Tartana Baqué

PURPURUMHANG


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der Gewinn.

      Gedämpftes Licht umfängt mich, als ich den vorderen Bereich des Spielsaals betrete. Bodenlange beigefarbige Samtvorhänge verdecken die Sicht nach draußen. Der weinrot gemusterte Teppichboden verschluckt meine Schritte. Nur das Klackern der Kugeln und die Ansagen der Croupiers und zwischendurch das Jubeln eines Gewinners nehme ich wahr. Die prächtigen Kronleuchter verbreiten zeitlose Eleganz. Es ist, als ob die Zeit stillsteht, Tag und Nacht ohne Bedeutung.

      „Möchten Sie etwas trinken?“, fragt mich ein Kellner.

      „Gern. Bringen Sie mir einen trockenen Sekt an Tisch 10. Und, bitte extra Eiswürfel dazu.“

      Er hebt seine Augenbrauen. „Der Sekt kommt direkt aus dem Kühlschrank!“

      „Ich weiß“, antworte ich. „Bitte bringen Sie mir trotzdem Eis.“ Ihm zu erklären, dass ich mein Getränk mit Eis besser vertrage und nicht so schnell beschwipst bin, führt nur zu endlosen Diskussionen. Ich habe das schon oft genug erlebt. Alle meine Freundinnen, die ebenfalls den Sekt wie ich trinken, bleiben dabei.

      An Tisch 10 wird direkt am Ende des Spieltischs ein Platz frei. Für mein Kolonnen-Spiel äußerst günstig, denn so habe ich die drei Spielreihen direkt vor mir. Ich setze mich auf den Stuhl und öffne den obersten Knopf an meinem Rockbund. Auf die Dauer wird mein Magen zu sehr eingeschnürt, und ich habe dann Schmerzen. Ich blicke in die Runde. Keiner meiner Mitspieler ist mir bekannt. Gut so. Den Croupier habe ich öfter gesehen. Ich nicke ihm kurz zu. Wortlos erwidert er meinen Gruß. Man kennt sich, aber man hält Distanz. Es wird im Casino nicht gern gesehen, dass man mit den Angestellten vertraut ist.

      Langsam lasse ich zwei Eiswürfel in mein Glas gleiten, wobei ich höllisch aufpassen muss, dass der Sekt nicht überschäumt. Soviel zu der Ansage: Der Sekt kommt aus dem Kühlschrank!

      Von der Anzeigetafel schreibe ich mir die letzten Zahlen ab. Damit ich weiß, welche Kolonnen am häufigsten gekommen sind, ordne ich sie gleich den richtigen Reihen zu. Zwei Spielrunden warte ich ab. Trinke einen Schluck aus meinem Sektglas.

      Ich bin voll da und konzentriert.

      Zuerst lege ich einen Chip auf das linke und einen zweiten auf das rechte Kolonnenfeld direkt vor mir. Die Mitte lasse ich frei. Es kommt die „1“. Meine linke Kolonne gewinnt. Meinen Chip lasse ich liegen. Meinen rechten Jeton zieht der Croupier mit seinem Rateu ein. Er wirft mir meinen Gewinn, zwei Stück zu. Reingewinn: 1 Chip, den ich sofort in die zweite meiner Jackentaschen verschwinden lasse. Ich lächle. Super, so kann es weitergehen.

      Eine ältere Frau mit weißen Haaren und knallrot geschminkten Lippen sitzt mir schräg gegenüber. Sie nickt mir kurz zu.

      Wie ich sehe, spielt sie auch Kolonne. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, entsteht zwischen uns eine Gemeinschaft, wir kämpfen um den Sieg. Mal schauen, ob ich ihr folge, wenn sie die Reihen wechselt.

      Zwei Stunden spiele ich nun schon, und meine linke Jackentasche beult sich langsam aus.

      Ich mache eine Pause und gehe an die Bar.

      Vorsichtig hole ich meine Chips aus meiner Tasche und staple sie vor mir. Fünfhundert Euro habe ich gewonnen.

      Was soll ich tun? Weitermachen oder Aufhören?

      Ich blicke auf die Uhr. 18: 00 Uhr. Zu früh, um ins Hotel zu gehen. Ich will meine Glückssträhne ausnutzen. Bisher lief alles so gut, genau wie ich es erwartete habe. Ich bestelle mir noch ein Glas vom offenen Sekt und esse ein Sandwich mit Lachs und Gürkchen. Dann kehre ich in den Spielsalon zurück.

      Mein alter Platz ist besetzt. Nach einigem Suchen finde ich an Tisch 12 einen freien Stuhl. Jetzt sitze ich direkt vor der roten Spielfläche Rouge, links neben mir die Kolonen. Sorgfältig schreibe ich den Verlauf von der Anzeigetafel wieder ab und beobachte das Spiel. Der Lautstärkepegel ist enorm gestiegen, denn es ist 20: 00 Uhr, und alle Spieltische sind geöffnet.

      Aber ich konzentriere mich auf mein Spiel. Da ich mehr und schneller gewinnen will, setze ich nun meine blauen Hunderter-Chips. Neben dem Croupier bemerke ich einen älteren Mann im hellbauen Anzug, der mich dauernd anschaut. Bei meinem nächsten Gewinn nickt er mir freundlich zu und winkt einen Kellner heran. Kurz drauf bringt mir ein junger Mann ein Glas Sekt.

      „Herr Winterthur hat Ihnen diesen Drink spendiert“, informiert er mich.

      Herr Winterthur hebt sein Glas und lächelt mich an.

      Mir ist das unangenehm. Ich will hier spielen, nicht flirten. Abgesehen davon, dass dieser schmalzige Typ mit seinem Lippenbärtchen absolut nicht mein Fall ist. Aber ich will nicht unhöflich sein. Ich hebe mein Sektglas und bedanke mich mit einem Lächeln. Allerdings bitte ich den Kellner, mir noch Eiswürfel zu bringen.

      Schleppend ist diesmal mein Spiel. Ich gewinne und verliere im Wechsel.

      Eine vollbusige Lady setzt sich neben mich, sie kann die Aufmerksamkeit meines Verehrers auf sich lenken. Ich bin erleichtert.

      Vor zwei Wochen hatte ich einen Typen im Spielkasino kennengelernt, der unbedingt mit mir ins Hotel wollte. So etwas will ich heute auf keinen Fall erleben.

      Plötzlich quetscht sich ein Mann zwischen mich und meine Sitznachbarin. Er rammt mir seinen Ellbogen in den Rücken. Hastig wirft er drei blaue Chips auf Rot.

      Ich reibe mir die schmerzende Stelle.

      „Sorry, tut mir leid“, sagt er und wischt sich mit einem großen Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Dicht bleibt er hinter mir stehen.

      Wie ich das hasse! Ich spüre seinen heißen Atem im Nacken.

      Andere Spieler wechseln auch auf Rot. Das Feld ist überladen mit blauen, roten und sogar violetten Chips. Ich schaue auf die Anzeigentafel. Zehnmal ist Schwarz hintereinander gekommen. Das ist schon eine ganze Menge! Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie von D‘Alembert müsste jetzt Rot kommen. Denn so wie ich seine Theorie verstanden habe, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Rot kommen muss, je häufiger Schwarz fällt.

      „Faites vos jeux“, ruft der Croupier und dreht den Kessel. Das ist meine Chance!

      Schnell lege ich zwei blaue Chips auf Rot.

      „Rien ne va plus“, kommt die Ansage, und der Casino Angestellte wirft die Kugel in entgegengesetzter Richtung in die Roulette Schale. Kein Laut ist am Tisch zu hören, nur das Klackern der Kugel. Nach mehreren Hüpfern bleibt sie im Fach der schwarzen 29 liegen.

      Verloren! Mist!

      Meine Wangen brennen.

      Der Dicke hinter mir ist verschwunden.

      Ich darf jetzt nicht aufgeben. Ich muss verdoppeln. So viel Geld habe ich noch. Es wäre ja gelacht, wenn ich mir meinen Verlust nicht zurückhole.

      Erneut rollt die Kugel. Sie fällt in das Fach der roten 1 … und … springt in die schwarze 24.

      Ich ziehe meinen hochgerutschten Rock zurecht. Mein Nacken tut mir weh. Ich überlege kurz, aufzustehen und eine Pause zu machen. Aber jetzt müsste Rot kommen. Bei so viel Schwarz!

      Es ist zum Verrücktwerden!

      Wieder fällt die Kugel in ein schwarzes Fach.

      Meine Handtasche ist leer. Der Griff in die Jackentasche beruhigt mich. Noch habe ich einige Chips.

      Mein Schädel brummt. Wie Libellen, die über dem Wasser tanzen und sich nicht vorwärtsbewegen, flirren meine Gedanken in meinem Kopf.

      Ich darf nicht aufgeben! Jetzt keine Panik!

      Ich werfe dem Croupier meine Praxiskreditkarte zu.

      „Zehn Hunderter!“, höre ich mich sagen.

      Ein No-Go, das weiß ich.

      Ich sehe mich handeln, wie aus der zweiten Reihe. Setze, verliere, setze. Noch einmal fünf Blaue auf Rot!

      „Rien ne va plus!“

      Ich verknote meine Hände, bis meine Knöchel weiß hervortreten. Wage nicht die Augen zu erheben.

      Klack,