Elke Pupke

Bansiner Fischertod


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mit seiner Frau auch oft bei euch im Kehr wieder zum Essen. Die hatten erst den Nachbarn in Verdacht, aber dann hat sich das Ehepaar gegenseitig verdächtigt, weil nur Bargeld fehlte und … ach, ich weiß das nicht mehr, so eine Familiengeschichte eben. Warum fragt ihr danach?«

      Berta will es gerade erklären, als Arno durch die Tür hinunter zum Strand blickt. »Was ist denn da los?« Er geht hinaus.

      Berta und Paul folgen ihm durch die Dünen zum Ufer. Eine kleine Gruppe Strandspaziergänger steht dort um etwas herum, eine Frau fängt ihren Hund ein und legt ihn an die Leine, ein junger Mann nimmt ein kleines Kind hoch und trägt es schnell weg. Eine ältere Frau verbirgt ihr Gesicht an der Schulter ihres Mannes, eine andere schlägt entsetzt eine Hand vor den Mund und auch die anderen Umstehenden wirken verstört. Jetzt hört man auch von der Strandpromenade her das Signal eines Rettungswagens.

      Berta und die beiden Fischer bleiben einige Meter vor der Gruppe stehen, als zwei Polizisten von der anderen Seite her über den Strand gelaufen kommen. Einer von ihnen ist Fred Müller, der Ortspolizist, den Berta schon seit seiner Kindheit kennt. Er nickt ihr einen Gruß zu und deutet kurz mit dem Kopf in Richtung der Fischerhütten.

      Berta versteht. »Kommt!«, fordert sie die Männer auf. »Wir gehen in die Bude. Wir erfahren noch früh genug, was los ist.«

      Eine halbe Stunde später duckt sich der große, kräftige Mann in Polizeiuniform unter der Tür durch. Er hält die Mütze in der Hand, streicht sich über das kurze blonde Haar und sieht Berta bedrückt an. »Es handelt sich um Frau Hagemeister. Wahrscheinlich Selbstmord. Sie muss gestern Abend von der Brücke gesprungen sein.«

      »Ach nein, doch nicht sie.« Die alte Frau hat Tränen in den Augen, auch Paul Plötz schluckt.

      »Wir wissen noch nichts weiter. Aber es sieht nicht nach Fremdverschulden aus. Ich muss dann aber auch wieder …«

      »Ja, natürlich. Danke, Fred.«

      Arno hat schweigend Grogwasser aufgesetzt, was er selten ohne Aufforderung tut. Die beiden Alten sehen aus, als bräuchten sie ihr Allheilmittel. Er selbst kannte die Frau nicht, zumindest nicht dem Namen nach. »Eine Bansinerin?«, fragt er leise.

      »Ja.« Berta nickt, schnieft ein bisschen und schnäuzt sich dann ausgiebig in ihr Taschentuch.

      Paul Plötz wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich kenn sie schon seit der Schule. Die war ein bisschen älter als ich«, erklärt er. »War mal ein hübsches Mädchen. Bisschen … na ja«, er verkneift sich, was er eigentlich sagen wollte, »bisschen naiv und gutgläubig, aber immer lieb und nett. So eine Frau, die man in den Arm nehmen und beschützen möchte.«

      »Ja, genau.« Berta nickt nachdrücklich. »Die Hellste war sie sicher nicht. Aber sie war so freundlich und hilfsbereit, hat nie schlecht von jemandem gesprochen.«

      »Und trotzdem hatte sie am Ende niemanden, der ihr helfen konnte«, stellt Arno fest, während er großzügig Rum in zwei dickwandigen Gläsern verteilt.

      »Hat sie nicht eine Tochter?«, überlegt Plötz. »Wie heißt die noch? Die ist doch verheiratet mit dem …«

      »Ja, genau, mit einem Koch. Der ist Kroate oder Slowake, glaube ich. Ist aber schon lange hier. Wie heißt er noch? David? Mario? Paul, ich werde alt. Mein Gedächtnis lässt mich langsam im Stich.«

      »Wem sagst du das, Berta. Mit den Namen krieg ich auch Probleme. Aber ich weiß, wen du meinst. Haben die sich nicht gerade selbstständig gemacht?«

      »Richtig, die haben die kleine Gaststätte in der Seestraße gepachtet. Danke, Arno.«

      Während der junge Fischer hinausgeht, um endlich seinen Räucherofen zu bestücken, rühren die beiden Alten traurig in ihren Groggläsern. Sie denken daran, wie verzweifelt Frau Hagemeister gewesen sein muss.

      »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen«, sagt Berta dann auch am Abend am Stammtisch im Kehr wieder, »sie war gar nicht der Typ dazu.«

      »Was für ein Typ muss man denn sein, um nachts von der Seebrücke in die kalte Ostsee zu springen?«, wundert sich ihre Nichte.

      »Na ja, einsam, depressiv, zumindest unglücklich.«

      »Und woher weißt du, dass sie das nicht war? Kanntest du sie so gut?«

      »Nicht wirklich. Aber ich hab schon manchmal mit ihr geredet, wenn wir uns im Ort getroffen haben. Ich hatte nie den Eindruck, dass sie Probleme hätte. Sie wirkte immer zufrieden mit sich und der Welt. Sie war so stolz auf ihre Tochter und ihren Schwiegersohn und hat immer von dem kleinen Enkel erzählt. – Ich versteh es einfach nicht. Was ist da passiert?«

      »Vielleicht hat sie die heile Welt nur vorgespielt«, mischt sich Gesa Huber ein und wirft über ihr Bierglas hinweg einen spöttischen Blick auf die alte Wirtin. »Du kannst auch keinem hinter die Stirn gucken und glaubst es gerne, wenn dir einer erzählt, alles ist super und das reinste Paradies.« Die hagere 65-Jährige hat ihr pechschwarz gefärbtes Haar im Stil der 60er-Jahre hochtoupiert und mit viel Haarspray fixiert. Der große gierige Mund ist dick mit dunkelrotem Lippenstift bemalt, die dunklen Augen wirken durch zu viel schwarzes Make-up klein und stechend. Ihre Kleidung soll sexy sein, wirkt aber nur billig. Der tiefe Ausschnitt ihres knallengen roten Pullis zeigt ein hervorstehendes Schlüsselbein und den faltigen Ansatz eines kleinen, hängenden Busens. Sie stellt einen peinlichen Kontrast dar zwischen Verführerisch-sein-wollen und es nicht zu sein. Das ebenmäßige Gesicht ist entstellt durch den Ausdruck ständiger Unzufriedenheit, der Mund immer zum Nörgeln verzogen. Sie ist vom Leben tief enttäuscht, fühlt sich ungerecht behandelt und hasst die Menschen, denen es besser geht als ihr. Und das sind ihrer Meinung nach alle, die nicht dauernd klagen, die gern lachen und freundlich miteinander umgehen.

      Berta schweigt nachdenklich. Sie bemüht sich, ihre Antipathie nicht zu zeigen. Schon, weil Sophie und Anne die Frau nicht ausstehen können. Einer muss doch freundlich zu ihr sein, man kann einen Menschen, der niemanden weiter hat und so unglücklich ist, nicht auch noch aus der Stammkneipe vergraulen. Aber leicht macht sie es einem wirklich nicht, sie zu mögen.

      Gesa Huber war vor vierzig Jahren eine auffallend schöne Frau. Groß und schlank, mit langen, glänzend schwarzen Haaren und einem hübschen Gesicht. Damals hat sie als Kellnerin im Erholungsheim Fortschritt gearbeitet. Die Männer waren verrückt nach ihr und sie hat das schamlos ausgenutzt. Und dennoch hat sie alles falsch gemacht. Für eine Karriere genügte die Sympathie der Vorgesetzten nicht, wie sie gehofft hatte. Sie hätte ihre Chancen nutzen, sich weiterbilden, Prüfungen ablegen müssen. Dazu war sie zu dumm und zu faul. Ihr Wunsch, in einem Büro zu sitzen und Anweisungen zu geben, hat sich nie erfüllt. Sie blieb eine einfache Serviererin und nach der Wende musste sie froh sein, in diesem Beruf noch eine Stelle zu bekommen. Fast jeden Winter war sie arbeitslos und bekommt deshalb nur eine niedrige Rente. Auch privat lief es nicht so, wie sie es sich erträumt hatte. Die von ihr bevorzugten Männer – in höheren Positionen, mit Geld und Einfluss – hatten den Nachteil, dass sie meistens verheiratet waren. Es gelang ihr zwar, in einigen Ehen Unruhe zu stiften, eine sogar zu zerstören, aber letztendlich ließ sich niemand an sie binden. Sie war zwar hübsch, aber eben doch ziemlich dumm und leicht durchschaubar. So war sie nie verheiratet, Berta kann sich auch nicht erinnern, dass sie mal länger mit einem Mann zusammengelebt hätte. Eines kann man ihr jedoch nicht nachsagen, nämlich, dass sie schwatzhaft wäre. Was sie sagt, ist immer genau überlegt. Meist gelingt es ihr, sich selbst positiv darzustellen, vor allem, indem sie schlecht über andere spricht. Wer der Vater ihrer Tochter Evelin ist, ist ihr am besten gehütetes Geheimnis.

      Nicht einmal Berta weiß das genau. Und das will etwas heißen! Allerdings hat sie einen Verdacht, über den sie aber noch nie gesprochen hat. Das wird sich schon noch mal ergeben, bisher hat sie noch alles erfahren, was sie wirklich wissen wollte. Vielleicht ist es aber auch nicht so wichtig und für Evelin sogar besser, wenn sie es nicht weiß. Berta blickt zu der jungen Kellnerin hinüber, die gerade an einem Tisch die Bestellung der Gäste aufnimmt. Sie hat kaum Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, nur die schlanke Figur hat sie geerbt und die vollen Lippen. Aber ihre Nase ist zu groß für das schmale Gesicht, sie hat ein paar Sommersprossen und rote Haare, die allerdings blond