Jutta von Kampen

Mami Bestseller Staffel 3 – Familienroman


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Kind beschäftigte, um so schwerer würde es ihr fallen, sich von ihm zu trennen. Was sollte nur werden?

      »Ich glaube, du hast heute kein Fieber mehr«, sagte Urte und legte die Hand auf die Stirn des Kindes.

      »Nein – muß ich nun fort von hier?« In den Vergißmeinnichtaugen stand die nackte Angst, und das Gesicht des Kindes wirkte plötzlich schmal und eingefallen.

      »Aber nein!« Urte drückte den kleinen Körper an sich. »Zuerst einmal mußt du dich richtig erholen. Du darfst heute auch noch nicht aufstehen, sonst bekommst du einen Rückfall.«

      »Im Bett ist es aber so langweilig, wenn du nicht da bist. Bleibst du hier?«

      »Natürlich, Ika. Vielleicht gehe ich einmal kurz in die Stadt und hole dir ein Spiel, irgend etwas, womit du dich beschäftigen kannst. Was möchtest du haben?«

      »Einen Goldhamster!« kam es wie aus der Pistole geschossen. Veronika hielt vor Erwartung den Atem an.

      »Ach du liebe Güte, ich weiß gar nicht, ob es hier so etwas gibt!«

      »Ich hab’ mal welche im Schaufenster gesehen!«

      »Hier in Rothenburg?«

      Jetzt hob das Kind unsicher die Schultern. »Ich weiß nicht genau, ob es hier war.«

      »Denk doch mal nach, wie der Ort hieß, in dem du vorher warst!« bohrte Urte.

      Veronika zog sich zurück wie eine Schnecke in ihr Haus.

      »Weißt du es nicht, Ika?«

      Sie schüttelte den Kopf und wieder standen Tränen in ihren Augen.

      »Aber du erinnerst dich doch an die Frau, die dich versorgt hat, nicht wahr? Wie hieß sie denn?«

      »Tante Anni!« Veronika biß sich auf die Lippen. Sie hatte es eigentlich nicht sagen wollen. Es war ihr so herausgerutscht.

      »Na also! Allmählich kommt die Erinnerung wieder! Damit können wir zwar noch nicht viel anfangen, aber sicher fällt dir noch mehr ein.«

      Veronika war erleichtert. »Ich möchte so gern bei dir bleiben!«

      Die Worte schnitten Urte immer mehr ins Herz, je öfter sie wiederkehrten.

      »Aber sicher will dich doch diese Tante Anni auch wiederhaben!«

      »Nein, sie mag mich nicht. Sie hat ja auch noch so viele andere Kinder. Sie ist auch gar nicht meine richtige Tante!« sprudelte Veronika heraus. Im Eifer, Urtes Bedenken zu zerstreuen, vergaß sie ihre Schweigsamkeit, hinter die sie sich zu ihrem Schutz geflüchtet hatte.

      »Du warst wahrscheinlich in einer Pflegestelle«, kombinierte Urte nach­denklich. »Aber nicht hier, denn sonst würde die Polizei etwas davon wissen.«

      »Tante Anni will mich gar nicht wiederhaben!« trumpfte Veronika noch einmal auf. »Sie mag mich nicht, und die anderen mögen mich auch nicht. Sie schubsen und puffen mich immer.«

      »Armes Häschen!« Heißes Erbarmen mit dem mutterlosen Kind stieg in Urte auf.

      Fast den ganzen Tag verbrachte sie am Bett des kleinen Mädchens. Sie erzählte Märchen, die alten aus dem Gedächtnis, und aus dem Stegreif erfand sie neue. Sie spielte mit Ika alle Fingerspiele, die sie noch aus ihrer eigenen Kindheit in Erinnerung hatte, kramte alte Reime hervor, die in ihrem Bewußtsein schlummerten, aber dann war sie mit ihrem Latein am Ende.

      Die Sonne stand bereits tief am Horizont, als Urte sagte: »Wenn ich dir einen Goldhamster besorgen soll, wird es jetzt Zeit. Die Geschäfte machen bald zu.«

      Mit einem Kuß auf Veronikas Wange verabschiedete sie sich. »Ich komme bald wieder!«

      Urte suchte die Wirtin und fand sie in der Küche, die immer einen blitzsauberen Eindruck machte und auch beim tollsten Betrieb nie unordentlich wirkte.

      »Sie sehen erschöpft aus, Fräulein Söhrens. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«

      Urte strich sich mit einer müden Geste über die Augen und lächelte dankbar. »Ich glaube, ich kann ihn brauchen. Ein Kind den ganzen Tag lang im Bett zu unterhalten, ist anstrengend. – Wenn ich darf, trinke ich den Kaffee gleich hier in der Küche.«

      Aus einer großen bauchigen Kanne füllte die Wirtin die Tassen.

      Der grauhaarige Wirt kam zur Tür herein und setzte sich zu ihnen. Er war ganz das Gegenteil seiner Frau, groß, hager und schweigsam, ohne unfreundlich zu sein.

      »Ich glaube, Sie nehmen Ihre Pflichten als Pflegemutter zu ernst«, wandte er sich an Urte. »Schließlich sind Sie ja zur Erholung hier. Wie geht es denn der kleinen Patientin?«

      »Sie war heute schon sehr munter und wollte deshalb unterhalten sein. Aber ich denke, morgen kann sie schon wieder ein wenig an die Luft, dann beschäftigt sie sich ja selbst sehr gut.«

      »Sie ist ein sehr angenehmes Kind, man merkt sie kaum.« Der Wirt trank den letzten Schluck aus seiner Tasse und stand auf.

      »Was wird denn werden mit dem verirrten Schäfchen?« fragte er noch im Hinausgehen.

      »Ja, wenn ich das wüßte!« sagte Urte mutlos. »Mir wird ganz schwer ums Herz, wenn ich mir vorstelle, daß Ika ins Heim muß. Sie hat gezittert wie ein junger Hund, als ich von der Möglichkeit sprach.«

      »Vielleicht kommt sie aus einem Kinderheim und hat es dort nicht gut gehabt!« meinte die Wirtin aufgebracht. »Man darf das Kind auf keinen Fall wieder zurückgeben!«

      »Ja, aber wie denkst du dir das, Gretel? Irgend etwas muß doch geschehen!« wandte der Wirt ein.

      »Dann bleibt sie eben bei uns! Man jagt ja keinen Hund vor die Tür, wenn er herrenlos ist!«

      »Hm, damit allein ist es nicht getan. Aber von mir aus, tu, was du für gut hältst!«

      Er verschwand nach draußen, und Urte fragte gespannt: »Sie würden das Kind unter Umständen tatsächlich behalten, Frau Eckstein?«

      »Na sicher! Ika könnte ja eine jüngere Mutter gebrauchen, aber bei mir würde sie es auch nicht schlecht haben!«

      »Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich erleichtert fühle. Ich könnte Ika dann so oft wie möglich besuchen. Aber was wird sein, wenn irgend jemand Anspruch auf das Kind erhebt? Vielleicht ein naher Verwandter oder ein Vormund?«

      »Das wollen wir doch erst einmal abwarten! Anscheinend hat Ika es noch nie so gut gehabt wie jetzt. Ich finde, sie ist in den paar Tagen richtig aufgeblüht, trotz ihrer Erkältung.«

      »Sicher, so ein Menschlein merkt gleich, wer es gut mit ihm meint. – Aber jetzt muß ich mich beeilen, sonst sind die Geschäfte geschlossen!«

      Urte verließ das Gasthaus. Sie hörte das Rauschen der Tauber, das so beruhigend wirkte. Abendlicher Friede lag schon über dem Tal. Urte spürte, wie ihre innere Unrast verflog. Tief atmete sie die würzige Luft ein, die vom nahen Wald herüberwehte.

      Als sie schon unterwegs war, fiel es Urte ein, daß sie vergessen hatte, sich bei der Wirtin nach einer Tierhandlung zu erkundigen. Sie hatte bisher noch kein Zoogeschäft entdeckt, und viel Zeit zum Suchen war nicht mehr. In einem Spielwarengeschäft entdeckte sie einen Goldhamster aus Stoff. Kurz entschlossen kaufte Urte ihn ein. Besser als gar keiner! dachte sie.

      Als sie das Geschäft wieder verließ, stand sie einen Augenblick lang unschlüssig. Plötzlich entdeckte sie Hans-Günther Buss. Der junge Mann steuerte zielsicher auf sie zu. Siegessicher strahlte er sie an. Er begrüßte sie wie eine alte Bekannte.

      »Ich freue mich, daß Rothenburg so klein ist!«

      Urte hob fragend die Augenbrauen.

      »Hier können Sie mir kaum entgehen! – Haben Sie etwas Bestimmtes vor, Urte?«

      Urte senkte den Blick. Wie zärtlich er ihren herben Vornamen aussprach!

      »Ja, ich…, eigentlich…, ich wollte…«

      »Schwindeln