Elke Pupke

Bansiner Fischertod


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      »Dann war er wenigstens kein Kind mehr.«

      »Ja, was denkst du denn? Der ist gar nicht so viel jünger als wir.«

      »Ist ja gut.« Sophie grinst erfreut, weil sie Anne aus der Reserve gelockt hat. Erstaunt stellt sie fest, dass ihre Freundin verlegen ist, ein ganz ungewöhnlicher Anblick. Aber schön.

      »He – du hast dich verknallt.«

      »Also ehrlich, wie redest du? Wir sind doch keine 17 mehr.« Annes Protest klingt verhalten, sie bleibt am Rand der Steilküste stehen und blickt aufs Meer.

      »Na, und? Ist man zwischen 13 und 30 nicht ständig verliebt? Aber mit 55 ist es schon etwas Besonderes. Ich finde es toll, wirklich«, sagt Sophie lächelnd.

      »Na, ich weiß nicht. Wie du das sagst, hört es sich an, als hättest du mich bei etwas Verbotenem ertappt. Oder etwas Kindischem. Ach, ich weiß auch nicht. Einerseits fühlt es sich total gut an, aufregend. Ich dachte nicht, dass ich noch mal so für einen Mann empfinden würde. Andererseits stehe ich neben mir und sehe fassungslos zu, wie albern ich bin.«

      Sophie legt den Arm um ihre Freundin. »Jedenfalls sieht der Kerl gut aus und ist sympathisch. Also, meinen Segen hast du, falls du Wert darauf legst. Albern bist du auf keinen Fall, lass es einfach zu!«

      Anne nickt nachdenklich und etwas erleichtert.

      »Nun komm, sonst ist Tante Berta noch früher zurück als wir«, wechselt Sophie das Thema. »Außerdem ist es blöd für Evelin, wenn Gesa kommt und sie sie bedienen muss, weil ich nicht da bin.«

      »Das Problem verstehe ich ja nun gar nicht. Ist doch schließlich ihre Mutter, mit der wird sie wohl nicht zum ersten Mal allein sein.«

      »Aber irgendwas ist zwischen den beiden. Die haben Krach, ich weiß nicht genau, warum.«

      »Frag Tante Berta, die wird das schon wissen.«

       Dienstag, 22. Oktober

      Die Gaststätte ist zur Mittagszeit noch gut gefüllt, wahrscheinlich hat es sich unter den Urlaubern herumgesprochen, dass man hier gut und preiswert essen kann. Evelin ist eine gute Kellnerin, schnell und freundlich, wenn sie sich Trinkgeld davon verspricht. Manchmal vertut sie sich beim Herausgeben, natürlich immer zu ihrem Vorteil, aber das kann ja mal passieren, und sie übertreibt es nicht, sodass es Sophie noch nicht aufgefallen ist. Auch deshalb hält sie sich für sehr schlau und fühlt sich ihrer Chefin und deren Freundin überlegen.

      Sophie scheint es nicht zu spüren oder es ist ihr egal. Anne aber muss sich anstrengen, um ihre Antipathie nicht zu zeigen. Schließlich hat die Frau ihr nichts getan. Aber dennoch …

      »Was hast du eigentlich gegen Evelin?«, hat Berta sie kürzlich erstaunt gefragt.

      »Nichts, gar nichts, was soll ich wohl gegen sie haben?«, war Annes Antwort. In Gedanken fügte sie hinzu: ›Ich habe nur manchmal das Bedürfnis, sie vors Schienbein zu treten oder ihr einen schweren Gegenstand auf den Kopf zu schlagen.‹ Aber wie hätte sie das begründen sollen? Bauchgefühl?

      Sie konnte nicht wissen, dass auch Berta diese Ahnung hat. Aber Berta weiß, dass man nicht mit dem Bauch denkt und dass dieses Empfinden meist auf jahrelanger Erfahrung basiert, die im Unterbewusstsein gespeichert ist. Sie behält Evelin jedenfalls genau im Auge.

      Anne ist heute schon mittags im Kehr wieder, also praktisch zu Hause. Sie setzt sich auf einen Barhocker vor dem Tresen und trinkt Kaffee.

      »Wie war denn eigentlich deine Schiffsfahrt gestern?«, fragt Sophie, während sie Bier zapft. »Es war doch ziemlich stürmisch vormittags. Ich hab gesehen, dass die VINETA beim Anlegen ganz schön geschaukelt hat. Hast du deine Gäste alle heil an Bord gekriegt?«

      »Ja, ging schon. Die Fahrt war herrlich. Ich habe oben an Deck gesessen und es genossen. Weißt du noch, wie wir als Kinder immer auf dem Rummel geschaukelt haben? Genau so war das gestern.«

      »Richtig. Mit der Schiffsschaukel. Das hat echt Spaß gemacht. Wir wollten uns doch immer damit überschlagen. Haben wir das eigentlich mal geschafft?«

      »Ich glaube nicht. Sonst wären wir wahrscheinlich rausgefallen. Meine Gäste fanden das übrigens nicht so toll. Einige waren ziemlich grün im Gesicht, als wir in Swinemünde abgestiegen sind. Und Schuld hatte natürlich ich.«

      »Na klar, wer sonst. Du bist schließlich für das Wetter verantwortlich. Es war aber auch wirklich nur kurze Zeit so stürmisch. Mittags war das Wasser schon wieder spiegelglatt, so wie jetzt auch.«

      »Ja, leider. Sie meinten, ich hätte ja gestern mit ihnen die Ortsführung machen können und heute Schiff fahren … als ob ich das vorher wüsste!?«

      »Ach, bist du heute mit ihnen durch Bansin gegangen?«

      »Ja. Und wieder gab es Ärger. Eine Frau wollte unbedingt am Seehof vorbeigehen, da war sie zur DDR-Zeit mal im Urlaub. Also bin ich in der unteren Bergstraße, am Schloonsee vorbeigegangen und wollte eigentlich dann irgendwo hinterm Seehof hochgehen, aber das geht ja gar nicht mehr. Man muss tatsächlich bis zum Kanal laufen, also praktisch bis nach Heringsdorf, um auf die Promenade zu gelangen. Rund ein Kilometer Umweg.«

      »Na, und? Woher wussten die, dass das nicht dein normaler Ortsrundgang ist?«

      »Es war ihnen zu weit, angeblich können die alle nicht mehr laufen. Alter schützt eben vor Faulheit nicht.« Sie dreht sich um, als sie eine Stimme hinter sich hört. »Dagegen unsere Tante Berta. Die rennt jeden Tag durch den ganzen Ort.«

      »Ja, genau«, nickt diese grimmig, »nur so erfährt man doch, was los ist in der Welt. Und was ich heute erfahren habe, ist unglaublich.« Ihre Welt beschränkt sich zwar auf Bansin, aber das genügt ihr. Anne und Sophie sehen sie erwartungsvoll an, die alte Frau zieht langsam ihren Mantel aus und weist zum Stammtisch. »Ich muss mich jetzt erst mal hinsetzen. Ich erzähle es euch nachher. In Ruhe.« Sie stöhnt leise, als sie sich auf ihren Stuhl fallen lässt und erklärt Anne, die sich zu ihr setzt: »Ich glaube, ich werde alt. Mit tun alle Knochen weh, wenn ich zwei Stunden unterwegs war.«

      »Vielleicht solltest du dir einen Rollator zulegen. Weißt du, so einen, wo du dich auch mal draufsetzen kannst, wenn du dich längere Zeit unterhalten willst.«

      »Ja, das fehlte noch!« Berta ist empört. »Wie sieht das denn aus? So alt bin ich ja nun auch wieder nicht.«

      »Ach komm, hör auf, dir was vorzumachen!« Anne denkt gar nicht daran, aus Mitleid etwas zu beschönigen. »Natürlich bist du alt. Sogar ich bin alt. Das ist mir gerade kürzlich klargeworden. Ich habe beschlossen, das Leben jetzt nur noch zu genießen. Ich habe endlich das Gefühl abgelegt, den besten Teil noch vor mir zu haben. Den Teil, für den man jetzt arbeitet und spart und Diät macht und Sport treibt und Klamotten kauft und freundlich ist zu Menschen, die man nicht leiden kann.«

      »Da ist was dran«, überlegt Berta. »Ich tue ja eigentlich auch nur noch das, was mir Spaß macht. Ich hab zum Beispiel früher alles gelesen, was mir in die Finger kam. Jetzt ist mir klar, ich habe nicht mehr genügend Zeit, um alle Bücher dieser Welt zu lesen. Also muss ich auswählen. Meine Bildung ist abgeschlossen, die Bücher, aus denen man was lernt, kann ich mir also ersparen. Liebesromane interessieren mich nicht. Ich lese nur noch Krimis. Und am liebsten englische. Für mich ist einer der größten Vorteile der Wende, dass ich die jetzt bekomme.«

      »Und dabei lernst du auch gleich noch was für deinen Alltag«, vermutet Sophie. »Was wollt ihr essen?«

      Nach dem gemeinsamen Mittagessen geht Renate wieder in die Küche, wo sie lautstark mit Töpfen und Geschirr klappert. Evelin räumt noch den Tisch auf, an dem die letzten Gäste gesessen haben, dann verabschiedet sie sich mit einem »Bis später« in ihre zweistündige Pause. Sophie holt erst den obligatorischen Kaffee, dann setzt sie sich wieder zu Anne und ihrer Tante.

      Die macht es spannend. »Ich bin heute mal zum Lidl hochgegangen«, berichtet sie, »weil die da das beste Obst und Gemüse haben.