Tartana Baqué

PURPURUMHANG


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Ansage des Croupiers.

      Endlich, endlich habe ich gewonnen!

      Jetzt beginnt bestimmt meine Gewinnsträhne.

      Den Einsatz ziehe ich ab und lasse fünf Blaue auf Rot stehen. Mein Verlust ist zu hoch. Jetzt kann und darf ich nicht aufhören.

      Mir stockt der Atem. Mein Herz klopft wie wild.

      Fast wäre die Kugel auf Zero gefallen. Sie macht jedoch einen großen Satz, überspringt die rote 7 und landet in der schwarzen 8.

      Tränen steigen mir in die Augen. Schnell senke ich meinen Kopf und ziehe meine Haare ins Gesicht.

      Bloß nicht schlappmachen.

      Ich bin so weit gegangen, jetzt kann ich auch die letzten Chips setzen. Nichts außer einem Gewinn kann mich noch retten. Wahllos setze ich – und verliere.

      Ich atme tief durch. Packe meine restlichen Jetons auf den Tisch. Versuche einen Neustart. Ordentlich schreibe ich die Zahlen in meine Kladde. Suche einen Rhythmus, dem ich folgen kann. Aber ich finde keinen Einstieg ins Kolonnenspiel. Sinnlos setzte ich hier und dort. Jage verzweifelt meinem Gewinn hinterher.

      Mit teilnahmsloser Miene zieht der Croupier meinen letzten Blauen von dem roten Feld mit den anderen Jetons zu sich heran.

      Mit Mühe unterdrücke ich den Impuls, nach meinem Chip zu greifen. Will nicht zulassen, dass die große Harke ihn mir endgültig wegnimmt. Am liebsten würde ich dem Croupier zurufen, dass er ihn mir zurückgeben soll.

      Weil es mein letzter ist.

      Weil ich das Hotel nicht bezahlen kann.

      Weil ich eigentlich gar nicht spielen wollte … weil ich alles verloren habe.

      Mit flinken Fingern sortiert der Casinoangestellte die vielen bunten Chips nach Farben in die Holzkästen. Plastikstücke für ihn. Geld, Verlust, Zukunft und Leben für mich.

      Der Mann neben mir nimmt einen blauen Jeton von seinem Gewinnstapel.

      „Ein Stück für Sie!“, dröhnt es in meinen Ohren.

      Mit seinem Rateu fängt der Croupier den Hunderter geschickt auf und lässt ihn in einem besonderen Schlitz im Spieltisch verschwinden.

      Meinen finanziellen Tod scheint niemand bemerkt zu haben. Oder?

      Mir gegenüber schaut mich eine Frau im schwarzen Kleid mit großen Augen an. Zeigt sich Mitleid in ihrem Gesicht?

      Ruckartig stehe ich auf. Nicht losheulen. Keiner soll merken, dass ich verloren habe. Alles verloren habe.

      Mit steifen Schritten, den Kopf leicht nach unten geneigt, gehe ich aus dem Spielsaal. Leises Gemurmel erfüllt den Raum. Nur die Ansagen der Croupiers und das Klackern der Kugeln sind zu hören.

      Wie in Trance verlasse ich den Spielsalon. Unbeachtet, als wäre ich nie hier gewesen.

      Eine andere Garderobiere reicht mir meinen Mantel, wünscht mir einen guten Abend.

      Ich will nur noch weg. Der Schock hat mich nüchtern gemacht.

      2

      Ich eile, nein, ich renne zu meinem Auto. Bloß weg von hier. Mit zitternden Händen drehe ich den Zündschlüssel um. Der Motor heult auf. Mit quietschenden Reifen verlasse ich den Parkplatz.

      Mein Leben ist ein Scherbenhaufen.

      Mein heißgeliebtes Auto! Ich werde es verkaufen müssen.

      Mein Kopf ist leer. Meine Augen brennen.

      Irgendwann stehe ich vor unserer Villeneinfahrt auf der Maiglöckchen Straße. Wie ich gefahren bin? Ich weiß es nicht. Mein Auto hat mich gefahren.

      Meine Beine sind schwer wie Blei, als ich die Auffahrt hochgehe. In unserem Schlafzimmer sehe ich Licht.

      Mist, Peter ist zu Hause! Das hat mir gerade noch gefehlt!

      Ich krame in meiner Handtasche. Warum muss der Haustürschlüssel immer ganz unten in einer Ecke versteckt sein?

      Aber läuten will ich auf keinen Fall. Jetzt bloß keine blöden Fragen beantworten müssen.

      Endlich spüre ich das kalte Metall des Schlüssels und schließe die Türe auf.

      Das Flurlicht schaltet sich ein, und Peter steht am unteren Treppenabsatz, die Haare völlig zerzaust.

      „Wieso bist du denn schon hier?“, faucht er mich an, dabei zupft er mit beiden Händen sein T-Shirt zurecht.

      „Lass mich in Ruhe“, antworte ich betont ruhig und quetsche mich mit dem Koffer an ihm vorbei.

      Im ersten Stock öffne ich die Schlafzimmertüre.

      Im Halbdunkel stoße ich mit jemanden zusammen. Panik steigt in mir hoch. Ich lasse den Koffer fallen und greife zum Lichtschalter. Grell leuchtet die Deckenlampe auf.

      Linh steht vor mir. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie mich an. Ihre Hände drücken das bisschen Stoff, genannt Nachthemd, an ihren Busen. Ihr nackter Po, ist umso besser zu sehen.

      Linh? Ich kenne sie. Sie ist die vietnamesische MTA aus Peters Praxis.

      Es ist mir nie der Verdacht gekommen, dass sie etwas mit Peter haben könnte.

      Peter schubst mich beiseite und baut sich vor mir auf, sodass ich Linh nicht mehr voll im Blick habe.

      „Ich sehe, du hast wieder gespielt! Und verloren! Leugnen ist zwecklos!“, schimpft er und fuchtelt dabei wild mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum.

      Irritiert blicke ich ihn an.

      Spinnt er? Was redet er da? Er betrügt mich. Er ist der Schuldige.

      „Lenk‘ bloß nicht ab“, drohe ich ihm und hole tief Luft. Meine Stimme überschlägt sich, als ich losbrülle: „Ich will sofort, dass sie geht!“

      Dabei recke ich meinen Kopf hoch und balle meine Hände zu Fäusten. „Und du … du kannst gleich mit verschwinden.“

      „Ich gehe, wann ich will. Das ist mein Haus. Du wirst mich mit deiner Spielsucht nicht in den Ruin treiben“, schreit Peter zurück, und seine grauen Augen schimmern wie Eisberge: „Ab sofort sperre ich unsere gemeinsamen Konten. Am besten ich informiere auch noch den Westdeutschen Rundfunk darüber, was sie für eine feine Psychologin unter Vertrag haben!“

      Ich stehe da wie in Stein gemeißelt. Begreife die Welt nicht mehr.

      Peter schnappt sich seine Jeans und sein blaues T-Shirt. Ohne meine Antwort abzuwarten, wirft er Linh ihre Kleider zu. Schiebt sie an mir vorbei zur Tür.

      „Du wirst noch von mir hören“, brüllt er und poltert die Treppen herunter. Mit einem dumpfen Knall fällt die Haustüre ins Schloss.

      Totenstille.

      Immer noch stehe ich da. Bewegungslos. Bin wie erstarrt. Langsam löst sich in mir ein Schrei. Laut hallt er durchs Haus und endet in einem heftigen Schluchzen. Wie ein angeschossenes weidwundes Tier, sacke ich zusammen. Bin nur noch ein Häufchen Elend auf dem kalten Parkettboden.

      Wie lange ich dort gelegen habe, weiß ich nicht. Starr vor Kälte schleppe ich mich nach unten in die Küche. Wie ferngesteuert mache ich mir einen Pfefferminztee. Mit der heißen Tasse in den Händen gehe ich ins Wohnzimmer. Lasse mich auf die Couch fallen. Stopfe zwei Kissen hinter meinen Rücken und kuschle mich in die Tigerfelldecke. Zum Schluss packe ich mir mein Lieblingskissen auf meinen Bauch. Die Hitze der Tasse erwärmt langsam meine Hände.

      Ist das alles nur ein böser Traum?

      Fast bin ich geneigt, mich zu kneifen. Aber ich weiß es nur allzu gut: Es ist wahr. Alles ist passiert. Ich fühle mich wie in einem der schlimmsten Szenarien eines Films.

      Nur das hier ist real.

      Langsam tauchen Erinnerungsfetzen auf. Ich höre Peters laute Stimme, wie er mich anklagt. Sehe in das erschrockene Gesicht von Linh. Die Tragweite der Geschehnisse