Martina Meier

Wünsch dich ins große Wunder-Weihnachtsland Band 1


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um mit der Zirkelspitze die Seitenansicht von Papas neuem Cabriolet in die Furnierholzplatte seines Pultes zu ritzen. Zwölfmal hatte er danach zu Lisa Meinerzhagen „blödes Pferdegesicht“ sagen müssen, ehe sie endlich angefangen hatte zu heulen. Und bevor sich kurz vor Schulschluss Frau Hesses Stimme vor Ärger so richtig schön überschlagen hatte, hatte er unzählige Male so laut schreien und so schrill pfeifen müssen wie ein Amazonas-Papagei.

      Gierig und in großer Vorfreude auf all die leckeren Sachen, die nun für ihn bereit standen, riss Philip die Kühlschranktür auf und steckte seinen Kopf in die gleißende Kälte.

      Neben den Milchtüten stand im unteren Türfach eine große Flasche Cola. Sie strahlte ihn sofort herausfordernd an und flüsterte ihm verführerisch zu: „Komm schon, Philip, Lieber, nimm mich!“

      Aus dem Kühlschrankhintergrund blinzelte ihm zwischen Gurkensalat und Pfeffersalami ein kristallenes Schälchen zu, das mit köstlich duftendem Müsli-Mix-Erdbeerquark noch gänzlich zur Hälfte gefüllt war, und gurrte lieblich: „Oh, Philip, allerliebster Philip, sieh mich nur an! Bin ich nicht zum Fressen schön?“

      In Philips Ohren begannen tausend Glöckchen lieblich zu klingen, und der Chor der Engel schickte sich an, nur für ihn einen zuckersüßen Strauß bunter Weihnachtslieder zu trällern.

      Philip warf einen raschen Blick über die Schulter und stellte fest, dass seine Mutter immer noch auf der Tischplatte saß und hilflos daran festklebte. Sie starrte ihn gackernd und ängstlich mit tellergroßen Augen an, ihr Kopf nickte dabei sinnlos auf und ab, als wolle ihr spitzer Mund unentwegt irgendwelche Körnchen aufpicken.

      „Hoffentlich hört sie bald mal mit dem dämlichen Gegacker auf“, säuselte Philip vergnügt vor sich hin und widmete sich wieder dem eisgekühlten Schlaraffenland.

      „Hallo, Cola!“, rief er entzückt, griff nach der Flasche und goss die braune Brause ungeniert in ein großes bauchiges Wasserglas, dass es nur so schäumte. Niemand würde ihn daran hindern, soviel davon zu trinken, wie er wollte.

      Langsam und genüsslich leerte er das Glas bis auf den letzten Tropfen und ließ die Mutter auf dem Tisch nicken und picken und gurren und gackern. Er füllte das Glas gleich ein zweites Mal, um es nachher mit auf sein Zimmer zu nehmen. Dort würde er den ganzen Nachmittag Computerspiele spielen statt auf der dämlichen Blockflöte „Kling, Glöckchen, Klingelingeling“ und „Leise rieselt der Schnee“ zu üben. Blitzschnell drehte er den Kopf zur Seite und bedachte seine Mutter lautstark mit einem prickelnden Rülpser aus der Tiefe seiner Kehle, bevor er sich, bewaffnet mit einem silbernen Esslöffel, gut gelaunt über den Müsli-Mix-Erdbeerquark hermachte, der ihn schon die ganze Zeit über so schelmisch anblickte.

      Aber kaum hatte er zwei dicke Happen davon in sich hineingelöffelt, da zog es ihn, wie von unsichtbaren Weihnachtsengelhänden gepackt, hinauf auf den Küchentisch direkt neben die Mutter. Sein Kopf verfiel in ein heftiges Nicken, und gleich darauf begann er laut zu gackern: „Putputputput! Putputputput!“

      Und er gackerte und gackerte und pickte und nickte und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als wolle er gleich davonfliegen, doch er klebte mit dem Hosenboden unverrückbar an der Tischplatte fest.

      Philip bekam eine riesige Angst. Verzweifelt gackerte er nach seiner Mutter, in der Hoffnung, dass sie ihm helfen könne, obwohl er ja wusste, dass sie genauso hilflos war wie er. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, und er war kurz davor, sein Missgeschick in einen Zusammenhang mit dem seltsamen Erdbeerquark zu bringen, als seine Mutter plötzlich in ihrer ganzen Größe vor ihm stand.

      Sie gackerte nicht mehr, und sie hatte auch aufgehört zu nicken und zu picken. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt sie ein strahlend weißes Ei. Laut lachend schwenkte sie es über ihren Kopf und hielt es dann ihrem Söhnchen triumphierend unter die Nase. „So, mein Lieber!“, gluckste sie. „Das Weihnachtsei ist gelegt, und ich werde bestimmt nie wieder die Tüten verwechseln! Jetzt bin ich gespannt, ob kleine Hähnchen auch Weihnachtseier legen können!“

      Philips Augen rollten wild, er nickte und pickte und gackerte, und ab und an entfleuchte ihm ein kleiner gackernder Rülpser, während seine Mutter sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten konnte. „Du musst schon warten, bis der Papa heute Abend kommt, Philip! Er kennt vielleicht ein Gegenmittel!“

      „Putputputput!“, gackerte Philip, nickte heftig und deutete mit zitterndem Zeigefinger unentwegt auf die leuchtend gelbe Breckies-Schachtel, die zwischen der schnurrenden Maunzel und dem feierlich funkelnden Adventskranz auf der Fensterbank stand.

      „Und wenn nicht“, hörte er die Mutter sagen und beobachtete, wie sie schwungvoll die Kühlschranktür zuknallte und Maunzel ein Schälchen Breckies hinstellte, „dann kommst du über Weihnachten mitsamt dem Küchentisch in den Hühnerstall. Das kleine Jesuskindlein musste schließlich auch in einem Stall schlafen.“

      Und so kam es, dass der kleiner Philip Botterblom an jenem Tag bis spät abends auf dem Küchentisch saß, riesige Angstaugen machte und ohne Unterlass gackerte, während die Mutter hinter seinem Rücken seelenruhig den Christbaum schmückte.

      Als dann endlich sein Vater, der ehrwürdige Doktor Botterblom, abgekämpft nach Hause kam und sich von seiner Frau in allen Einzelheiten erzählen ließ, was vorgefallen war, verabreichte er dem kleinen Philip wortlos ein paar von Maunzels feinen Breckies. Kaum hatte der davon gekostet, hörte er auf zu gackern und sprang mit einem gewaltigen Satz vom Tisch. Ein Weihnachtsei hatte er nicht gelegt. Stattdessen entfuhr ihm nun jedes Mal, wenn er etwas sagen wollte, ein klägliches „Miau!“, und selbst der Blockflöte konnte er fortan nichts als diese fürchterlich jaulenden Katzentöne entlocken. Die Eltern lächelten sich vielsagend zu, zuckten mit den Schultern und schüttelten langsam und feierlich die Köpfe. „Immerhin musst du das Weihnachtsfest nicht im Hühnerstall verbringen!“, flötete die Mutter leise und fuhr ihrem Philip, der den Kampf gegen die Tränen nun endlich verloren hatte und lauthals schluchzte, mit sanfter Hand durchs Haar.

      „Das gibt sich, Söhnchen!“, grunzte der weise Doktor und hielt die spitze Nase genüsslich in sein Rotweinglas. „Das verschwindet mit dem alten Jahr. Aber vielleicht finden wir ja auch vorher schon ein Gegenmittel. Vielleicht ...!“

      Peter Klusen studierte Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften, er ist heute Oberstudienrat am Franz-Meyers-Gymnasium in Mönchengladbach.

      *

      Die Weihnachtsfee

      Es ist kalt, bitterkalt. Kleine Schneeflocken tanzen vom Himmel hernieder und legen sich wie ein weißes Tuch über die Erde. In den Fenstern strahlen Lichterbögen und Sterne um die Wette. Keine Frage – Weihnachten steht vor der Tür. Auch die siebenjährige Marie zählt bereits ungeduldig die Tage bis zum Fest. „Mama, wann schmücken wir endlich unseren Baum? Und wann kommt Papa nach Hause?“

      „Morgen, Marie. Und übermorgen ist Heiligabend“, antwortet ihr die Mutter aus der Küche.

      Im ganzen Haus duftet es nach Bratäpfeln und Lebkuchen. Doch Maries Gedanken sind schon beim Baum. Morgen also. Noch einmal schlafen.

      Abends im Bett findet sie einfach keine Ruhe. Sie ist zu aufgeregt. Das blondgelockte Mädchen freut sich besonders darauf, die Weihnachtsfee auf die Spitze des Baumes zu stecken. Schließlich ist die Fee das Wichtigste und Schönste des Weihnachtsbaumes. Sie ist da, um die Wünsche der Kinder und natürlich auch die der Eltern zu erfüllen. Bisher hat das immer wunderbar geklappt.

      Das kleine Mädchen liebt Feen über alles. Die Geschichten aus ihren Büchern kennt sie bereits auswendig. Für Marie ist klar: Die Feen leben unter uns. Eine Fee, die Zahnfee, ist sogar schon bei ihr gewesen. An dem Abend, als ihr erster Zahn ausgefallen war, hatte das Mädchen ihn unter das Kopfkissen gelegt. Am Morgen dann hatte sie an dieser Stelle statt diesem tatsächlich einige Münzen gefunden. Der Zauber der Feen fesselt Marie immer wieder aufs Neue – auch wenn andere sie dafür belächeln.

      Erst spät an diesem Abend kommt Marie zur Ruhe und schläft endlich ein. „Mama, komm aufstehen. Wir wollen den Baum schmücken!“ Der Wecker zeigt gerade einmal 6 Uhr an. Maries Mutter, die heute ihren