deine Einschätzung, bitte.“
Shavitz nickte. „Gerne.“
Er nahm eine Fernbedienung aus der Tasche und wandte sich zu dem großen Bildschirm am Ende des Konferenztisches. Ein Video eines Raketenstarts von einer grünen mobilen Raketenplattform erschien.
„Der Libanon verfügt nun über die Fateh-200. Wir haben bereits seit einiger Zeit vermutet, dass –“
„Seit einiger Zeit vermutet? Seit wann?“, unterbrach ihn Yonatan.
Shavitz blickte ihn an. „Wie bitte?“
„Seit wann vermutet ihr, dass die Hisbollah das Fateh-200-Waffensystem besitzt? Ich habe nie auch nur einen Bericht darüber gesehen, und ich wurde auch nie informiert, dass es so einen Bericht gibt. Ich habe erst davon gehört, als auf einmal hochexplosive Langstreckenraketen Wohngebäude in Tel Aviv zum Einsturz gebracht haben.“
Einen langen Moment war alles still. Die anderen Männer im Raum blickten Yonatan Stern und Efraim Shavitz an.
„Wie dem auch sei, sie haben sie jetzt“, sagte Shavitz.
Yonatan nickte. „Ja, in der Tat. Und der Iran … Was haben sie für Fähigkeiten?“
Shavitz zeigte mit dem Finger auf Yonatan. „Bring bloß nicht die konventionellen Waffen der Hisbollah mit der atomaren Bedrohung durch den Iran zusammen, Yonatan. Wir haben dir gesagt, dass der Iran an Atomwaffen arbeitet. Wir kennen die Standorte. Wir kennen die Leute, die sie einsetzen. Wir wissen ungefähr, um wie viele Sprengköpfe es sich handelt. Seit Jahren erzählen wir dir von dieser Bedrohung. Wir haben einige gute Leute verloren, um an diese Informationen zu gelangen. Dass du nicht gehandelt hast, ist weder meine Schuld, noch die des Mossad.“
„Es gibt für alles politische Konsequenzen“, erklärte Yonatan.
Shavitz schüttelte seinen Kopf. „Dafür bin ich nicht zuständig. Nun, wir glauben jedenfalls, dass der Iran bis zu vierzehn Sprengköpfe besitzt, auf drei Standorte verteilt, sehr wahrscheinlich tief im Untergrund. Vielleicht haben sie auch gar keine. Es könnte alles eine Lüge sein. Aber auf jeden Fall sind es nicht mehr als vierzehn.“
„Und wenn sie sie tatsächlich besitzen, alle vierzehn?“
Shavitz zuckte mit den Schultern. Eine Haarlocke verrutschte auf seinem frisierten Kopf, was sehr untypisch für ihn war. Stern dachte, dass er sich besser noch einmal kämmen sollte, bevor er seinen Nachtclub betrat. „Und wenn sie sie starten?“
Yonatan nickte. „Genau.“
„Dann werden wir ausgelöscht. Ganz einfach.“
„Wie sehen unsere Optionen aus?“
„Sehr beschränkt“, sagte Shavitz. „Ich denke, alle Anwesenden wissen, was unsere Möglichkeiten sind. Wie unser eigenes nukleares, konventionelles und Luftwaffenarsenal aussieht. Wir könnten einen massiven Präemptivschlag auf alle bekannten iranischen und syrischen Raketensilos und alle iranischen Luftwaffenstützpunkte starten. Wenn wir alles einsetzen, was wir haben und uns perfekt koordinieren, könnten wir das Militär des Iran und von Syrien komplett zerstören und sie zurück ins Mittelalter katapultieren. Du musst mir allerdings nicht erklären, was das für weltweite Konsequenzen haben würde.“
„Was ist mit einem kleineren Angriff?“
Shavitz schüttelte seinen Kopf. „Wofür? Jeder Angriff, nach dem der Iran noch über seine Raketen verfügt, oder nach dem sie noch immer Kampfjets in der Luft haben, oder der auch nur eine einzelne Atombombe intakt lässt, wäre ein Desaster für uns. Während wir eingeschlafen sind, Premierminister, oder damit beschäftigt waren, unseren Freunden lukrative Regierungsaufträge zukommen zu lassen, waren die Iraner fleißig wie die Ameisen und haben ein unglaublich solides Raketenarsenal aufgebaut, für genau so einen Fall, wie wir ihn jetzt vor uns haben.
„Die Fajir-3 ist ein Präzisionssystem und kann so gut wie nicht abgewehrt werden. Das Shahab-3-Programm verfügt über genug Raketen, Feuerkraft und Reichweite, um jeden Quadratzentimeter Israels zu bombardieren. Die Ghadr-110, die Ashoura, die Sejjil und die Bina-Systeme können uns allesamt erreichen und bestehen aus tausenden von individuellen Projektilen und Sprengköpfen. Und, auch wenn das unsere geringste Sorge im Moment ist, sie arbeiten immer noch an der Simorgh-Rakete, ein satellitengestütztes System, das sich gerade in der Testphase befindet und innerhalb des nächsten Jahres einsatzfähig sein wird. Wenn sie das einmal fertig haben …“
Shavitz seufzte. Die anderen Anwesenden schwiegen betreten.
„Was ist mit unseren Schutzbunkern?“
Shavitz nickte. „Sicher doch. Angenommen, die Iraner bluffen und sie verfügen nicht über Atomwaffen. Trotzdem würden sie einen riesigen Angriff auf uns starten. Ein gewisser Prozentsatz unserer Einwohner würde es sicher rechtzeitig in die Bunker schaffen, einige der Bunker würden standhalten und anschließend würden einige Überlebende wieder hervorkriechen. Aber glaub nicht einen Moment lang, dass sie alles wiederaufbauen würden. Sie wären traumatisiert und hilflos und befänden sich inmitten einer zerbombten Mondlandschaft. Was würde die Hisbollah dann tun? Oder die Türken? Oder die Syrer? Oder die Saudis? Uns zu Hilfe kommen und die letzten Überreste der israelischen Gesellschaft retten? Das glaube ich nun wirklich nicht.“
Yonatan atmete tief durch. „Gibt es gar keine anderen Optionen?“
Shavitz zuckte mit den Schultern. „Nur eine. Die Idee der Amerikaner. Ein kleines Einsatzteam entsenden, herausfinden, ob die angeblichen Atombomben überhaupt existieren und dann ihren Standort bestätigen. Anschließend kommen amerikanische Bomber und starten Präzisionsschläge auf diese Standorte, entweder mit unserer Unterstützung oder nicht. Wenn die Amerikaner es schaffen, die nukleare Bedrohung auszuschalten, würden die Iraner vielleicht zögern.“
Yonatan gefiel diese Idee ganz und gar nicht. Er wusste, wie viele Männer sie bereits verloren hatten, wertvolle und fähige Agenten, die auf Missionen wie diesen ihr Leben gelassen hatten. Er würde abwarten müssen, während die Agenten untertauchten und Funkstille herrschte. Er würde erst wissen, ob sie etwas erreicht hätten, wenn sie wiederauftauchten – wenn sie denn überhaupt jemals wiederauftauchten. Yonatan gefiel der Gedanke an diese Warterei nicht – nicht, wenn die Zeit nicht auf ihrer Seite stand und der Iran jederzeit seinen Angriff starten konnte.
Außerdem gefiel Yonatan diese Idee nicht, weil sie scheinbar direkt aus Susan Hopkins‘ Weißem Haus kam. Hopkins hatte keine Ahnung, in was für einer Lage sich Israel befand und es schien sie auch nicht besonders zu kümmern. Sie war wie ein Papagei, dessen Besitzer ihr nur zwei Worte beigebracht hatte.
Die Palästinenser. Die Palästinenser. Die Palästinenser.
„Wie stehen die Chancen, dass eine solche Mission erfolgreich wäre?“, fragte Yonatan.
Shavitz schüttelte seinen Kopf. „Sehr, sehr gering. Aber es zu versuchen würde die Amerikaner zufriedenstellen und ihnen zeigen, dass wir uns zurückhalten. Wenn wir der ganzen Sache ein Zeitlimit aufsetzen, sagen wir achtundvierzig Stunden, wäre das vielleicht keine schlechte Idee.“
„Haben wir denn so viel Zeit?“
„Wenn wir den Iran strengstens nach Anzeichen eines Erstschlags überwachen und unseren eigenen Angriff nach Punkt achtundvierzig Stunden starten, sollte es in Ordnung sein.“
„Und wenn die Agenten getötet oder gefangen genommen werden?“
„Das Team wird aus Amerikanern bestehen, vielleicht mit einem israelischen Führer, der Einsatzerfahrung im Iran besitzt. Unser Mann wird ein Undercoveragent sein, der keine Identität besitzt. Falls irgendetwas schief geht, können wir einfach jegliche Beteiligung unsererseits abstreiten.“
Shavitz hielt einen Moment lang inne. „Ich weiß auch schon, wer perfekt für diesen Einsatz geeignet ist.“
KAPITEL ELF
12:10 Uhr Eastern Standard Time
Joint Base Andrews
Prince George’s County, Maryland
Der