte sie und entschied sich die Treppe in den zweiten Stock zu nehmen. Auf dem ersten Treppenabsatz begegnete ihr ein sportlicher, kräftiger Mann mit akkuratem Bürstenhaarschnitt. Er stellte sich ihr in den Weg,

      »Bitte, machen Sie keine Schwierigkeiten. Sie werden erwartet«, sagte er kalt und bestimmt. Seine Aufforderung ließ nicht den kleinsten Zweifel, dass er sie notfalls mit Gewalt zum Gehorsam zwang. Rasch schätzte sie ihre Chancen ab, er folgte ihrem Blick und schüttelte den Kopf.

      »Bitte nicht.« Seine Stimme nahm an Schärfe zu, die eiskalten Augen sahen sie mitleidlos an. Das Klappen der Treppenhaustür bestätigte ihren Verdacht.

      ›Er ist nicht allein, sie kommen niemals allein. Aber ich gebe nicht kampflos auf, erst müssen sie mich kriegen und ich verkaufe meine Haut so teuer wie möglich.‹ Das Herz pochte ihr bis zum Hals, sie spürte den Adrenalinschub in ihrem Blut. Gehorsam nickte sie, drehte sich um und stieg die Stufen hinunter. Kaum hatte sie den zweiten Mann erreicht, stieß sie ihn urplötzlich zur Seite, duckte sich unter seinen Armen durch und verschwand die Treppe runter in die Tiefgarage. Das laute Fluchen der beiden hörte sie gerade noch, bevor die Brandschutztür geräuschvoll hinter ihr ins Schloss fiel. Blitzschnell sprang sie in ihren Wagen, startete und raste ohne Zögern auf die geschlossene Schranke der Ausfahrt zu. Mit einem lauten Bersten flogen die Plastiksplitter durch die Luft. Das Glas der Windschutzscheibe war in tausend kleine Fragmente zersprungen und lag halb auf ihrem Körper, Beinen und im Fußraum.

       ›Jetzt bin ich draußen, wohin fahre ich?‹, ihre Gedanken rasten.

      ›Nach Hause?!‹, bitter lachte sie in den eisigen Wind, der ihr in den Augen brannte, Tränen rollten über ihre Wangen. Verzweifelt blinzelte Kathi und um besser sehen zu können, fummelte sie letztendlich die Sonnenbrille aus der Ablage. Wütendes Hupen unmittelbar neben ihr ließ sie aus ihren Überlegungen schrecken. Nur wenige Zentimeter von ihr rauschte ein anderes Auto vorbei.

      ›Das hat mir gerade noch gefehlt, ein Unfall wäre mein unweigerliches Ende. Zur Villa kann ich nicht, von dort kommt der Auftrag. Zu Eva nach Eschborn? Sie bekommt durch mich sowieso erhebliche Schwierigkeiten. Wohin also?!‹ Der Gedanke trieb sie unaufhaltsam weiter auf die Autobahn Richtung Frankfurt. Krampfhaft umschlossen ihre zitternden Hände das Lenkrad so fest, bis ihre Knöchel weiß hervortraten.

      ›Die Redaktion! Das ist die Lösung.‹ In den halb herabhängenden Rückspiegel erkannte sie verzerrt jede Menge Autos. ›Waren dort möglicherweise auch Verfolger, die sie nicht entkommen lassen wollten?‹

      Nach einer gefühlten Ewigkeit, eiskalt und durchgefroren mit purpurrotem Gesicht bog sie in die Einfahrt der Redaktion in Frankfurt ab, auf die Schranke des Parkplatzes zu. Kaum hatte sie die Hand nach der Sprechanlage ausgesteckt, wurde sie gepackt und mit brutaler Gewalt aus dem Auto gezerrt. Ein Fausthieb an die Schläfe ließ sie bewusstlos zusammensacken. Innerhalb von Sekunden verschwand sie im offenen Kofferraum eines großen SUV, der rasch Richtung Autobahn davon fuhr.

      Der Pförtner hatte den Vorfall gerade noch bemerkt und griff eilig zum Telefon.

      ›Um diese Uhrzeit sind die meisten bereits nach Hause gegangen. Nur wenige Mitarbeiter, der Chefredakteur und Chris waren bestimmt noch im Büro.‹ Eilig griff er zum Telefon und erzählte dem freundlich grüßenden jungen Mann von dem soeben passierten Vorfall. Der sonst gelassene Chris erschien erstaunlich schnell auf dem Parkplatz und machte Fotos von dem stark beschädigten Wagen. Anschließend fragte er den einzigen Augenzeugen gründlich aus. Danach schoben sie das kleine Auto auf den hinteren, wenig genutzten Stellplatz und er verschwand er ebenso eilig wieder im Fahrstuhl.

      Bereits nach wenigen Minuten hatte er über das Kennzeichen den Halter des Autos herausgefunden. Automo-Hessen.

      ›Was zu Teufel machte ein völlig demolierter Wagen der Automo vor der Schranke zum Parkplatz der Redaktion?‹ Mit aufsteigender Nervosität trommelten seine Finger auf der Schreibtischplatte.

      ›Wer? Wer konnte in diesem gesessen haben? Eva und Moritz, sie hatten in ihrem letzten Artikel auch über die Automo berichtet. Besonders gut waren die dabei nicht weggekommen.‹ Kurzerhand griff er zu seinem Handy und wählte.

      »Hallo Chris, was ist passiert?«, hörte er Eva mit leichter Besorgnis in der Stimme.

      »Guten Abend, ist Moritz auch da?«

      »Dann muss es heftig sein, warte ich stell Dich auf laut.«

      »N´abend, mein Lieber, was gibt es?«, schaltete sich Moritz mit in das Gespräch.

      »Ihr habt doch über die Automo berichtet und plötzlich steht ein geschrotteter Firmenwagen von denen bei uns vor der Schranke. Wisst ihr irgendetwas?«

      »Welche Farbe und Modell?«, fragte Eva rasch. Ihre Vorahnung warnte sie, ein ungutes Gefühl bemächtigte sich ihrer.

      »Rot, ein kräftiges Rot. Das Modell ist eines der alten, wurde bis Anfang 2002 gebaut.«

      »Hat es einen Aufkleber in Form einer liegenden Acht an der Windschutzscheibe?«

      »Es hat gar keine Scheibe mehr, der Rahmen ist vorn eingedrückt, als wäre jemand damit gegen ein querliegendes Hindernis gefahren.«

      Eva wurde kreidebleich, ihre Hand legte sich auf Moritz Arm, »Kathi fährt ein solches Auto. Was ist passiert?« Er spürte ihre eiskalten Finger durch den Pullover.

      »Unser halbblinder Pförtner hat nur einen Teil gesehen. Der Wagen hielt und jemand wollte die Sprechanlage drücken. Dann kam schnell ein neuer schwarzer SUV und zwei Männer sprangen heraus. Sie zerrten eine Frau mit halblangem braunen Haar aus dem demolierten Auto, schlugen sie k.o. und sperrten sie in den Kofferraum des Vans. Dann rasten sie Richtung Autobahn davon. Das Nummernschild konnte er nicht erkennen.«

      »Kathi, das war Kathi«, rief Eva besorgt. »Wir wussten, das etwas nicht stimmt und haben uns nicht gekümmert!«

      »Eva beruhige Dich, wir wissen es nicht genau. Chris, kannst Du mehr auf der Überwachungskamera erkenne?«

      »Ich bin schon