Ina Krabbe

Funkelsee – Flucht auf die Pferdeinsel (Band 1)


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dort niemand Zutritt. Plötzlich fiel Malu der fremde Junge wie­der ein, der vor Papilopulus’ Weide im Gebüsch gehockt hat­te. Sie hatte immer noch niemandem etwas von ihm er­zählt – wie auch?! Das musste sie unbedingt nachholen. Zu­min­­dest mit ihrer Mutter würde sie nachher darüber sprechen.

      DUBI-DÜLÜT-DUBIDUU – Lea:

      Stell dir vor, Merle hat ein Piercing!!!! Mit vierzehn!!!! Und du darfst raten, wo. Da siehst du’s, du verpasst alles Wichtige!

      Malu musste trotz allem grinsen und tippte zurück.

      Egal wo, ihre Eltern bringen sie um oder lassen sie ein Jahr nicht mehr vor die Tür! Habe auch Neuigkeiten, allerdings traurige: Sybill von Funkelfeld ist gestorben.

      DUBI-DÜLÜT-DUBIDUU – Lea:

      Oh, die war aber ja auch schon ziemlich alt, oder? Nun rat schon.

      Malu starrte auf ihr Handy. Klar, Lea hatte recht, Sybill war alt gewesen. Trotzdem war der Tod so endgültig und jetzt lag er wie eine dunkle Decke über dem Schloss. Plötz­lich hatte Malu ein schlechtes Gewissen, dass sie ihre Mutter allein bei Gesine zurückgelassen hatte. Bestimmt konnte sie ihr helfen oder sich irgendwie nützlich machen.

      Muss jetzt los. Augenbraue?, tippte sie noch schnell, dann schnappte sie den Führstrick und gab Papilopulus einen Klaps auf den Hintern. »Komm Papi, du musst auf der Weide weiterfuttern. Ich hab noch was zu tun.« Sie warf einen letzten Blick auf den See, aber das Ruderboot war verschwunden. Vielleicht war es auch bloß ein Angler gewesen, der verbotenerweise zur Insel gerudert war.

      Als sie Papilopulus auf die Koppel gebracht hatte und ihm das Halfter abnahm, ertönte wieder ein DUBI-DÜLÜT-DUBIDUU.

      Lea:

      Zunge! Voll eklig, oder?

      Bah! Malu schüttelte sich. Merle hatte echt einen Knall! Sie schickte noch schnell ein Smiley mit rausgestreckter Zunge, dann stellte sie ihr Handy auf Lautlos und lief zur Wohnung zurück.

      Die Haustür war immer noch angelehnt und Malu trat zaghaft in den kühlen Flur. Ihre Mutter lief auf und ab, hatte das Handy am Ohr und bedeutete ihr still zu sein. Sie schien mit einer Kollegin zu telefonieren. Malu hörte gerade noch ein Super, wenn du heute für mich einspringen könn­test, dann verschwand Rebekka hinter der Küchentür. Malus Mutter arbeitete in einem Altenheim, aber da das Geld hin­ten und vorne nicht reichte, kümmerte sie sich noch nebenbei um die beiden Funkelfeld-Schwestern und den alten Herrn Müller, der seit einem Jahr im Rollstuhl saß. Sie putzte bei ihnen, half im Haushalt oder ging für sie einkaufen.

      So kamen Malu und ihre Mutter ganz gut über die Runden, nur große Urlaube oder besondere Klamotten waren eben nicht drin. Aber das war Malu egal, solange sie zu Papilopulus konnte – na ja, es war ihr natürlich nicht immer egal. Wenn sie mit Lea in der Stadt unterwegs war, nervte es sie schon, dass sie jedes Mal überlegen musste, ob sie sich ein T-Shirt leisten oder einen Eisbecher bestellen konnte oder besser nicht.

      Doch dann musste sie über sich selber stöhnen. Andere hatten echte Sorgen und sie dachte über Eisbecher nach!

      Während sie darauf wartete, dass ihre Mutter fertig telefoniert hatte, sah Malu sich die Bilder an, die an den Flur­wänden hingen. Sie liebte die alten Schwarz-Weiß-Fotos, die Menschen in altertümlicher Kleidung neben herausgeputzten Pferden zeigten. Es gab sogar Bilder von Frauen im Damensattel – das stellte sie sich absolut unbequem vor. Wie konnte man nur so reiten!

      »Alles in Ordnung mit dir, Malu?« Ihre Mutter kam aus der Küche und sah ihre Tochter besorgt an.

      Malu nickte. »Ja, ich war gerade noch mal bei Papi­lo­pulus. Was wird jetzt mit ihm?« Ihre Mutter konnte sie das ja fragen. Sie wusste, wie viel das Pferd ihrer Tochter be­deutete.

      Rebekka zuckte mit den Schultern. »Man wird sehen. Ich habe den Anwalt der Familie Funkelfeld angerufen. Er wird gleich hier sein und sich um alles Weitere kümmern.«

      »Und wie geht es Gesine?«

      Ihre Mutter lächelte. »Sie hat gesagt, eine Funkelfeld hält immer den Kopf oben. Sie schafft das schon. Na komm.« Sie legte ihrer Tochter den Arm um die Schulter und schob sie ins Wohnzimmer.

      Der Raum war nicht besonders groß, aber gemütlich eingerichtet mit einem geblümten Sofa und einer Vitrine, in der Pokale und Pferdestatuen standen. An den Wänden hingen Ölgemälde auf denen (Überraschung!) Pferde zu sehen waren.

      Gesine von Funkelfeld hatte sich inzwischen wieder ein wenig gefangen, sie stand vor einem Bücherregal und schien etwas zu suchen. Als sie Malu und ihre Mutter he­reinkommen hörte, drehte sie sich um und brachte ein Lächeln zustande. »Ah, Malu, du bist auch hier. Das ist gut. Ich suche unsere Familienchronik, ich muss Sybills Todes­tag eintragen. Ich dachte, ich hätte das Buch noch hier, aber wahrscheinlich ist es doch in der Bibliothek. Wärst du so lieb und holst es mir eben?«

      »Ja klar, gerne.« Malu war froh, dass sie sich nützlich machen konnte.

      »Warte, ich gebe dir den Schlüssel.« Die alte Dame schlurfte in den Flur und nahm einen Schlüsselbund vom Haken. »Hier, das ist der Schlüssel für das Hauptgebäude.« Sie friemelte einen großen eisernen Bartschlüssel hervor. »Die Bibliothek ist ...«

      »Ich weiß schon, wo sie ist«, unterbrach Malu sie. »Ich war doch mit meiner Mutter schon dort.«

      »Ach ja.« Gesine nickte. »Die Chronik ist ziemlich groß, hat einen roten Ledereinband und vorne drauf ist das Funkelfeld-Wappen. Sie steht im Regal hinter dem Steh­pult.«

      Malu nickte. »Ich finde sie schon. Bin gleich wieder da.« Sie spurtete aus der Tür und lief über den Schlossplatz zum Hauptgebäude. Vor der großen Freitreppe blieb sie kurz stehen und sah an der Fassade hinauf, während sie dem ersten Löwen die Mähne tätschelte. Sie stutzte. Was war das? War da nicht hinter dem Fenster im zweiten Stock ein Schatten entlanggeglitten? Malu schüttelte unwillig den Kopf. Sah sie jetzt schon Gespenster? Und schon wieder kam ihr der blonde Junge aus dem Gebüsch in den Sinn, aber im gleichen Moment musste sie über sich selber lachen. Ja klar, der ruderte über den See und gleichzeitig schlich er im Schloss herum und wahrscheinlich war er auch daran schuld, dass der Turm von Pisa schief war. Schluss jetzt! Immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief sie die Treppe hoch.

      Die dicke Holztür schwang schwerfällig auf und gab dabei ein unwilliges Quietschen von sich. Malu trat andächtig in die große Halle und sah sich – wie jedes Mal – bewundernd um. Das Sonnenlicht fiel gedämpft durch die hohen Fenster auf den Fliesenboden, der wie ein überdimensionales Schachbrett wirkte. Die Decke über ihr wölbte sich bis ins dritte Stockwerk und vor ihr schwang sich eine breite Holztreppe mit einem verschnörkelten Geländer in die Höhe. Riesige Ölgemälde in breiten goldenen Rahmen bedeckten die Wände. Die meisten zeigten Landschaften oder Reitgesellschaften, nur eines stellte einen jungen Mann mit Spitzbart in Lebensgröße dar. Baron von Funkelfeld 1897 – 1956, las Malu auf dem kleinen goldenen Schildchen, das unten auf dem Rahmen angebracht war. Das musste der Vater von Gesine und Sybill sein.

      Mit einem lauten KRACH fiel die Holztür hinter ihr ins Schloss. Erschrocken drehte Malu sich um, aber sie war allein. Eine gespenstische Stille erfüllte die Halle, als ob alles Lebendige ausgeschlossen war.

      Malus Blick blieb auf dem Boden vor der Treppe hängen, aber sie sah nichts, was daran erinnerte, dass Sybill von Funkelfeld gestern hier hinuntergestürzt war. Trotzdem machte sie einen weiten Bogen um die Stelle, wo sie vermutlich gelegen hatte, und dann einen großen Schritt auf die unterste Treppenstufe, als sie sich auf den Weg in die Bibliothek machte.

      Die Treppenstufen knarrten bei jedem Schritt und Malu blieb immer wieder stehen, um zu lauschen. Auch wenn sie eben noch über den Schatten am Fenster gelacht hatte, war sie sich plötzlich doch nicht mehr so sicher, ob sie sich das nur eingebildet hatte. Vielleicht gab es doch Gespenster und Sybill geisterte jetzt durchs Schloss? Sie musste an Lea denken, die sich sicher kaputtgelacht hätte, wenn sie Malu jetzt so hätte sehen können. Und recht hätte sie. Gespens­ter, also wirklich!

      Die