Elke Pupke

Bansiner Fischertod


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      »Ist doch egal«, unterbricht Anne ungeduldig. »Ist das die Frau, die zur Reha-Kur war?«

      »Genau die. Genau die, mit der ich sprechen wollte. Ich habe es doch geahnt. Übrigens, wisst ihr, wohin sie die zur Kur geschickt haben? Nach Trassenheide! Ist ja sicher toll für jemanden aus dem Süden, so eine Kur direkt an der Ostsee, aber für eine Bansinerin? Zwanzig Kilometer von zu Hause weg? Die spinnen doch.«

      »Wahrscheinlich ist es billiger, als sie weiter weg zu schicken«, vermutet Sophie.

      »Außerdem sind es dreißig Kilometer«, fügt Anne kleinlich hinzu.

      Berta blickt sie empört an: »Als ob das … aber egal. Also, gestern ist sie nach Hause gekommen. Das muss Schicksal sein, dass ich ihr über den Weg gelaufen bin. Sie hat nämlich gerade überlegt, ob sie zur Polizei gehen soll. Stellt euch vor, sie hat einen Brief von Frau Hagemeister in deren Wohnung gefunden. Die Nachbarin hatte den Schlüssel zum Blumen gießen und so …, wenn mal was ist. Der Brief lag auf dem Küchentisch. Den hat Hagemeister wohl vor ihrem Tod geschrieben.«

      »Nach dem Tod konnte sie es ja nicht mehr«, murmelt Anne, was ihr einen weiteren strafenden Blick von Berta einbringt, die aber unbeirrt fortfährt.

      »Leider hatte diese Brigitte das Abschiedsschreiben nicht dabei, aber sie hat mir erzählt, was drin steht. Das ist wirklich ein Hammer! Liselotte Hagemeister hat einen Anruf bekommen. Angeblich von Schwester Marita – wisst ihr, die ältere Sprechstundenhilfe aus der Arztpraxis. Aber ich glaub nicht, dass sie es war. – Die sagte, Frau Hagemeister sei schwer krank. Krebs im Endstadium. Das hätte der letzte Befund ergeben – sie war wohl zum Blut abnehmen da, oder was weiß ich. Die Schwester hätte es ihr eigentlich gar nicht sagen dürfen, aber sie wolle sie darauf vorbereiten, dass ihr eine lange und schwere Behandlung bevorstehe. Und vor allem sei Frau Hagemeister nicht mehr krankenversichert. Was die Frau ihr da vorgelogen hat, wusste die Nachbarin nicht so genau, es ging auch wohl nicht aus dem Brief hervor. Nur, dass die alte Frau glaubte, sie solle die ganze teure Behandlung selbst bezahlen. Und da sie das nicht kann, ihre Tochter. Am Ende würde es sowieso nicht helfen. Deswegen, um sich das ganze Elend zu ersparen und vor allem, um ihre Familie nicht zu ruinieren, hat sie sich das Leben genommen. Das Perfide ist, sie wusste nicht, wem sie sich anvertrauen kann. Ihrer Tochter konnte sie das natürlich nicht erzählen. Und Brigitte, ihre Nachbarin, mit der sie auch gut befreundet war, wurde gerade am Herzen operiert. Da hat diese angebliche Schwester extra noch drauf hingewiesen, dass sie die nur nicht aufregen soll, es könnte ihr Tod sein. – Hätte sie mir gegenüber doch bloß etwas davon erwähnt«, jammert Berta. »Warum ist ihr das nicht eingefallen? Ich wäre doch gleich dahintergekommen, dass da was nicht stimmt. Zumal ihr Hausarzt am Tag nach dem Anruf in Urlaub gegangen ist und die Praxis geschlossen war. – Aber ich krieg raus, wer das war«, fügt sie entschlossen hinzu. »Damit kommt die nicht durch.«

      »Ja, die arme Frau. Eigentlich war es ein Mord«, stellt Sophie fest. »Auch wenn die Anruferin das vielleicht nicht so krass gewollt hat.«

      »Wer Liselotte Hagemeister kannte, konnte aber damit rechnen. Die wusste sich nicht anders zu helfen. Sie war auch ein bisschen naiv und ziemlich einfach gestrickt.«

      »… sonst wäre sie auf diesen Mist auch nicht hereingefallen«, stellt Anne fest.

      »Und gerade deshalb finde ich das gemeine Miststück.« Berta ist schon auf dem Kriegspfad. »Morgen gehe ich erst mal zu Brigitte und sehe mir den Brief selbst an. Polizei können wir uns sparen, dazu braucht man Menschen- und Ortskenntnis.«

      Am Strand ist nichts mehr zu tun. Arno Potenberg hatte keine Lust, mit Plötz in der Hütte herumzusitzen, er wollte lieber bei Sophie sein. Im Moment läuft es mit den beiden gerade wieder ganz gut. Sophie ist jetzt Mitte fünfzig und die Routine, die sich in ihrer Beziehung entwickelt und die sie als langweilig gefürchtet hat, empfindet sie inzwischen als angenehm. Sie braucht keine Aufregung und kein Herzklopfen mehr, für Abwechslung in ihrem Leben sorgen ihre Pension und Tante Berta. Arno machte sich also auf den Weg zu Sophie, Paul beschloss, seinen Kollegen zu begleiten.

      Jetzt sitzen sie beide am Stammtisch. Der alte Fischer trägt zwar immer noch seine Cordhosen, aber auf dem karierten Hemd sind heute mal keine Fischschuppen. Und er hat die grauen Haare sorgfältig gekämmt. Arno hat sich umgezogen. Der dunkelblaue Pullover, den er über einem Hemd trägt, betont seinen Wikingertyp.

      Berta sieht auf die Uhr. »Für Grog ist es noch zu früh«, stellt sie fest, »für Bier auch. Wir trinken Kaffee.«

      »Ohne Kuchen?«, mault Plötz, der sich zwar hauptsächlich von Fisch und Kartoffeln ernährt, aber auch gern mal was Süßes isst.

      »Tut mir leid«, sagt Sophie. »Wir haben gerade gar keinen Kuchen da. Soll ich schnell was holen?«

      »Lass mal, ich weiß was Besseres. Fangt ruhig schon an!«, entgegnet Berta.

      Während ihre Nichte die beiden Männer, Anne und sich selbst mit Kaffee versorgt, geht die alte Köchin in die Küche. Zehn Minuten später kommt sie mit einem Tablett in der Hand wieder. »Hier«, sagt sie und stellt es auf dem Tisch ab, »frisches, warmes Weißbrot. Ich hab es noch mal in den Ofen geschoben. Mit Butter und Honig schmeckt das besser als jeder Kuchen.«

      »Tante Berta, das war gemein«, stöhnt Anne nach einer halben Stunde und streicht sich theatralisch über den Bauch. »Weißt du, wie viele Kalorien wir uns da gerade reingepfiffen haben?«

      »Ach was, Hauptsache, es hat geschmeckt.«

      »Hast du eigentlich was Neues über die Einbrüche herausgefunden?«, fragt Plötz und schiebt seinen Teller beiseite.

      »Ach siehst du, das wollte ich dir doch erzählen«, fällt Arno ein, bevor Berta antworten kann. »Ich habe mich ein bisschen umgehört. Bei uns im Dorf ist auch ein paar Mal eingebrochen worden. Und stell dir vor, wenn man nachfragt, stellt sich heraus, dass es alles Gäste von euch waren.«

      »Scheiße!«, entfährt es Sophie. »Du willst doch nicht sagen, …?«

      »Das kann natürlich Zufall sein«, beschwichtigt Arno. »Wenn die Einheimischen essen gehen, dann entweder beim Chinesen, beim Griechen oder sie kommen zu euch. Also war fast jeder aus dem Dorf schon mal hier. Und die meisten wissen ja eben nicht genau, wann der Einbruch passiert ist, weil sie erst später gemerkt haben, dass etwas weg ist. – Aber«, fügt er betont hinzu und sieht Berta eindringlich an, »eine Familie weiß genau, dass sie bei euch gegessen hat, als jemand in ihrem Haus war. Die Frau wollte gleich, als sie zurückgekommen sind, ihre Ohrringe in ein Schmuckkästchen legen und das war leer. Zwei Stunden vorher, als sie den Schmuck rausgenommen hat, lagen noch ein wertvolles goldenes Armband und eine Bernsteinkette drin.«

      »So«, nickt Berta beinahe zufrieden, »da haben wir die Bescherung. Ich habe es geahnt. Also, wer steckt dahinter und vor allem, wie macht er es?«

      »Mir fällt Gesa Huber dabei ein«, erklärt Paul. »War da nicht mal was vor dreißig, fünfunddreißig Jahren? Da hing sie doch drin, oder?«

      »Ja«, gibt Berta zu. »Ich habe es Sophie und Anne schon erzählt, obwohl ich eigentlich nicht mehr darüber reden wollte. Ich dachte, es wäre vorbei und verjährt. Aber wenn das nun wieder passiert – die Ähnlichkeit ist schon auffallend.« Sie berichtet, wie Gesa damals Kollegen die Wohnungsschlüssel aus der Tasche gestohlen hat und bei ihnen zu Hause eingebrochen ist, während die gearbeitet haben. »Ich habe sie erwischt. Aber angezeigt hab ich sie dann doch nicht. – Ja, ich weiß«, wehrt sie die verständnislosen und empörten Bemerkungen der anderen ab, »ich hätte es tun sollen, aber sie tat mir eben leid. War schon immer ein armes Würstchen, unglücklich und unzufrieden, hat nichts auf die Reihe bekommen. Und dann hatte sie ja die Kleine, die war gerade ein oder zwei Jahre alt. Sie hat sich bei allen entschuldigt und alles zurückgegeben. Ich hab dann aufgepasst und es ist auch nicht wieder passiert.«

      »Du denkst aber auch, dass du immer alles weißt«, stänkert Plötz, der Einzige in der Runde, der es wagt, Bertas Kompetenz wenigstens hin und wieder einmal anzuzweifeln. »Vielleicht hat sie sich danach nur geschickter angestellt. Außerdem hat sie ja nicht nur geklaut. Sie hat auch Leute erpresst. Sogar Fischer. Kollegen von uns.