Elke Pupke

Bansiner Fischertod


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wenn Bertas Nichte in Berlin aufgewachsen ist, hat sie doch alle Ferien bei ihrer Tante in Bansin verbracht und immer zusammen mit Anne.

      Als Berta Kelling ihren alten Familienbesitz, die Pension Kehr wieder, 1990 zurückbekommen hatte, wusste sie zunächst wenig damit anzufangen. Sie war eine einfache, wenn auch sehr gute Köchin, hatte keinerlei Erfahrung in der Marktwirtschaft – Woher denn auch? –, scheute sich, einen hohen Kredit aufzunehmen und misstraute den zahlreichen dubiosen Beratern, die plötzlich auftauchten und auf sie einredeten. Die meisten empfahlen, ihnen das Haus zu verkaufen, bevor es ganz zusammenfallen würde; die Touristen würden sowieso nicht mehr an die Ostsee, sondern lieber in den Süden fahren. Aus reinem Trotz aber auch, weil sie sich ihren Vorfahren, besonders ihrer erst kürzlich verstorbenen Mutter, gegenüber verpflichtet fühlte, behielt sie das Haus. Sie vermietete die Zimmer an anspruchslosere Gäste: ehemalige DDR-Bürger oder Arbeiter. Die Gaststätte lief weiterhin gut, besonders die Einheimischen wussten Berta Kellings Küche zu schätzen und die Preise spielten natürlich auch eine Rolle.

      Zwölf Jahre später aber hatte sie eine Entscheidung treffen müssen. Sie fühlte sich mit ihren 62 Jahren zwar körperlich und auch geistig fit, war aber mit dem maroden Haus und der Gesamtsituation überfordert. Schweren Herzens entschloss sie sich, nun doch zu verkaufen. Dass Sophie dann das Haus übernahm, erschien im Nachhinein völlig logisch, es war die perfekte Lösung. Aber damals hatte niemand diese Möglichkeit ernsthaft erwogen. Sophie hatte zwar eine passende Ausbildung und sogar Tourismus studiert, aber sie plante eine Karriere in Berlin. Für Berta war es immer ein Traum gewesen, ihre Nichte irgendwann an die Ostsee zu holen. Die Bansiner Pensionswirtin hatte weder Mann noch Kind und liebte Sophie wie eine Tochter, aber gerade deshalb wollte sie ihr das alte Haus mit seinen ganzen baulichen und wirtschaftlichen Problemen nicht zumuten. Als Sophie das Kehr wieder dennoch übernahm, war sie einfach nur glücklich. Nun blieb die Pension, die Bertas Urgroßvater erbaut und in der sie ihr ganzes Leben verbracht hatte, doch in Familienbesitz, was ihr wichtiger war, als sie zugab. Und ihr Stammtisch blieb erhalten. –Wie hätte sie ohne den leben können? Sie kann sich überhaupt nicht vorstellen, jeden Abend allein zu sein und vielleicht nur vor dem Fernseher zu sitzen. Hier trifft sie alle Menschen, die ihr wichtig sind und die sie mag. Und auch andere, die sie weniger mag, aber auch von denen erfährt sie, was in Bansin so vor sich geht. Auch wenn Sophie manchmal vorwurfsvoll oder verächtlich von »Klatsch und Tratsch« redet, das ist Berta egal. Sie muss wissen, was im Ort passiert, und glaubt auch nicht, dass es etwas gibt, was sie nichts angeht. Sie ist sehr geschickt darin, die Leute auszufragen. Was sie davon weitererzählt, überlegt sie sich genau. Bisher ist sie mit dieser Taktik gut gefahren, das muss sogar Sophie zugeben, nachdem ihre Tante mehrere Verbrechen aufgeklärt hat.

      Sophie war die Entscheidung Anfang der 2000er nicht leichtgefallen. Sie wusste um das Risiko, als sie einen hohen Kredit aufnahm, um die Pension von innen zu modernisieren und völlig umzubauen. Erschwerend war hinzugekommen, dass das denkmalgeschützte Haus an der Außenfassade nicht verändert, sondern nur restauriert werden durfte, was die Sache nicht einfacher aber vor allem noch teurer machte. Aber gleich mehrere Argumente hatten dafür gesprochen, es doch zu wagen. Der Standort des Hauses direkt an der Strandpromenade mit Blick auf die Ostsee hätte nicht besser sein können. Dann Bansin selbst, das mit seiner schönen Bäderarchitektur noch immer die Eleganz der Gründerzeit des Seebades erahnen ließ und mittlerweile wieder zu einem beliebten Kurort geworden war. Dazu der breite weiße Strand, die angrenzende Steilküste, der Buchenwald, der den Ort umgibt – nicht nur Berta, auch Sophie konnte sich vorstellen, hier den Rest ihres Lebens zu verbringen.

      Und natürlich verbringt sie gern Zeit mit ihrer Tante. Schon als Kind hat sie sich, wenn sie Probleme hatte, an sie gewandt, Berta wusste immer Rat und hat nie versucht, sie zu erziehen, hier fühlte sie sich geborgen und verstanden.

      Zu Bansin gehört auch Anne, ihre beste Freundin seit der Kindheit, obwohl sie sich früher nur in den Ferien sahen. Inzwischen ist Anne Wiesner 1,85 m groß und fast doppelt so schwer wie ihre zierliche Freundin. Im Gegensatz zu Sophies gefärbten Haaren ist ihre Mähne naturrot, wenn auch inzwischen etwas ausgeblichen und von etwas Grau durchzogen. Sie lebt allein, ihre Familie sind Berta und Sophie, das Kehr wieder ist ihr Zuhause.

      Anne lässt sich jetzt auf einen Stuhl am Stammtisch fallen, atmet laut auf und sagt: »Gott sei Dank, Feierabend! Ich hatte so bescheuerte Gäste heute, das glaubt ihr nicht.«

      »Hast du schon Mittag gegessen?«, unterbricht Sophie, bevor ihre Freundin ins Detail geht.

      »Ja, ich war in Kamminke, bei der Fischräucherei. Hab super leckeren Lachs gegessen.«

      »Na, dann solltest du doch bessere Laune haben. – Danke!« Berta nickt ihrer Nichte zu, die ihr eine Tasse Kaffee hingestellt hat. Auch Anne bekommt eine, dann setzt sich Sophie zu den beiden.

      »Ach, ich hab einfach die Schnauze voll. Entweder werden die Gäste immer bekloppter oder ich werde alt. Ich habe keine Nerven mehr für die blöden Fragen und das Gemecker.« Sie nippt missmutig an ihrer Tasse. »Oder ich bin einfach urlaubsreif«, vermutet sie dann. »Im Frühjahr kann ich die Leute immer viel besser leiden.«

      »Das Thema hatten wir heute schon«, bemerkt Sophie. »Mir geht es nämlich genauso.«

      »Ja, dann fahrt doch einfach mal weg! Ihr redet immer nur davon. Es ist jedes Jahr das gleiche mit euch«, murrt Berta.

      »Also im Moment geht es noch nicht. Bis Ende November habe ich jede Menge Aufträge.« Anne ist Gästeführerin auf Usedom. Sie fährt mit Reisegruppen über die Insel und erzählt dabei über die Geschichte und die Gegenwart. Meist macht es ihr Spaß, aber nach einer anstrengenden Saison kann sie sich manchmal selbst nicht mehr hören.

      »Ich habe auch noch einige Buchungen. Im November hab ich zwei Reisegruppen im Haus. Außerdem einige Familienfeiern in der Gaststätte. Wie wäre es denn im Dezember?«

      »Ihr wollt mich doch wohl in der Adventszeit nicht alleine lassen?« Berta ist empört.

      »Dann komm doch einfach mit!«, schlägt Anne vor. »Wir fahren irgendwo hin, wo es warm ist und du am Strand liegen und im Meer baden kannst.« Sie grinst bei der Vorstellung und fängt einen vernichtenden Blick der alten Frau ein.

      »Mir gefällt das Wetter hier ausgezeichnet, auch im Dezember. Außerdem will ich gar nicht wegfahren. Ich habe schließlich das ganze Jahr Urlaub.«

      »Es könnte ja auch wieder was passieren in Bansin und du wärst nicht da. Eine Katastrophe!« Anne hat den gleichen Gedanken wie Sophie am Vormittag.

      Die protestiert jetzt aber. »Beschrei es bloß nicht! Ich hoffe doch, wir haben mit den ganzen Gangstern hier gründlich aufgeräumt.«

      »Also, ich weiß nicht«, Berta sieht nachdenklich zu Evelin hinüber, die gerade dabei ist, Tischtücher zu wechseln und die Gaststätte aufzuräumen. »Ich glaube nicht, dass die Polen etwas mit diesen Einbrüchen zu tun haben. Da steckt vermutlich mehr dahinter, als wir denken.«

      »Was für Einbrüche? Davon weiß ich ja gar nichts.« Anne ist erstaunt.

      »Es waren ja erst zwei«, wiegelt Sophie ab und verdreht leicht die Augen. Sie befürchtet, dass ihre Tante Langeweile hat und mal wieder ein Verbrechen aufklären möchte. Wenn es keins gibt, erfindet sie es eben oder deutet in einen harmlosen Diebstahl mehr hinein.

      »Ich weiß schon, was du denkst«, stellt Berta ganz richtig fest, »aber glaub mir, ich habe eine Nase dafür.«

      »Na ja«, versucht Anne zu vermitteln, »es wird ja gern alles auf die Polen geschoben. Aber woher willst du wissen, dass sie es nicht waren?«

      »Weil der Dieb vermutlich einen Schlüssel hatte oder einen anderen Zugang zur Wohnung, sodass es nicht gleich aufgefallen ist. Beim ersten Mal dachte ich, es wäre ein Diebstahl innerhalb der Familie oder im Bekanntenkreis, also jemand, der sich ganz normal im Haus aufhalten konnte und dann das Geld und den Schmuck gestohlen hat. Aber jetzt deutet sich eine Serie an. Da scheint jemand sehr raffiniert vorzugehen.«

      »Zwei Vorfälle würde ich ja nun nicht als Serie bezeichnen«, protestiert Sophie.

      »Ich weiß zumindest von einem