E.D.M. Völkel

Nullmenschen


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wird es, wenn die Mutter selbst sie nicht wollte oder noch viel zu jung war. Oder, sie wurde der Mutter wegen unzureichender Fürsorge durch die Behörden entzogen. In den beiden letzten Fällen wäre allerdings der Familienname vermerkt. Glück im Unglück, als Baby hast du die größten Chancen adoptiert zu werden. Wenn ich etwas Neues gefunden habe, melde ich mich.

       Ciao Chris

       Post Skriptum, Eva, ich kann es fühlen, es liegt fast greifbar in der Luft. Du bist dem nächsten Skandal auf der Spur.-

      »Ich glaube, die Kommissarin Heinzer hatte vor einigen Wochen doch recht mit ihrem Spruch, die Ratten haben sich in ihren Löchern verkrochen.« Moritz stützte seinen Kopf in die Hände und blickte nachdenklich zum Fenster hinaus.

      »Jetzt warten sie erst bis die Luft rein ist und zack, sind sie wieder da.«

      »Sie sind clever und opfern einen, damit der Clan überlebt«, vervollständigte Eva das Beispiel aus der Fauna. »Ich bin noch nicht überzeugt, dass der hochwohlgeborene von Arche wirklich ein Opfer ist. Ich denke mal, er zieht nach wie vor die Fäden aus dem Hintergrund und sein Sohn Sebastian, der widerliche Sadist, macht, was Papa sagt. Kathi haben sie ganz nach Familienmanier fein säuberlich abserviert.«

      »Jetzt verstehe ich das auch, durch ihre Adoption ist sie keine ›genetisch echte‹ von Arche. Sie ist das Bauernopfer, der Herr Graf ist fein raus und Sebastian wird zum Alleinerben.« Moritz war aufgestanden und schüttelte sich bei diesem Gedanken. Eva versuchte zum x-ten Mal Katharina auf dem Handy zu erreichen.

      »Apropos Sebastian, habe ich es richtig in Erinnerung? Sagte sie nicht, er ist auch einer? Was ist er? Auch adoptiert oder ebenfalls ein Experiment?« Sie legte enttäuscht das Telefon zur Seite. Alle Bemühungen waren leider erfolglos, aber sie hinterließ mehrere Nachrichten auf der Mailbox mit Bitte um Rückruf.

      »Genau, Du hast vollkommen recht«, erhellte sich Moritz bedrücktes Gesicht, »ich schreibe Chris, er soll mal prüfen, ob es bei ihm ebenfalls Diskrepanzen gibt.«

      Der Winter zog mit großen, nasskalten Schritten über das Land und vertrieb die letzten warmen Tage des endenden Herbstes. Eine dichte Nebelsuppe schwappte bis in die Straßen und hüllte die Umgebung in sein verschwommenes Gewand. Es roch nach feuchter Erde, nassem Laub und der erste Schnee schien auch nicht mehr weit zu sein.

      Tags drauf klingelte unerwartet Evas Handy und flink angelte sie es aus der Dielenschale.

      »Kathi!«, rief sie erstaunt und freudig zugleich. »Schön, dass Du Dich meldest.«

      »Eva, er hat es tatsächlich geschafft, ich bin raus! Er war höchstpersönlich da und hat mir die Entlassung mitgeteilt. Es hat ihm richtig Spaß gemacht! Seine Augen hatten einen teuflischen Ausdruck und er war wie früher, wenn er mich verprügelte«, hörte sie ihre Worte mit leichtem Zittern in der Stimme.

      »Du kannst zu uns kommen, das Gästezimmer ist frei. Klein aber fein.

      Du hast die Adresse?!«, reagierte Eva blitzschnell.

      »Ist schon gut, ich danke euch. Sei nicht böse, ich habe ein Zimmer im Hotel und suche mir einen neuen Job. Vielleicht ist es besser, da raus zu sein und einen anderen Weg einzuschlagen.«

      »Stopp! Kathi. Wo kann ich Dich erreichen?«

      »Ja, das ist korrekt. Vielen Dank, auf Wiederhören.«

      »Was war das?«, hörte Eva Moritz Stimme direkt neben ihrem Ohr. Er war ganz dicht an sie getreten und hatte das Telefonat mitgehört. Stirnrunzelnd sah er sie an.

      »Da stimmt was nicht. Hast Du die Veränderung im letzten Satz gehört?!«, resigniert legte sie das Handy auf den Tisch. »Sie hat mich schon wieder abgewimmelt. Was habe ich falsch gemacht?!«

      »Gar nichts. Sie ist eben so. Vielleicht hat sie Dich ein weiteres Mal benutzt?! Wie lange kennst Du sie und wie oft hast Du mit ihr gesprochen?« Fragend sah er sie an. Eva wiegte den Kopf hin und her, Moritz nahm ihr die Antwort ab. »Eben. Sie ist und bleibt eine unbekannte Größe in Deiner Rechnung. Das x, das Du bestimmen musst.«

      Die durchdringende Klingel an der Haustür holte Eva in die Realität zurück.

      »Ja. Möglicherweise hast Du recht«, seufzte sie. Moritz ging voraus und öffnete.

      Der Briefträger mit seiner großen, gutgefüllten Zustellertasche stand vor ihm, lächelte freundlich und hielt ihm einen unfrankierten Umschlag entgegen. Moritz entzifferte etwas mühsam die rasch hingeschmierten Namen, Völkel und Dressler.

      »Guten Tag, ich habe einen Brief ohne Porto. Sind Sie bereit die Nachgebühr zu zahlen?«, hörte Eva die ihr bekannte Stimme des Postboten. Bevor Moritz antworten konnte, trat sie rasch zu ihnen, sah neugierig auf den Umschlag und nahm das zerknitterte hastig beschriftete Kuvert in die Hand.

      »Er ist an uns beide adressiert. Leider ohne Absender«, sie drehte und wendete ihn mit gemischten Gefühlen.

      »Ja, selbstverständlich«, entschied Moritz spontan und zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche und bezahlte. Eva reichte ihm das Kuvert, »mach ihn auf, es bringt nichts, die Entscheidung hinauszuzögern.

      Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.«

      Vorsichtig schlitzte er den arg mitgenommenen Umschlag auf. In seinem Inneren befand sich lediglich ein Zettel, den Moritz sofort als, das abgerissene Stück der Rechnung wiedererkannte.

      »Das ist von Kathi«, stellte er sachlich fest und betrachtete das Papier aus allen Richtungen.

      »Zeig her«, forderte Eva und griff nach dem kleinen Blatt.

      »Es ist nur Gekritzel darauf, sieh es Dir an und überzeug Dich selbst«, überreichte er ihr den Zettel in der Diele. »Egal wie Du ihn ansiehst, er ergibt keinen Sinn. Was will sie uns damit sagen?«

      »Es ging um eine Art Bestellung oder Formular als ich sie aufforderte, das Symbol auf dem Absender zu zeichnen.« Sie drückte Moritz die Zeichnung in die Hand und holte sich eine neue Tasse Tee.

      »Du hast recht, aber ich kann trotzdem nichts mit dem Krickelkrakel anfangen, was soll das sein?!« Moritz drehte das Blatt in alle Richtungen, doch die Zeichnung ergab keinen weiteren Hinweis. Kein Symbol, keinen Gegenstand oder eine Andeutung von irgendwas. Eva kam mit einer großen Tasse aus der Küche.

      »Halt! Stopp! Nicht bewegen, bleib genau so stehen.« Moritz erstarrte direkt, langsam kam sie näher, »es ist spiegelverkehrt, gegen das Licht betrachtet kannst Du ganz feine Linien sehen, als habe der Stift nicht geschrieben. Es ergibt die Andeutung von einem Gesicht.«

      Moritz verdreht erst einmal den Hals, wendete das Blatt letztendlich und hielt es etwas näher gegen die Deckenlampe. »Genau, das könnte ein Kopf sein, oder eine Fratze, möglicherweise auch ein Symbol. Schatz Du hast eine blühende Phantasie«, schüttelte er seinen Kopf.

      »Ach was, Du musst nur genauer hinsehen«, sagte sie, schnappte den Zettel und ging in die Küche zurück. Mit dem Bleistift zog sie die kaum sichtbaren Linien nach. Moritz schaute über ihre Schulter.

      »Sei mir nicht böse, ich kann immer noch nicht erkennen, was Du gesehen haben willst.«

      Eva sah über ihre Schulter und grinste schelmisch.

      »Achtung, Abrakadabra, Du verbindest diese Punkte miteinander und bekommst eine Art Kopf. Das hat Kathi auch erkannt und ist wahrscheinlich deswegen unbemerkt von Dir gegangen. Sie sagte doch auf den Unterlagen, die sie gesehen habe, sei etwas in dem oberen Bereich gewesen…«

      »Genau, wenn es zum Briefkopf gehört, hat sie es spiegelverkehrt betrachtet und konnte deshalb nichts damit anfangen«, unterbrach Moritz Eva.

      »Lass uns gemeinsam zu diesem Kopf recherchieren. Er wird nicht einfach so in der Luft schweben, es muss noch einen Rahmen oder Umrandung dazu geben.«

      »Oder einen Schriftzug?!« Moritz sah das bestimmte Lächeln auf Evas Gesicht und die Art und Weise, wie sie ihre Augen blitzten.

      »Denk nicht mal dran! Er ist eigentlich im Urlaub und hat