E.D.M. Völkel

Nullmenschen


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ihr Gehirn lief auf Hochtouren. »Könnten das auch schiefgegangene Leihmutterschaften gewesen sein?«

      »Hm, in sehr weitem Sinne schon, aber wieso mussten sie sterben und wurden ausgeweidet? Das passt doch nicht, sie sind noch jung und können bestimmt noch mehr Babys bekommen oder ist das falsch? Eva, Du als Frau weißt besser darüber Bescheid«, machte er einen Rückzieher aus dem Thema.

      »Kannst Du in Erfahrung bringen ob es Praxen oder Ähnliches gibt, welche die Voraussetzungen besitzen, um die befruchteten Eizellen den Leihmüttern einzusetzen?«

      »Ich kümmere mich darum, muss mich aber erstmal ins Thema einlesen. Was ganz anderes, ich bin bei den Trägern der Heime auf den Namen ›Vita Nova‹ gestoßen. Da gibt es ein Sanatorium, welches eine Art Mütter und Kinder Erholungsheim ist.«

      Eva horchte auf, ein Alarmsignal schrillte in ihrem Kopf.

      »Nur gestoßen oder gehören die zusammen? Eine Art Nachfolger vielleicht? Mütter und Kinder! Das schreit regelrecht nach Übereinstimmung!«

      »Eva, ich kümmere mich darum und Du Dich um Deine Erreichbarkeit«, konnte er sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.

      »Jawohl! Wird erledigt«, bestätigte sie. »Danke mein Lieber, ohne Dich wären wir aufgeschmissen.«

      * * * * * * *

      »Stellen sie mich sofort durch«, schnaubte Stephan von Arche erbost und trank einen großen Schluck Cognac aus dem handgeschliffenen und dickbauchigen Glas.

      »Stephan«, begrüßte ihn eine besorgte Stimme am anderen Ende der Leitung. »Wir haben alle Vorbereitungen getroffen und führen Deinen Auftrag in Kürze aus.«

      »Was zum Teufel ist bei euch los?«, fauchte er ungehalten. »Mein Kontakt berichtet, es ist bereits die zweite Frauenleiche aufgetaucht. Wie konnte das passieren?!«

      »Die Security ist ausgewechselt, ich habe umgehend neues Personal eingestellt und bin mir sicher, dass die Lücke geschlossen ist«, rechtfertigte sich der Doktor.

      »Das will ich hoffen, die anderen sind überaus beunruhigt. Es wurde zwar noch nichts veröffentlicht, aber wie ich diese Schmierfinken kenne, steckt einer seine Nase rein und zerrt alles hervor. Du musst härter durchgreifen! Sei nicht so weich und zimperlich. Verdammt noch mal, fast denke ich, Dein Sohn hat mehr Mumm in den Knochen als Du.«

      ›Dieser aufgeblasene Fatzke mischt sich in sämtliche Belange. Steig lieber von Deinem hohen Ross und arbeite für Deine vierteljährlichen Ausschüttungen.‹ »Stephan, sie verlangen mehr Geld, das habe ich abgelehnt und der Hof hat einen neuen Leiter. Den mussten wir erst auf Kurs bringen, aber jetzt arbeitet er sehr gut. Es ist alles bereinigt«, beschwichtigte er ihn.

      »Mach bei dem missratenen Balg ja nicht diese Fehler, sie ist vom Weg abgewichen und zu allem fähig. Hast Du verstanden?!«

      »Ja! Selbstverständlich! Alles wird zu Deiner Zufriedenheit ausgeführt. Du kannst Dich darauf verlassen.«

      »Enttäusche mich nicht, es wäre Dein Ende!«, drohte er unmissverständlich und legte grußlos auf.

      ›Hoffentlich war es mir möglich, das Leck tatsächlich schließen. Erst einmal habe ich mir etwas Zeit verschafft. Meine spontan durchgeführte Kontrolle war nicht zufriedenstellend. Es war zum Auswachsen, bis auf den einen Körper, den er für seine Zwecke benötigt hatte, fehlten weitere, deren Verbleib nicht geklärt werden konnte.‹ Mit dem Handrücken wischte er sich über die Stirn, sein Entschluss erneut den Sucher einzusetzen, war die richtige Entscheidung.

      * * * * * * *

      Innerlich, mit allen ihm bekannten Schimpfworten fluchend, stand für Kralle fest, dass die Zusendungen kein Ende haben würden. Die erhaltenen Briefe hatte er, bis auf den ersten, postwendend an die Kanzlei in Frankfurt zurückgeschickt. Der Vermerk ›Annahme verweigert‹, war für ihn eine unmissverständliche Antwort. Für den Absender anscheinend nicht.

      Als er an diesem Abend müde und erschöpft das Haus in Eppenhain betrat, warteten bereits drei, in schwarzen Anzügen gekleidete Muskelpakete im Treppenhaus auf ihn. Schonungslos vermittelten sie ihm, dass er den Erhalt des heutigen Briefes nicht vergaß und dies mit seiner Unterschrift bestätigte. Der hinterhältige Treffer in die Nieren machte ihm sehr zu schaffen. Diese Männer wussten haargenau, wo sie zuschlagen mussten, um größtmögliche Schmerzen und wenig sichtbaren Spuren zu hinterlassen.

      ›Verflucht noch eins, ich habe kein Interesse.‹ Den ungeöffneten Umschlag warf er auf den kleinen runden Tisch nahe dem unbequemen Sessel. Seine Devise, niemals zu lange an einem Ort zu verweilen, hatte ihm, so glaubte er zumindest, bisher gute Dienste geleistet. Die Stiefel stellte er sorgfältig auf der Fußmatte ab und hängte die Jacke mit Weste auf den Kleiderbügel. Danach goss er sich eines der bauchigen Gläser halbvoll mit seinem bevorzugten Whisky. Das Glas leicht schwenkend, trat er an die Terrassentür und sah in die Nacht hinaus. Der Schnee hatte eine kleine weiße Mauer auf dem Geländer errichtet. Die Äste der Nadelbäume knacksten unter der winterlichen Last und das gelblich warme Licht der Straßenlaterne gegenüber tauchte die Szene in eine unwirkliche Harmonie. Die Geräusche vor dem Haus drangen nur gedämpft zu ihm herauf.

      ›Heute ist einer der Tage, die ich am liebsten ersatzlos streichen würde. Schon am Morgen dachte ich, es könne nicht schlimmer kommen, doch das Schicksal legt noch mal eine Schippe oben drauf. Verflixt, sie haben echt gute Kontakte.‹

      Im leicht verschwommenen Spiegelbild des Fensters sah er sein Gesicht. Das vergangene Jahr hatte deutliche Spuren hinterlassen und er wusste nicht, wie lange dieses perfide Spiel weitergehen würde. Mit einen tiefen Seufzer riss er sich von der nächtlichen Szenerie los. Ruhig trank einen Schluck der warm schimmernden, bernsteinfarbenen Flüssigkeit und steckte sich eine Zigarre an.

      Die Erinnerung an den ersten Brief stieg gnadenlos in ihm auf, ohne dass er sie abwehren konnte. Er fühlte jetzt noch den Schock, wie ihm vor zwei Jahren die Knie weich wurden und er sich auf der Mauer zur Einfahrt abstützen musste.

       ›Alles Lügen. Diese Art der gefühllosen fast schon befehlenden Kommunikation konnte unmöglich von seinem verschwundenen Vater stammen. Nein! Ausgeschlossen! So hatte er ihn nicht in Erinnerung.‹ Ruckartig schloss ich damals etwas zu hart den Briefkasten. Getrieben von aufsteigenden Gefühlen, ging ich rasch ins Haus zurück. Ich sah vor meinen inneren Augen die großen, gepflegten Hände des Vaters. Zärtlich strichen sie mir über den Kopf, nur um eine Sekunde später mein Haar zu verwuscheln. Mich durchzukitzeln, hochzuheben und liebevoll an seine breite Brust zu drücken. Dann sah ich auf, in die gütigen Augen und ein sanftes Lächeln umspielte seinen Mund. Er drückte mir einen dicken Kuss auf die Halsbeuge und ich quietschte vor lauter Freude auf. Wir lachten überschwänglich, Mutter kam in das Zimmer und tadelte uns beide mit gespieltem Ernst. Sie schimpfte, was wir hier für einen Lärm veranstalteten, nur um uns kurz darauf zu umarmen und in unser Lachen einzustimmen. Es war die schönste und glücklichste Zeit in meinem Leben.‹

      Mit dem Glas in der einen und der Zigarre in der anderen Hand, ging er zum Sessel hinüber und setzte sich.

      ›Ich drückte meine Stirn an die kühle Wand im kleinen quadratischen Flur und schloss die Augen. Die nächsten emporkriechenden Geister der Vergangenheit wollte ich erst gar nicht in meinen Kopf lassen. -Verschwindet, ihr seit nicht real, es sind die verzweifelten Vorstellungen von einem kleinen Jungen, der den Vater schmerzlich vermisst-. Hart schlug meine Faust gegen den Türrahmen, -Ich lass euch nicht mehr in mein Leben. Ihr habt keine Macht mehr über mich-. Kurzentschlossen zerriss ich den Umschlag in kleine Stücke und verbrannte die Schnipsel im gläsernen Aschenbecher auf der Küchenspüle. Die kurz hellauflodernden Flammen verschlangen das Papier und verwandelten es in hauchdünne silberweiße Ascheplättchen. Meine Hände zitterten leicht, als der Wasserstrahl den Inhalt des Aschers in schmutzig graue Pampe verwandelte. Sie suchte sich den Weg in den Abfluss und verschwand. Erleichtert steckte ich mir einen Zigarillo an, ein weiteres Mal hatte ich die quälenden Dämonen besiegt. Doch tief im Inneren wusste ich, das dies nur ein kurzer Sieg war. Schon bald würde der nächste Umschlag im Briefkasten liegen und ein weiteres