Tartana Baqué

PURPURUMHANG


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an Mädchen denkt. “

      Aber was passiert mit allen kleinen Jungen, die Vincent heißen? Ich höre schon die Eltern, die sich bei mir melden, weil ihr Kind in der Schule gemobbt wird.

      Aber hat im Leben nicht alles immer positive wie auch negative Auswirkungen?

      Zum Beispiel die Erfindung des Autos: Sie ist gut, weil wir mit Fahrzeugen große Entfernungen überwinden können. Sie ist schlecht, weil die Autoabgase unsere Luft verpesten und Menschen durch Verkehrsunfälle sterben.

      Oder die Atomkraft: Sie ist gut, weil wir damit sehr viel Energie und Strom erzeugen. Sie ist schlecht, weil diese Kraft Städte, wie z. B. Osaka, ausrotten kann. Auch bei natürlichen Dingen wie unserer Nahrung, egal ob man Fleisch, Süßigkeiten oder Gemüse nimmt. Auch hier gilt: Es ist gut, was wir essen, weil wir ohne Nahrung nicht leben können. Aber sie ist ebenso schlecht, weil wir dadurch auch Allergien entwickeln könnten oder zu dick werden.

      Bei Köln-Rodenkirchen geht‘s auf die Autobahn. Der Fahrtwind zerzaust mein Haar, und die Sonne scheint mir ins Gesicht.

      Okay, ich gebe es zu: Ich fühle mich wie die Hauptdarstellerin in einem Rosamunde Pilcher-Film. Ich erfülle das absolute Klischee! In ihren Filmen fahren alle Hauptdarsteller ein Cabrio.

      Ich drehe das Radio leiser.

      Auch wenn es mir davor graut, aber ich muss Peter anrufen, denn wir hatten abgesprochen, dass ich heute für ihn die Praxisabrechnung mache.

      Ich klicke seinen Namen auf der automatischen Wahlwiederholung in meinem Auto an.

      „Julia? Was gibt‘s?“, höre ich seine Stimme, die seltsam angespannt wirkt.

      „Sorry, Peter. Nur ganz kurz. Ich bin auf dem Wege nach Bad Neuenahr. Ich habe die Gemüsesuppe in den Kühlschrank gestellt. Frisches Baguette ist auch da. Sonntagmittag bin ich wieder zurück.“

      „Wie stellst du dir das vor? Du weißt doch, dass du am Monatsende die Abrechnung für meine Privatpatienten machen musst.“

      „Ja, ja. Mach kein Drama. Ich habe mir den Sonntagnachmittag dafür freigehalten.“

      „Fährt Lisa mit? Oder spielst du wieder?“

      Ich höre seinen typischen Zischlaut. Er entsteht, wenn Peter die Luft zwischen seinen Zähnen rauspresst.

      „Du weißt, dass ich absolut gegen deine Spielerei bin. Von mir bekommst du keinen Cent mehr. Und deine Mutter hat angedeutet, dass du dir Geld von ihr geliehen hast.“

      „Spiel du mal schön weiter Golf “, falle ich ihm ins Wort. „Wir können ja mal die Kosten gegenrechnen. Gerade wurde der Jahresbeitrag deines Luxusvereins erhöht. Wenn ich mir mal eine Auszeit in den Ahr-Thermen nehme, brauchst du nicht gleich los zu meckern.“

      „Julia, lenk nicht ab. Du bist fast jedes Wochenende weg.“

      „Und du?“ Ich stocke und meine Worte kommen kurz. „Du, du bist den ganzen Mittwochnachmittag und Freitag ab 4: 00 Uhr auf dem Golfplatz. Ich sitze ich am Wochenende allein zu Hause rum oder arbeite. Auch noch für dich.“

      „Ich will jetzt nicht mit dir diskutieren.“ Seine Stimme wird schärfer. „Wenn du deine Pflichten als Ehefrau erfüllen würdest, wäre ich auch öfter zu Hause. Mit deiner Gefühlskälte jagst du mich aus dem Haus.“

      Ich schlucke.

      „Du brauchst mich jetzt nicht fertigzumachen“, brülle ich los. Tränen steigen mir in die Augen, fest umklammere ich das Lenkrad. „Ich habe dir immer den Rücken freigehalten. Wer macht dir denn jeden Monat die Abrechnung?“

      Ich höre sein Schnaufen, und bevor er mich anschnauzen kann, sage ich schnell: „Peter, ich bin jetzt im Auto. Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren. Ciao.“

      Abrupt drücke ich die Telefontaste am Lenkrad.

      Es ist immer dasselbe. Wieso habe ich ihn überhaupt angerufen?

      Mist, jetzt heule ich wieder. Wieso lasse ich mich von ihm in die Enge treiben?

      Nach vierundzwanzig Ehejahren sollte ich doch darüberstehen. Und ich, dumme Kuh, mache ihm noch an meinem freien Sonntag die Abrechnung. Es ist seine Praxis und nicht meine.

      Wütend auf mich und auf ihn trete ich mit aller Wucht auf das Gaspedal. Der Mercedes macht einen Satz. Der Tacho zeigt hundertsechzig Stundenkilometer. Die Autobahn ist frei. Leitplanken, Bäume und Sträucher fliegen an mir vorbei. Der Fahrtwind lässt meinen Wagen erzittern. Ich nehme den Fuß vom Gas und fahre diszipliniert die letzten zwanzig Kilometer nach Neuenahr. Mit Schwung fahre ich auf den Vorplatz des Spielcasinos. Gerade fährt ein gelber Porsche weg, und ich kann direkt vor dem Eingang parken. Die Parkgebühren habe ich schon mal gespart. Ins Hotel checke ich später ein. Vielleicht kann ich mir heute die Suite leisten, und nicht, wie sonst, das einfache Einzelzimmer.

      Im Rückspiegel überprüfe ich mein Aussehen. Ich ziehe meine Lippen nach und kämme mir die zerzausten Haare glatt. Lisa hatte mir vorgeschlagen, dass ich meine Haare schwarz färben soll. Aber ehrlich gesagt, bin ich zu faul dazu. Wenn man erst mit dem Färben anfängt, dann muss man dranbleiben. Die paar grauen Haare und die paar weißen Haare an meinen Schläfen finde ich noch nicht so schlimm. Ich schüttle den Kopf und mein schulterlanges Haar fällt mir locker auf die Schultern. Fertig. Ich bin bereit für meinen großen Auftritt.

      Das Jugendstil-Casino mit seinen Türmchen mag auf manche Menschen kitschig wirken, doch ich finde es wunderschön. Immer, wenn ich die große Freitreppe heraufschreite und durch die Eingangstüre das Spielcasino betrete, fühle ich mich wie in einer Märchenwelt.

      Lisa und ich fahren seit zwei Jahren regelmäßig nach Bad Neuenahr. Am Anfang spielten wir manchmal aus Spaß und beobachteten die Leute, die total verbissen an den Spieltischen standen. Seit Lisa nicht mehr so oft mitfahren kann, analysiere ich das Roulette-Spiel systematisch.

      Ich gebe zu, in der letzten Zeit spielte ich jedes Wochenende. Aber warum soll ich allein zu Hause zu bleiben? Dazu habe ich keine Lust. Peter ist auf dem Golfplatz. Früher bin ich öfter mit ihm gegangen, aber er hat mich wegen meines schlechten Abschlags geärgert und mich sogar vor seinen Freunden bloßgestellt. Darum spiele ich nicht mehr Golf. Seit mehr als zwei Jahren geht jeder von uns seine eigenen Wege.

      „Guten Tag, Frau Bergheimer“, begrüßt mich die Garderobiere mit einem strahlenden Lächeln, „schön, Sie wiederzusehen.“

      „Hallo Frau Schmidt, wie geht es ihnen?“

      Ich mag sie, weil sie immer freundlich ist. Bei meinem letzten Besuch hatte sie mir erzählt, dass sie im Dezember achtundsechzig Jahre alt wird. Sie muss als Fünfundzwanzig-Stundenkraft im Casino arbeiten, weil sie von ihrer Rente nicht leben kann.

      „Es muss, Frau Bergheimer, es muss“, sie nimmt mir meinen Mantel ab, „viel Glück heute Abend.“

      „Danke, werde ich haben.“ Siegessicher lächle ich sie an.

      Meine Handtasche fest unter meinen rechten Arm geklemmt, schreite ich durch die Eingangshalle. Ich gehe vorbei an den einarmigen Banditen, die in allen Farben leuchten und die unterschiedlichsten grellen Töne produzieren. Fast alle Plätze sind an den Maschinen besetzt, obwohl es erst früher Nachmittag ist. Ich verstehe die Leute nicht, die von solchen Spielautomaten abhängig sind. Sie sind der Willkür der Automaten ausgesetzt. Es ist reine Glückssache, ob sie gewinnen oder verlieren.

      Alle vier Kassen sind offen. Hinter dicken Glasscheiben sitzen die Angestellten in ihren Uniformen. Ich stelle mich bei der Kasse 1 an.

      „Tausend Euro. Bitte fünf in Hunderter und zehn in Fünfziger Chips“, weise ich den Kassierer an.

      Ich reiche ihm meine Kreditkarte durch den unteren Schlitz. Gewissenhaft zählt er die blauen und goldenen Jetons laut ab. Einen Stapel nach dem anderen schiebt er mir durch den Spalt zu.

      Die goldenen Fünfziger Plastikstücke lasse ich in meiner Kostümjacke verschwinden, weil ich in den tiefen Taschen genügend Platz für die Chips habe. Die blauen Hunderter stecke ich mit meiner Visakarte