Elke Pupke

Bansiner Fischertod


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das sich die Hotelgäste beschwert haben? Renate sicher nicht. Ich hatte nur Glück, dass ich hier draußen war, sonst hätten sie doch gleich wieder mich verdächtigt.«

      »Das wusste ich doch. Ich konnte es eben einfach nicht mehr ertragen, wie die Renate gelobt haben: ›Die beste Köchin in Bansin.‹ – ›Wir haben noch nie so leckere Fischsuppe gegessen.‹ – Das ist doch nicht mit anzuhören!« Evelin kichert. »Na, die Suppe habe ich ihnen gründlich versalzen, im wahrsten Sinne des Wortes. Am Ende hat Renate selbst geglaubt, dass sie sich vertan hat. Und Sophie war das so peinlich. Herrlich!« Sie drückt ihre Zigarette aus. »Hin und wieder braucht man eben ein bisschen Spaß, dann fühlt man sich nicht mehr so klein und ausgenutzt.« Sie gibt der grauen Katze, die hinter einem kleinen Strauch sitzt und angespannt die Vögel auf dem Rasen beobachtet, im Vorbeigehen einen Fußtritt, dann setzt sie eine naiv-freundliche Miene auf und läuft ins Haus.

      Berta ist unzufrieden. Nachdenklich nimmt sie das Telefon in die Hand, legt es dann aber wieder auf den Tisch.

      Sophie beobachtet sie. »Was ist los? Du bist schon den ganzen Tag so gereizt. Ist es wegen Frau Hagemeister? Fang ja nicht wieder an …!«

      »Nein, ist ja gut. Ich bilde mir da wohl wirklich nur etwas ein. Aber du musst doch zugeben, nach all dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, kann man schon mal misstrauisch werden. Bisher hat sich mein Verdacht ja meistens bestätigt. – Leider«, fügt sie seufzend hinzu.

      »Aber diesmal war es doch eindeutig Selbstmord, oder?«

      »Ja, ich denke schon. Wer hätte die alte Frau auch ermorden sollen und vor allem – warum? Andererseits, welchen Grund hatte sie, sich das Leben zu nehmen? Wenn ich das nur wüsste.«

      »Das wirst du wohl herausbekommen müssen, vorher hast du ja keine Ruhe.«

      »Ja. Nur ist das gar nicht so einfach. Ich hätte gern mit ihrer Tochter gesprochen oder dem Schwiegersohn. Aber die Gaststätte ist geschlossen und zu ihnen nach Hause mag ich nicht gehen. Und die Nachbarin, die bestimmt etwas wüsste, die beiden waren auch befreundet, die ist gerade zur Reha-Kur. Was ja auch schon wieder verdächtig ist«, überlegt sie.

      »Du wolltest die doch nicht etwa anrufen?« Sophie deutet auf das Telefon.

      »Nein, ich hab ja gar keine Nummer. Ich wollte Fred Müller fragen, ob der was Neues weiß. Das mache ich jetzt auch.«

      Nach ihrem Gespräch mit dem Ortspolizisten ist Berta zumindest sicher, dass die alte Frau nicht ermordet wurde. Sie glaubt ihm, dass es sich eindeutig um einen Suizid gehandelt hat. »Aber den Grund möchte ich trotzdem wissen«, erklärt sie ihrer Nichte, als sie zusammen Mittag essen. »Sobald Frau Hagemeisters Nachbarin wieder zu Hause ist, werde ich ihr einen Besuch abstatten.«

       Montag, 14. Oktober

      »Nun guck dir die an, wie fett die geworden ist! Ein Arsch wie ein Zehntalerpferd«, tuschelt Gesa und deutet auf eine Frau, die ihren Einkaufswagen zwischen den Regalen hindurch schiebt. Ihre Gesprächspartnerin grinst erfreut, sie ist selbst nicht gerade schlank. Außerdem riecht sie unangenehm, was Gesa nicht daran hindert, sich noch näher zu ihr hin zu beugen. »Kein Wunder, dass der ihr Mann fremdgeht«, bemerkt sie in falschem Deutsch gehässig.

      »Meinst du?« Die kleinen Schweinsäuglein in dem runden Gesicht blitzen aufgeregt. »Ich dachte immer, das wäre die große Liebe bei den beiden.«

      Sie beobachten, wie ein kleiner, dürrer Mann der Frau etwas in den Einkaufswagen legt und sie gemeinsam lachen. Obwohl die beiden äußerlich so unterschiedlich sind, wirken sie sehr harmonisch.

      »Das ist doch meistens so. Gerade bei denen, die immer so nett zueinander sind, stimmt was nicht. Die verstellen sich nur.«

      »Ja, das stimmt. Mein Alter war auch immer besonders freundlich, wenn er was zu verbergen hatte. Weißt du denn, mit wem? Mit welcher er was hat, meine ich?«

      Gesa blickt sich eifrig um und überlegt kurz. Es ist heute nicht sehr voll im Rewe-Markt, man erkennt jetzt wieder die Einheimischen, die sonst im Sommer zwischen den Urlaubern verschwinden. »Na, mit ihrer Nachbarin natürlich«, behauptet sie dann. »Sie hält die für ihre Freundin. Wenn die wüsste, was die so hinter ihrem Rücken treiben. Vielleicht sollte ihr das mal einer sagen.« Sie schiebt ihren Wagen weiter und beobachtet nach einer Weile zufrieden lächelnd, wie ihre Gesprächspartnerin eifrig mit einer anderen einheimischen Frau tuschelt.

      Auch heute ist die Sicht wieder ungewöhnlich klar, der Himmel strahlend blau und das leuchtend bunte Laub gibt dem ganzen Ort ein fröhliches Aussehen. Es ist jetzt viel ruhiger als im Sommer, aber noch sind Gäste da. Meist ältere Leute, die die Nachsaison den hektischen Sommermonaten vorziehen, und Familien mit kleinen Kindern. Einige Körbe stehen noch am Strand, Kinder buddeln im Sand, die Eltern sitzen auf Decken daneben. Nur baden will wohl niemand mehr, bei 15° C Wassertemperatur.

      ›Außer Arno, natürlich‹, denkt Berta, als sie langsam über die Strandpromenade schlendert. Der Fischer geht zu jeder Jahreszeit beinahe jeden Tag in der Ostsee baden, aber meist ganz früh am Morgen.

      Die Tür zur Fischerbude steht auch heute weit offen. Paul Plötz hat zwar schon einen Eimer voll Briketts und einige Holzscheite neben dem Ofen stehen, aber bei 20° C draußen mag selbst er noch nicht heizen. Dabei liebt er die Wärme. Selbst im Sommer trägt er seine langärmligen, karierten Hemden und die Cordhose, die er Manchesterhose nennt und die von Hosenträgern gehalten wird. Berta hat ihn im Verdacht, dass er auch in der warmen Jahreszeit eine lange Unterhose darunter anzieht. Jedenfalls kommt er nie auf die Idee, die Hose auszuziehen oder auch nur die Hosenbeine umzukrempeln. Wenn er durch das flache Wasser zu seinem Boot geht, zieht er hohe Fischerstiefel, die bis zu den Oberschenkeln reichen, an.

      Heute ist Bertas Stammplatz, der alte Küchenstuhl neben dem Ofen, besetzt. Boto Thor, ein Kollege von Paul und Arno, hat es sich darauf bequem gemacht. Während er dröhnend über die Fangquoten der EU schwadroniert, schwenkt er wütend seine Bierflasche. Der Mann stammt aus einer alten Fischerfamilie. Schon sein Vater, sein Großvater und wahrscheinlich auch sein Urgroßvater sind vom Bansiner Strand aus zum Fang auf die Ostsee gefahren. Während der DDR-Zeit waren sein älterer Bruder Ansgar und sein jüngerer Cousin Cuno mit ihm auf dem Boot, jetzt ist er allein. »Ansgar, Boto, Cuno. Klingt wie eine Hundezucht«, hatte Anne einmal festgestellt. Berta hatte lachend genickt und geantwortet: »Stimmt, die sehen auch so aus. Also – nicht wie Hunde, aber alle drei sehen sich ähnlich. Groß und hager, alle drei haben rote Haare und Hakennasen. Boto ist ein bisschen kleiner und kräftiger als die anderen beiden. Als Kind haben sie ihn Bötchen genannt, das hört er aber nicht gern.«

      Paul blickt zum Eingang, in dem Berta stehen geblieben ist und verzieht missmutig das ohnehin faltige Gesicht in Richtung Boto. »Hör endlich auf mit dem Thema! Ich kann es nicht mehr hören. Setz dich lieber woanders hin! Das ist Bertas Stuhl.«

      Der Fischer stutzt einen Moment, steht dann aber bereitwillig auf und lächelt die alte Frau freundlich an. Er zieht sich einen Stapel umgedrehter Fischkisten heran und nimmt darauf Platz. »Na, Berta, du wirst ja gar nicht älter«, schmeichelt er. »Der Ruhestand bekommt dir.«

      »Ja«, Plötz mustert seine alte Freundin wohlwollend, »frische Seeluft, viel Fisch essen und Grog trinken, das hält jung und gesund. Dafür sorg ich schon.«

      »Na, ich nehme an, ihre Nichte kümmert sich auch gut um Berta«, schmälert Boto das Verdienst seines Kollegen.

      »Was macht denn dein Neffe?«, lenkt Berta von sich ab. »Kümmert der sich um dich?«

      »Wie ein eigener Sohn.« Er nickt zufrieden. »Ist ein guter Jung, unser Mick. Wenn es nach ihm geht, muss ich gar nicht mehr fischen. Ich mach das ja auch nur noch als Hobby.«

      »Was regst du dich denn über die Fangquoten auf?«, unterbricht Plötz.

      »Aus Prinzip. Weil es eine Schweinerei ist. Und weil es bald gar keine Fischer mehr auf Usedom geben wird, wenn die so weitermachen.« Augenscheinlich steigt Boto Thors Blutdruck wieder.

      »Hast ja recht«,