Christopher Ecker

Fahlmann


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wie städtischer Gebühren (Friedhof, Sterbeurkunde, Träger) und einer Todesanzeige, deren Formulierung mir obliegt. Ich habe einen Ordner angelegt, da steht alles drin – vom simplen Hier ruhen die irdischen Reste meines zu früh entschlafen Gatten bis zum blitzgescheiten Hodie mihi, gras tibi für den Herrn Doktor Schlauberger.

       Außerdem», zitierte ich aus unserer Werbebroschüre, um Winkler zu beeindrucken, «beinhalten die Preise innerörtliche Überführung, Sargausstattung (Decke, Kissen, Standardbekleidung), Einbetten, Erkennungskreuz, Deckelkreuz, Deckelstrauß, Erledigung aller Formalitäten und Besorgungen sowie Betreuung vor, während und nach der Trauerfeier, was natürlich völliger Stuss ist. Betreuung nach der Trauerfeier! Ich weiß nicht, was Onkel Jörg sich dabei gedacht hat! Etwas teurer als der Einfache Kiefernsarg ist unser Kiefernsarg, hier muss man schon 1.825,– DM berappen. Wesentlich kostspieliger sind altdeutsche Eichensärge und besonders die schicken Designersärge in italienischer Bauart. Ein Nussbaumsarg kostet 4.395,– DM, ein Mahagonisarg 5.330,– DM, aber der absolute Spitzenreiter ist ein Geschoss mit Wänden aus 6 cm starkem Nussbaumholz für satte 8.145,– DM, ein Prachtsarg, in dem sich, laut Katalog, die hohe Kultur eines noblen Stils spiegelt.» Das Thema begeisterte Winkler, aber bei jemandem, der glasige Augen bekam, wenn er von indizierten Splatterfilmen sprach («Einmalige Gelegenheit! US-Export!»), deutete eine unschuldige Frage wie «Was bitteschön ist ein Erkennungskreuz?» auf mehr als nur höfliches Interesse hin. «Eine Art Tafel», antwortete ich, «die anzeigt, wo der Tote liegt, bevor man den Grabstein aufstellen kann.» Winkler machte eine ungeduldige Handbewegung, und ich führte aus, dass man mit dem Aufstellen des Grabsteins einige Wochen warten müsse, bis sich der Boden gesetzt habe.

      Ob es normal ist, dass Menschen, zu denen man kein herzliches Verhältnis hatte, in der Erinnerung rascher zur Karikatur werden? Heute nämlich scheint mir der Schauspieler, der im Schattentheater meines Gedächtnisses den Winkler gibt, ein gnadenlos übertreibender, drittklassiger Schmierenkomödiant zu sein. Er bewegt sich schwerfällig; seine näselnde Sprechweise vermittelt den Eindruck ständigen Gekränktseins; er hängt in den Polstern des Wohnzimmersessels wie eine schlaffe Puppe, die sich bemüht, gleichzeitig wissend, gelangweilt und desinteressiert auszusehen. Auf der Suche nach der Bierdose krabbelt seine Hand spinnengleich über die Dielen … erst der Sessel hat Gestalt angenommen … auf einem Puzzlestück des Holzfußbodens … rotbraune Wellenlinien umgeben langgezogene Ovale … die Maserung ähnelt den Abbildungen von Höhenschichten in einem Schulatlas … unter den vorderen Sesselfüßen erkenne ich die Bierdeckelstapel, mit denen wir die leichte Neigung des Hauses ausgleichen – und da heben sich die Kulissen des restlichen Wohnzimmers aus dem Nebel, verlieren ihre Durchsichtigkeit und gehen vor Anker, während fleckige Dielen unter dem Sessel hervorschießen und am Bühnenrand auf eine hölzerne Scheuerleiste prallen, von der seit unserem Einzug die Farbe blättert. Man kann ihn bisweilen steuern, diesen rätselhaften Mechanismus des Erinnerns. Nun sehe ich das Wohnzimmer wieder klar vor mir, sehe Winkler, der mit dem Rücken zur geschlossenen Flurtür Hof hält; links von ihm führt eine angelehnte Tür in die Küche; ihm gegenüber steht die Couch, auf der ich mit übereinandergeschlagenen Beinen sitze – am jähen Abgrund des Orchestergrabens. In der Ecke hinter Winklers rechter Schulter nehmen die Blätter eines deckengreifenden Ficus benjamina dem ungeduldig hüstelnden Publikum den Blick auf meine «seriösen» Bücher; ein Platzanweiser mit weißem Haar deutet in nicht nachvollziehbarer Erregung auf Susannes Schreibtisch (rechter Bühnenhintergrund); davor erhebt sich der schwarze Turm der Stereoanlage; und vorne, fast schon auf der Vorbühne, rankt sich Topfefeu zum blinden Auge des Fernsehers hinab. Die Blumenampel ist fast so alt wie Jens (Susanne hat den Makramee-Kurs ein halbes Jahr nach seiner Geburt besucht um ihrer Schwangerschaftsdepression Herr zu werden) …

      WINKLER Du musst Vorell lesen!

      FAHLMANN Wen? Sinnend betrachtet er die Sacknaht am Filter seiner Zigarette.

      WINKLER schnaubend: Vergiss es! Lies weiter Karl May!

      FAHLMANN Ich lese nie Karl May!

      WINKLER Karl May ist klasse!

      Ich rieche den Qualm seines Zigarillos, sehe schwarzes, kurzes Haar, eine spitze lange Nase, er sieht wie ein dicker Igel aus, nein, Tiervergleiche sind nicht erlaubt, streichen wir den Igel. Winkler scheint einer Boulevardkomödie entsprungen zu sein: schmuddeliger Stoppelbart, Lederkette mit faustgroßem Mandala-Anhänger, offenes Hawaiihemd. Beugt er sich vor, sieht man speckige, spitze Brüste mit langen Haaren um die Warzen. «Karl May ist klasse!» Er springt auf, zieht die ständig rutschende Hose hoch und bückt sich so abrupt nach der Bierdose, dass sein Cord-Gilet emporfliegt, um ihm fledermausgleich in den ausrasierten Nacken zu flattern. Den eingedosten Fang gepackt plumpst Winkler in die Polster zurück, nimmt einen Schluck, unterdrückt einen Rülpser der Mittelgewichtsklasse und behauptet unvermittelt: «Connery trinkt als James Bond Dom Pérignon, der arme Roger Moore muss dagegen mit Bollinger Vorlieb nehmen. Aber was will man schon von einem Mimen erwarten, der ein Kassengestell auf der Nase hat!» – «Trägt Moore in den Bond-Filmen eine Brille?» – Winkler studiert die Nachtansicht von Paris über der Couch und ignoriert meine Frage. Nur selten gelang es mir, ihn so geschickt aufs Glatteis zu führen wie mit Roger Moores Brille. Meistens lauschte ich widerspruchslos. Winkler war zwar ein Schwindler, aber ein guter, und ich mochte seine Lügenmärchen. Angeblich war er Mitglied in Vereinen wie Von Herder Airguns Ltd. oder der International Bond Community. «Das sind doch die reinsten Idiotenclubs!», hatte sich Susanne nach Winklers erstem Besuch ereifert. «Und höchst wahrscheinlich geht er da nur hin, weil ihn dort alle ‹Tom› nennen. Wie kann ein erwachsener Mann ernsthaft verlangen, dass ich ihn ‹Tom› nenne?» – «Du brauchst ihn ja nicht ‹Tom› zu nennen.» – «Ich werd mich hüten! Hast du gesehen, wie er mich unentwegt angestarrt hat? Er hat immer versucht, mir in die Ärmel zu glotzen.» Verlegen gab ich vor, es nicht bemerkt zu haben. «In die Ärmel! Das ist doch krank! Warum glotzt der mir in die Ärmel?» Ich versuchte, Susanne in die Ärmel zu glotzen, um es herauszufinden. «Dein Freund Thomas Winkler ist nicht mehr ganz fix in der Birne!

      Außerdem ist er ein Klugscheißer. Nenn mich einfach Tom! Was für ein Scheißkerl! Und jetzt fang du nicht auch noch mit der Glotzerei an! Da gibts nix zu kucken! Ich sollte ihn nicht ‹Tom›, sondern ‹die Amöbe› nennen!» Zu Susannes Ehrenrettung muss jetzt zweierlei gesagt werden: Sie nannte ihn nie in seiner Anwesenheit «die Amöbe», und es fiel einem wirklich nicht leicht, ihn zu mögen, wie er da schwitzend im Sessel saß und leere Bierdosen zerdrückte. Sogar Om konnte ihn nicht leiden. Pingpongbälle, die ihm Winkler zuwarf, waren uninteressant, und selbst die Kordel, die Winkler in Pfotenreichweite baumeln ließ, war langweilig. Susanne stank es außerdem, dass Winkler Zigarillos rauchte (seltener Zigaretten) und noch am nächsten Tag als Rauchgespenst in den Vorhängen hing. «Wenn die Amöbe da ist, qualmst du munter mit!», warf sie mir oft vor, denn das Wohnzimmer war normalerweise Rauchfreie Zone; ich rauchte nur in der Küche oder auf dem Dachboden – in der ständigen Hoffnung, dass Jens es nicht mitbekam. «Ich kann meinen Gästen wohl kaum das Rauchen verbieten!» – «Deinen Gästen!», spottete Susanne. – «Und da Winkler ohnehin raucht, kann ich getrost mitpaffen. Es spielt keine Rolle, ob es nach einer oder zwei Zigaretten mehr oder weniger riecht.» – «Ich will nicht, dass die Amöbe mit Jens spricht.» – «Das will ich auch nicht.» – «Was findest du an ihm?» – «Er ist klug», sagte ich und war heilfroh, dass sie nichts von seiner Vorliebe für harte Horrorfilme wusste. «Er ist belesen. Er hat Witz. Und ich schätze ihn, weil er schreibt. Wohlgemerkt, weil er schreibt, nicht wegen der seltsamen Sachen, die er schreibt, obwohl sein neustes Projekt von faszinierender Dreistigkeit ist. Um es kurz zu machen: Ich rede mit ihm gern übers Schreiben.»

      Nicht selten kaute ich mit ihm stundenlang die Perspektive meines Romans durch, die mir viel zu eng an die Hauptperson geknüpft zu sein schien. «Ich weiß nicht, was du hast! Das ist doch hervorragend», meinte Winkler. «Dadurch kommt die Paranoia deines Helden oder seine vermeintliche Paranoia, wie auch immer du das später auflösen willst, besser zur Geltung. Ohne Einblick in ihr Seelenleben werden alle anderen Figuren zu möglichen Verschwörern. Durch diesen Kniff wird dein Buch viel spannender. Ach», rief er in einem seiner merkwürdigen Anfälle plötzlicher Theatralik, «warum kann ich nicht einfach eine kleine spannende Geschichte erzählen! Einen Roman über Piraten im 18. Jahrhundert, eine Science-Fiction-Novelle über Paralleluniversen oder eine simple,