Tartana Baqué

PURPURUMHANG


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es Zufall, dass er diese Fremde schon zweimal getroffen hat? Er schüttelt leicht seinen Kopf, als er seine Suite aufschließt. Sein letzter Kontakt mit einer Spanierin, reicht ihm. Er hat keine Zeit für Frauengeschichten.

      1

      „Und ich werde jetzt von 10 rückwärts bis 1 zählen. Mit jeder Zahl, die ich zähle, spürst du, wie Energie und Kraft durch deinen Körper fließen. Du wirst wacher und wacher. Alles, was dein Unterbewusstsein nicht erinnern möchte, wirst du vergessen. Voller Zuversicht wirst du diese Woche all die Dinge verwirklichen, so wie du es dir vorgestellt hast.“

      Ich beobachte, wie Evas Brust sich langsam hebt und senkt und fahre weiter fort: „Wenn ich die Zahl 1 sage, dann öffnest du deine Augen und fühlst dich frisch und klar, als hättest du einen tiefen Schlaf getan, aus dem du nun erwachst.“

      Eva atmet ein. Und ich spreche weiter: „Und jetzt beginne ich zu zählen: 10…9…8…7…6…“, nun hebe ich meine Stimme „5…4…3…2…“, und sage laut: „1.“

      Langsam öffnet sie ihre Augen.

      „Bleib noch liegen. Komm‘ erst zu dir.“

      Eva streckt sich und schaut mich an. „Wie lange habe ich geschlafen?“

      Ich blicke auf meine Uhr. „Fünfundzwanzig Minuten. Und, wie fühlst du dich?“

      „Noch benommen.“ Sie stellt ein Bein nach dem anderen auf den Boden und setzt sich aufrecht hin. „Das war irre. Ich fühle mich zwar komisch, aber irgendwie befreiter.“

      „So soll die Hypnose wirken.“ Ich nehme ein Übungsblatt vom Schreibtisch und gebe es ihr.

      „Übe dein Ich-Stabilisierendes Selbstsicherheits- und Entspannungs-Training zu Hause. Mit der heutigen Hypnose habe ich das I.S.T. mental verstärkt. Du wirst dich ab sofort besser konzentrieren können. Auch kannst du jetzt intensiver lernen und alles Gelernte behalten.“

      „Danke.“ Eva nimmt das Blatt und legt es in ihren Schnellhefter. „Steht unser nächster Termin?“

      „Klar, wie immer sehen wir uns nächste Woche.“

      Ich erhebe mich vom Schreibtischsessel und begleite sie zum Praxisausgang. An der Eingangstüre bleibt Eva stehen.

      „Lass dich umarmen“, sage ich, weil ich weiß, dass sie darauf wartet.

      Viele meiner Jugendlichen wollen umarmt werden. Ich habe das Gefühl, als ob es in den Familien weniger Körperkontakt gibt und die Jugendlichen darum meine Nähe brauchen. Dabei ist es wissenschaftlich bewiesen, dass Körperkontakt für Menschen lebenswichtig ist.

      Zu Beginn unserer Therapie reagierte Eva stocksteif auf meine vorsichtigen Berührungen an ihrem Arm. Heute geht sie erst aus der Praxis, wenn ich sie umarmt habe.

      „Ich bin mir sicher, dass du deine Prüfung am Montag schaffen wirst“, sage ich.

      Für einen Moment spüre ich, wie sie sich an mich lehnt. Ich halte sie fest.

      „Du kannst das“, flüstere ich ihr ins Ohr.

      „Danke, Frau Bergheimer. Ich schreibe Ihnen eine WhatsApp, wie die Prüfung gelaufen ist.“

      „Mach das. Wir sehen uns dann nächste Woche Freitag, um die gleiche Zeit.“

      Die Praxistür fällt ins Schloss. Feierabend.

      Ich falte die Decke auf dem Sofa zusammen. Drapiere die Kissen wie gewöhnlich; die zwei weißen Kissen kommen nach außen und die beiden gelben nach innen.

      Es ist ein warmer Frühlingstag, und die Sonne erhellt meinen Praxisraum. Ich stecke meinen Kuli zu den anderen, die sich auf meinem Schreibtisch in dem schwarzen Becher angesammelt haben. Evas Akte verstaue ich im Sicherheitsschrank und schließe ihn ab. Ich drücke den Schalter, und die Rollos an beiden Praxisfenstern fahren herunter. Den Computer und den Drucker in meinem Büro schalte ich aus. Wie üblich ziehe ich die Stecker, weil die Geräte auch im Standby Strom verbrauchen. Mein Sohn Georg nervte mich früher damit. Und jetzt, wo er nicht mehr zu Hause wohnt, befolge ich brav seine Anweisungen und schalte alle elektronischen Geräte aus.

      Ich bin froh, dass ich Peter überreden konnte, die Einliegerwohnung für meine Praxis zu nutzen. Wir bauten sie für Georg damals an. Aber nach seinem Abitur entschied er sich, in Berlin Medizin zu studieren. Vielleicht übernimmt er die internistische Praxis von seinem Vater. Es versetzte mir einen Stich, als Georg von seinen Zukunftsplänen erzählte. Ich dachte immer, dass er Psychotherapeut werden würde, denn er hatte mir als Sechzehnjähriger begeistert bei den Testauswertungen geholfen.

      Über den Flur nehme ich den privaten Ausgang, um in unsere Wohnung zu gelangen. Angenehm kühl ist es in der Villa. Sie entstand in den Dreißigerjahren. Peter und ich sind stolz auf unsere Bauhausvilla, die wir vor zwanzig Jahren in Köln-Marienburg erworben haben.

      Während in der Mikrowelle meine Lasagne vor sich hin brutzelt, überprüfe ich meine Handtasche: Autoschlüssel, Fahrzeugpapiere, Visakarten, Portemonnaie und Haustürschlüssel. Den kleinen Reisekoffer habe ich schon gestern Abend gepackt.

      Mein rechtes Augenlid zuckt leicht. Ein Zeichen, dass ich angespannt bin. Nur nicht nervös werden. Ich brauche meine Konzentration.

      Ende Mai, und ich will das Wochenende nutzen, um meine finanziellen Sorgen loszuwerden. Endlich werde ich Peter beweisen, dass ich eine brillante Taktikerin bin, die genau weiß, was sie tut. Wie oft hat er mir vorgeworfen, dass ich unser Geld verspiele.

      Ich muss lächeln bei der Vorstellung, wie ich ihm meinen Gewinn auf den Tisch blättern werde. Ich weiß genau, wie ich diesmal vorgehen muss. Akribisch habe ich wochenlang die sechsunddreißig Roulette-Zahlen in meiner Kladde notiert. Jeweils zwölf Zahlen unter der Nummer 1, der Nummer 2 und der Nummer 3. Jede Reihe bildet eine Kolonne. Während meines Psychologiestudiums hatte ich vier Semester Statistik belegt und mich intensiv mit der Wahrscheinlichkeitstheorie beschäftigt. Ich bin mir absolut sicher, dass ich alles richtig berechnet habe.

      Mein Handy klingelt.

      „Hallo Lisa.“

      „Hallo Julia, wie geht‘s? Alles gepackt?“

      „Ja. Ich esse noch schnell einen Happen, und dann fahre ich los. Schade, dass du nicht mitkommst.“

      „Finde ich auch. Aber meiner Mutter geht es immer noch nicht so gut.“

      „Sag ihr gute Besserung von mir. Vielleicht fährst du das nächste Mal nach Bad Neuenahr mit. Ich würde mich freuen.“

      „Ich denke auch, dass es dann klappen wird.“

      „Du fehlst mir, Lisa. Wirklich. Mit niemandem habe ich so viel Spaß wie mit dir.“

      „Geht mir genauso. Genieße jetzt dein Wochenende. Geh in die Sauna, und lass dich verwöhnen. Du kannst dringend etwas Entspannung gebrauchen. Vielleicht liest du auch mal ein Buch, anstatt nur Fachliteratur. Und … Julia … bleib vom Roulette-Tisch weg. Du hast in der letzten Zeit einfach kein Glück.“

      „Ich passe auf! Mach dir keine Sorgen“, beschwichtige ich sie.

      Mir ist der Gedanke unangenehm, wie viel Geld ich ihr schulde. Von meinem Plan erzähle ich ihr nichts. Sie würde ihn mir nur ausreden wollen.

      Als Informatikerin denkt sie so schrecklich logisch. Von meinen Berechnungen und strategischen Spielzügen hält sie absolut nichts.

      Doch ich habe selbst mehrfach erlebt, wie ich mit kleineren Einsätzen und meiner Spieltechnik gewonnen habe. Ich darf mich nur nicht ablenken lassen, keine anderen Spielzüge zwischendurch machen und ganz wichtig: Ich muss früh genug nach einem Gewinn den Spielsaal verlassen.

      Ich verstaue den Koffer in meinem Mercedes Cabrio. Mit einem leisen Brummton verschwindet das Verdeck in den Kofferraum. Mein knatschrotes Auto war immer mein Kindheitstraum gewesen. Vor fünf Jahren hatte ich es kaum fassen können, als ich ihn als Jahreswagen ergattern konnte.

      Laut drehe ich die Musik im Autoradio auf, fahre unsere Auffahrt runter und