E.D.M. Völkel

Nullmenschen


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auf das höhergesteckte Ziel ausgerichtet. Das wird er verstehen.«

      »Bestimmt hast Du recht, ich war zu nachgiebig, er muss jetzt endlich zu seiner Verantwortung stehen.«

      »Es ist seine Pflicht der Sache zu dienen, das muss er akzeptieren.« »Stephan, ich kümmere mich um Dein Anliegen«, versprach er. Das Knacken in der Leitung bestätigte die Ausführung des Auftrages. Zufrieden, das Problem Katharina gelöst zu haben, legte er auf. Sogleich zitierte seinen Butler Henry herbei und wandte sich mit auf dem Rücken gehaltenen Armen zum Fenster. Nach einmaligem Klopfen und sich fast lautlosem Öffnen der hohen schweren Holztür zum Arbeitszimmer stand der Diener bereit.

      »Packen Sie Katharinas Sachen, sie zieht aus«, befahl er in gewohnter Manier, ohne sich umzudrehen.

      »Sehr wohl«, bestätigte Henry und verließ ebenso still und leise das Arbeitszimmer, wie er eingetreten war.

      ›Die ungeheuerliche Dreistigkeit mich in das Licht der Öffentlichkeit zu zerren wird sie bezahlen. Wie konnte sie es wagen, diesen Schmierfinken der Zeitung Familieninterna zu erzählen! Die Hand zu beißen, welche sie dreißig Jahre lang gefüttert und gekleidet hat.‹ Immer noch erbost über das ungeratene Experiment musste er all seine Willensstärke aufbringen, um nicht doch noch dem ersten spontanen Impuls zu folgen. Es wäre eine Schande, die Flaschen mit den sündhaft teuren Spirituosen an der Wandtäfelung und der schwarzen Marmor Kamineinfassung zu zerschlagen.

       ›Endlich hatten wir die passende Zusammensetzung und dann entwickeln sich die Versuche daraus zu einer Katastrophe. Zum Teufel auch, eventuell mussten sie sich mit einer Version zufriedengeben.‹

      * * * * * * *

      Der markante Signalton auf Moritz Laptop signalisierte den Eingang einer neuen Nachricht. Eva sah kurz von ihrer Arbeit auf und suchte mit dem Blick nach ihrem Freund.

      »Ich geh schon«, drang aus der Diele in den ersten Stock und einen Moment später, »Chris fragt an, ob Du an einer nahe Bahnübergang Liederbach gefundenen Frauenleiche interessiert wärst.«

      Blitzartig sprang sie auf, »Kathi?!«, und rannte die Treppe hinunter ins Wohnzimmer.

      »Nein, scheint nicht so sie stammt eher aus dem Osten, blond, ein Meter fünfundsechzig groß, er ist dran. Sobald es etwas Neues gibt, meldet er sich sofort.« Erleichtert atmete sie aus.

      ›Glücklicherweise ist es nicht Kathi. Wo mochte sie nur stecken?‹ »Schreib ihm bitte, dass ich jetzt die Zeichnung per Kurznachricht verschicke. Es ist wahrscheinlich ein Kopf, der als Teil eines Absenders den Briefkopf schmückte. Und dass Kathi ihn auf den Unterlagen gesehen hat, die der feine Herr Vater ihr unter die Nase hielt.« Ironisch mit viel Verachtung sprach Eva die Worte aus.

      »Ist erledigt, er kümmert sich darum. Eva was…«, erstaunt sah er auf. Doch er hörte nur ihre schnellen Schritte auf der Holztreppe mit ihren knarrenden Stufen in den ersten Stock hinauf eilen. Sie betrat ihr kleines Arbeitszimmer unter dem Dach. Der große und sehr alte Massivholz Schreibtisch schimmerte dunkelbraun. Seine Schnitzereien liebte sie schon als Kind. Er war ordentlich aufgeräumt und wartete auf die nächste Belagerung.

      ›Hier ist es viel zu leer, es wird Zeit, das sich die Recherchen stapeln‹, dachte sie und holte eine neue giftgrüne Mappe aus dem Schrank. Sorgfältig schrieb sie mit einem dicken schwarzen Stift das heutige Datum darauf.

      ›Die investigative Arbeit ist genau das Richtige für mich. Moritz und Chris sind die besten Lehrmeister. Ihre Erfahrungen und Möglichkeiten sind einfach genial.‹ Unwillkürlich fröstelte es sie.

      ›Es ist Ende November, schon bald überzieht der erste Frost die Landschaft und zaubert einzigartige Eisblumen auf die Scheiben.‹ Ihr Blick fiel durch das schräge Dachfenster, auf den bleigrauen, wolkenverhangenen Himmel.

      ›Das ist schon mein zweites Weihnachten und Sylvester hier ohne meine Eltern. Leider war ich zu dumm und dickköpfig, um mich beizeiten mit ihnen auszusöhnen.‹ Bevor die Vergangenheit mit ihren Schrecken sich erneut in ihr ausbreiten konnte, rief sie sich zur Ordnung. In stillen Dank an die Eltern, welche ihr das Häuschen in der Bergstraße Eschborn vererbt hatten, schnappe sie sich den Ordner und kehrte in das Erdgeschoß zurück.

      »Hat Chris schon geantwortet?«, erwartungsvoll sah sie ihren Freund an und grinste.

      »Was grinst Du so?!«

      »Och, nichts«, beeilte sie sich zu sagen, konnte allerdings ihr Schmunzeln nicht unterdrücken.

      »Du hast was, ich sehe es ganz genau. Was ist?«, argwöhnisch kam er näher.

      »Ich bin glücklich, dass der unglückselige Tom uns nicht auseinanderbringen konnte. Wir sind trotz aller seiner Intrigen immer noch ein Paar.« Eva war dicht zu ihm getreten, stellte sich auf die Zehenspitzen, nahm seinen Kopf in ihre Hände und küsste ihn leidenschaftlich.

      »Hm, Dein Schmunzeln und was es mir gerade verspricht ist unwiderstehlich. Das kannst Du ruhig öfter machen«, er zog sie mit ins Wohnzimmer auf die Couch. »Chris ist sowieso im Urlaub und wir beide haben dafür viel Zeit.«

      * * * * * * *

      Beunruhigt durch Jens Verhalten und seinem vor zwei Wochen geäußertem Verdacht, es sei jemand in der Wohnung gewesen, hatte Hauptkommissarin Heinzer den Bruder mit bürgerlichem Namen Julius Kralleths verdächtigt. Ohne ihren Kollegen zu informieren, durchleuchtet sie ihn gründlich. Allerdings fand sie außer zwei Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens keine weiteren Einträge. Erneut prüfte sie ihre Eingabe und schüttelte verwundert den Kopf.

      ›Das kann nicht sein. Unmöglich. Der muss was auf dem Kerbholz haben.‹ Die Tatsache, nur Geringfügigkeiten vorzufinden, machte die Kommissarin erst recht neugierig.

      ›Da stimmt was nicht, wie konnte ein Rocker fast blitzsauber sein. Er hat sich und die anderen gut im Griff, damit sich keiner traut, gegen ihn auszusagen.‹ Oder was überhaupt nicht in ihr Weltbild passte, ›er ist tatsächlich sauber.‹ Verbissen kräuselte sie ihre Lippen, kniff die Augen zusammen und rechnete schnell nach.

      ›Jens ist sechzehn Jahre jünger, zwischen den beiden liegen Welten, er kann ihn gar nicht kennen oder gar beurteilen. Ich muss dem Kerl mal auf den Zahn fühlen, er kann ruhig wissen, dass ich ihn im Auge behalte.‹ Nachdenklich legte sie ihre Hand auf den Ausdruck.

      ›Herr von und zu wohnt in Eppenhain, das gehört zum Main-Taunus-Kreis. Das neue Clubhaus ist gleich hinter Königstein im Hochtaunuskreis. Offiziell liegt nichts an, dann kann ich nur privat dort aufkreuzen.‹ Ärgerlich stand sie ruckartig auf.

      ›Verflucht noch mal, im Dienst kann ich nur hin, wenn ich Jens besuche. Er ist im Urlaub, wie peinlich ist das denn, wenn ich ihm als Vorgesetzte hinter her schnüffel.‹ Sie fluchte in allen ihr bekannten Sprachen.

      ›Geh ich privat, denkt er womöglich ich lauf ihm nach und kontrolliere ihn. Das bringt noch mehr Misstrauen in unsere sowieso schon angespannte Situation.‹ Wütend gab sie dem Mülleimer einen Tritt, der scheppernd durch das Büro rollte und seinen Inhalt auf dem Boden verteilte. Die Ohnmacht, untätig abwarten zu müssen, war ihr unerträglich.

       ›Sabine, die beste Innendienstdame und Freundin aller Zeiten, fand bestimmt einen Weg an mehr Informationen zu gelangen.‹

      In Gedanken sah sie den rotblonden Lockenkopf mit den strahlenden grünen Augen und der kleinen rundlichen Gestalt vor sich. Energisch rief sie sich zur Ordnung, ›die Frauenleiche in Liederbach.‹ Der Pathologe Doktor Allendorf, seinem Aussehen nach ein Durchschnittsmensch wie aus dem Lehrbuch, wartete auf sie. Als einzige Auffälligkeit überraschte er mit seinen einzigartigen veilchenblauen Augen, die er mit Sicherheit missbilligend rollen würde, weil sie zu spät dran war.

      Hastig öffnete sie die Tür zur Pathologie und erkannte sofort, das ihre Vermutung, zutreffend war. Strafend kniff er in gewohnter Manier die Augen zusammen und verdrehte sie kurz. Wippend hielt er einen Aktendeckel in Händen und blickte fragend zur Tür.

      »Tschuldigung«,