Elke Pupke

Bansiner Fischertod


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machen? Da kommen wir nicht gegen an.«

      »Ich komm gut zurecht«, fährt sein Kollege fort. »Ich hab ja meine Rente, wenn es auch nicht viel ist. Meine alte Wohnung in der Bergstraße könnte ich davon ja nun nicht mehr bezahlen. Ich hatte schon so halbwegs beschlossen, ins Dorf zu ziehen, in eine kleine Wohnung im Plattenbau. Aber mir hat wirklich davor gegraut – so weit weg vom Strand.«

      Berta nickt mitfühlend. »Das versteh ich. Wenn man sein Leben lang auf die Ostsee geguckt hat, wird man da, hinter den Bahnschienen, nicht glücklich. Und nun ziehst du zu Mick, hab ich gehört?«

      »Ja.« Boto strahlt. »Der hat doch ein Haus da hinten an der Promenade gekauft, Richtung Heringsdorf. Da sehe ich die Fischerbuden zwar nicht mehr, auch nicht das Wasser, weil meine Wohnung nach hinten raus geht, aber ich bin dicht am Strand.«

      »Ich bin da neulich vorbeigegangen«, erzählt Berta. »Das alte Haus hat er wirklich schön restauriert.«

      »Ja, das hat er sich was kosten lassen. Aber er hat ja gut verdient als Kapitän. Und unten zur Straße hin hat er Ferienwohnungen gebaut. Die bringen auch ein bisschen was ein.«

      »Und die Wohnung oben, mit dem Balkon zur Promenade, ist doch wohl auch eine Ferienwohnung, oder?«

      »Ja, na klar«, bestätigt Boto nach kurzem Zögern, was ihm einen misstrauischen Blick von Berta einbringt. »Mick wohnt unten und ich nach hinten raus«, bekräftigt er noch einmal.

      »Aber die Bude hier und das Boot behältst du doch noch, oder?«, fragt Plötz und atmet erleichtert auf, als Boto nickt.

      »Ja, Mick hat ja nun Zeit. Er will auch ein bisschen fischen und hin und wieder mal mit Gästen rausfahren. Ist schließlich ein Seemann, den zieht es immer wieder aufs Wasser.«

       Freitag, 18. Oktober

      Wer Gesellschaft sucht und das Neueste aus dem Ort erfahren will, geht am Freitagabend ins Kehr wieder. Dann sind die acht Plätze am großen runden Stammtisch besetzt, manchmal werden noch ein oder zwei Stühle dazu gestellt, dann wird es eng. Und laut. Auch wenn Berta sich bemüht, den Lärmpegel gering zu halten, indem sie Streit schlichtet und die Gäste, die dazu neigen, betrunken oder auch nur angetrunken die Stimme zu erheben, zu pöbeln oder gar grölend zu singen, rechtzeitig warnt. Es ist nicht einfach für die alte Wirtin. Sie möchte die gewohnte Freitagabendstimmung an ihrem alten Stammtisch nicht verderben, aber auch nicht ihre Nichte verärgern, der dieser ohnehin ein Dorn im Auge ist. Sophie findet, dass er das Niveau ihres Restaurants beeinträchtigt. Ihre Gäste, die Fremden, die Urlauber, sollen in Ruhe essen können. Wenigstens darf man jetzt in der Gaststätte nicht mehr rauchen. Als Berta hier noch Wirtin war, konnte man die Gäste am Stammtisch manchmal gar nicht erkennen, weil sie in dichten Qualm gehüllt waren. Obwohl Berta selbst nie eine Zigarette angefasst hat, hat sie vermutlich mehr Nikotin eingeatmet, als so mancher Kettenraucher. Aber sie meint, dass die frische Seeluft ihre Lunge immer wieder gereinigt hat.

      Gesa Huber mault immer mal wieder, dass sie zum Rauchen nach draußen gehen muss, und wirft Sophie bitterböse Blicke zu, als hätte die das Rauchverbot in Gaststätten erfunden.

      Na, immerhin findet die es gut und setzt es konsequent durch. Außerdem hat sie verboten, dass sich die Raucher direkt vor die Tür stellen, sie müssen auch noch um die Ecke gehen.

      »Eine Zumutung und Diskriminierung«, meint Gesa. »Aber früher, in der DDR, war sowieso alles besser. Dann würde ich jetzt schon seit sechs Jahren Rente kriegen. Nicht viel, aber ich würde auch nur 30 Mark Miete zahlen und niemand könnte mich aus meiner Wohnung werfen. Haben wir denn nicht viel sorgloser gelebt? Die Leute haben auch viel mehr miteinander geredet und besser zusammengehalten.« Während sie weiter schwadroniert und von ihrer Zeit beim FDGB-Feriendienst schwärmt, fängt sie einen Blick von Berta auf und wird plötzlich unsicher. Sie stottert noch ein bisschen herum, dann schweigt sie endlich und sieht die alte Frau ängstlich an.

      Die beachtet sie nicht mehr, sie unterhält sich mit Anne und Mick Thor, die beide nebeneinander sitzen.

      Erst nach einer ganzen Weile, als am Tisch alle laut durcheinander reden, wagt Gesa es, Berta anzusprechen. »Der Vorfall von damals – du weißt schon – bleibt doch unter uns, oder?«

      »Ja, natürlich.« Die alte Frau antwortet ebenso leise, aber etwas zögernd. »Es sei denn … weißt du, was da gerade im Ort passiert, erinnert mich sehr an damals.«

      »Aber ich habe nichts damit zu tun!«, unterbricht Gesa sie empört und dämpft ihre Stimme gleich wieder, als Anne sie misstrauisch anblickt. Fast verzweifelt schüttelt sie den Kopf.

      »Schon gut. Wir reden ein andermal darüber.« Berta hat keine Lust, sich mit Gesa zu unterhalten, und eigentlich glaubt sie auch nicht, dass die an den aktuellen Einbrüchen beteiligt ist. Wie hätte sie das machen sollen? Wahrscheinlich ist die Ähnlichkeit der Vorfälle nur ein Zufall. Oder jemand weiß davon und ahmt sie nach. Ihr Blick gleitet zu Evelin. Nachdenklich beobachtet sie die junge Frau eine Weile. Manchmal kommt sie ihr falsch vor. So übertrieben freundlich. Aber damit überdeckt sie wohl nur ihre Unsicherheit. Und natürlich schleimt sie, um mehr Trinkgeld zu bekommen. Berta lässt sich nicht anmerken, dass sie Evelin misstraut, und ein bisschen schämt sie sich dafür. Objektiv betrachtet ist die Frau fleißig, zuverlässig, freundlich, hilfsbereit, eine gute Kellnerin und Angestellte eben. Für ihre Mutter kann sie ja schließlich nichts. Im Gegenteil, die macht ihr nur das Leben schwer. Sie wendet sich wieder ihren Stammtischgästen zu.

      »Da beißt man bei mir auf Kredit«, verkündet Anne gerade.

      Mick Thor grinst, korrigiert sie aber nicht.

      ›Die würden gut zusammenpassen‹, denkt Berta und betrachtet die beiden wohlwollend. Der Kapitän im Ruhestand muss drei oder vier Jahre jünger sein als Sophies Freundin, aber das ist gut. Frauen werden meist sowieso älter als Männer. Und Anne wirkt durch ihre lebhafte, aufgeschlossene Art jünger, als sie ist.

      Mick ist sogar noch etwas größer als sie, was ihr selten begegnet. Die Familienzugehörigkeit ist zu erkennen, auch er ist groß und hager, hat die auffällige Hakennase der Thors, das rote Haar ist inzwischen grau, aber immer noch dicht und wellig. Wäre es blond und anders frisiert, sähe er Thomas Gottschalk verblüffend ähnlich. Aber es ist gut geschnitten, auch seine Kleidung wirkt hochwertig und gepflegt. Er ist deutlich attraktiver als seine Vorfahren, was vielleicht auch an besseren Umgangsformen liegt.

      ›Auf jeden Fall hat er Charme‹, denkt Berta. Eine Eigenschaft, die man weder mit seinem Vater Ansgar, noch mit dessen Bruder Boto oder mit Cuno in Verbindung bringen würde. Diese Männer, die alle Fischer waren, kennt man nur schweigend oder laut fluchend. Berta versucht, sich an Micks Mutter zu erinnern, hat aber nur ein blasses Bild vor Augen. Dass die Ehe nicht besonders gut war, glaubt sie noch zu wissen.

      »Ging es uns denn nicht gut? Es war doch nicht alles schlecht damals.« Gesa Huber hat den Schreck von vorhin vergessen und verkündet mal wieder ihren Lieblingsspruch.

      Sie redet auf Paul Plötz ein, der widerwillig nickt und hilfesuchend zu Berta blickt. Er mag weder die Frau noch das Thema. »Lass mich mit deinem Gequatsche in Ruhe!«, knurrt er sie dann auch an. »Ich will hier mein Bier trinken, aber nicht über Politik reden. Außerdem kann ich mich dunkel erinnern, dass du früher auch nur gemeckert hast. Also – es war auch nicht alles gut.«

      »Warum bist du denn nicht abgehauen aus der DDR? Du hättest es doch gekonnt.«

      »Ja, hätte ich. Ich war sogar in Bornholm und hätte nicht wieder zurückkommen müssen. Aber warum sollte ich? Wie du schon sagtest: Mir ging es doch gut hier.«

      Mick Thor behagt das Thema offensichtlich auch nicht. Er wirft Gesa einen finsteren Blick zu, dann bittet er Sophie: »Bring uns noch eine Runde, jedem, was er trinken will, ich geb einen aus.« Er beugt sich unter den Tisch, um seinen Hund zu beruhigen, der hinter seinen Füßen unter der Bank liegt und den er gerade versehentlich getreten hat. »Ist ja gut, Moses, schlaf weiter!«

      »Ist der verdammte Köter etwa wieder hier?«, fährt Gesa auf.