gemütlich an einem einzigen Tag.
In der Zeit vor Weihnachten herrschte, wie überall auf der Welt, auch im kleinen Königreich geschäftiges Treiben. Weihnachtskarten mussten geschrieben, Weihnachtseinladungen verschickt, Weihnachtsgeschenke verpackt und Weihnachtskekse gebacken werden. Und weil man im letzten Jahr die Mondprinzessin vergessen und arg dafür gebüßt hatte, wurde heuer alles feinsäuberlich auf langen Listen festgehalten.
Der kleine König schrieb eine Geschenkliste für besonders bedürftige Untertanen.
Die kleine Königin schrieb eine Gästeliste für den großen Weihnachtsempfang.
Der Hofmarschall schrieb eine Adressenliste für die Weihnachtskarten.
Der Koch schrieb eine Menuliste für das Weihnachtsessen.
Der Küchenjunge Pietro schrieb eine Liste der beliebtesten Weihnachtsbäckereien. Weil er eine große Naschkatze war, wurde es eine lange Liste.
Prinz Minikus und Prinzessin Minika schrieben ihre Wunschliste an das Christkind. Weil sie sehr bescheidene Kinder waren, wurde es eine kurze Liste.
Nur der Drache Fress-dich-nicht und die Kräuterhexe schrieben keine Listen. Der Drache, weil er nicht schreiben konnte, und die kleine Hexe, weil sie so viel Gute-Freunde-Tee gebraut hatte, dass er für alle reichte. Im Turmzimmer knüpfte Minika das letzte Freundschaftsband, während der kleine Prinz auf seiner Flöte Weihnachtslieder übte. Die Turmmaus, die am liebsten mit dem langen Samtband der Prinzessin spielte, hatte sich allerdings verkrochen. Die Töne, die Minikus seiner Silberflöte entlockte, waren zu viel für ihre empfindlichen Ohren. „Das klingt ja ärger als eine Katze, die man am Schwanz zieht!“, schimpfte sie empört aus ihrem Loch. Auch der Hauslehrer, der gerade weihnachtliche Verse für die königliche Familie dichtete, bat wiederholt flehentlich „Cis, mein lieber Minikus. Cis, nicht c!“
Aber auch gelegentlich falsche Töne konnten die vorweihnachtliche Stimmung nicht trüben. Nur der Schnee bereitete den Kindern Sorgen, genauer gesagt: der nicht vorhandene Schnee. Immer wieder schauten sie aus den Schlossfenstern zum Himmel, doch kein weißes Stäubchen ließ sich blicken.
„Wie soll der Schlitten mit dem Christkind ohne Schnee zu uns fahren?“, fragte Minika verzagt. „Gibt es heuer kein Weihnachtsfest?“
„Keine Angst!“, tröstete Minikus die kleine Schwester. „Bis morgen kann der Schnee noch kommen und wenn nicht, spannt das Christkind die Pferdchen eben vor eine Kutsche.“
„Und so lange kein Schnee liegt, dürfen wir noch zu unserem Freund Fress-dich-nicht und zur kleinen Hexe reiten“, warf Pietro vergnügt ein. „Ich habe schon einen ganzen Korb voll runzeliger Äpfel für unseren vegetarischen Drachen gesammelt.“
„Und ich zwei Handvoll Nüsse für die Eichhörnchen“, trumpfte Minikus auf. „Vier Bund Heu für die Rehe und einen Sack Körner für die Vögel hat mir der Stallmeister geschenkt.“
„Ich hab mir ganz viele Karotten für die Hasen abgespart“, erklärte Minika stolz.
„Keine Kunst, weil du keine Karotten magst!“, neckte der Bruder die Schwester.
Dann sattelten die Kinder ihre Ponys, beluden ein viertes mit den Vorräten für die Waldtiere und ritten zum Regenbogensee. Die Turmmaus nahm hinter dem Ohr des ersten Pferdchens Platz und freute sich auf ihre Verwandten, die Waldmäuse.
Nach der großen Begrüßung luden die Kinder das mitgebrachte Futter ab und erkundigten sich bei der kleinen Hexe: „Kommst du morgen zur Weihnachtsfeier zu uns ins Schloss?“
„Ich besuche euch am Tag danach. Den Heiligen Abend möchte ich mit Fress-dich-nicht und den anderen Waldtieren feiern.“
Die Kinder blickten sich suchend um: „Wo steckt denn unser lieber Drache?“ Kein munteres Pfauchen war zu hören, kein rotes Dampfwölkchen zu sehen, nicht einmal eine winzige grüne Schwanzspitze guckte hinter den Felsen hervor.
„Er ist schrecklich beschäftigt. Sein Weihnachtsgeschenk für euch ist noch nicht fertig!“, schmunzelte die Hexe. „Genauer gesagt, er findet es noch nicht perfekt genug.“
Während Fräulein Turmmaus mit Onkel und Tante Waldmaus den neuesten Mausklatsch austauschte, servierte die Hexe den Kindern ihren Gute-Wünsche-Tee. Rechtzeitig vor dem Dunkelwerden machten sich Maus und Kinder wieder auf den Heimweg.
Am Heiligen Abend schüttelte das Christkind den Kopf. „Kein Schnee? Hat Frau Holle heuer verschlafen?“ Dann ließ es die Kutsche anspannen und machte sich auf den Weg zur Erde. Als fast alle Gaben verteilt waren – nur im kleinen Königreich auf der anderen Seite des Drachengebirges wartete man noch auf das Himmlische Kind – fielen auf einmal dicke Flocken vom Himmel. Immer heftiger wurde das Schneetreiben, ein weißer Teppich breitete sich über den Weg und so sehr sich die Pferdchen auch bemühten, ihre Hufe fanden in diesem steilen Gelände keinen Halt. Traurig senkten sie ihre Köpfe und wieherten kläglich. Würde es im kleinen Königreich heuer keine Bescherung geben? Weit und breit war keine Hilfe in Sicht. Wer sollte auch zu dieser späten Stunde und an dem abgelegenen Ort ihre Hilferufe hören.
Aber es war doch jemand munter – unser Drache! Der saß noch immer in seiner Höhle und polierte drei glänzende Glückssteine, die er für seine Menschenfreunde aus dem Inneren des Berges gebrochen hatte. Fress-dich-nicht machte sich sofort auf die Suche. Als er das Christkind sah, wurden seine Augen so groß wie Wagenräder. So ein wunderschönes Kind! Hoffentlich hatte es keine Angst vor ihm. Unser Drache machte sich so klein, wie er nur konnte, und hielt sich mit den Vordertatzen sein Maul zu. Nicht auszudenken, wenn sich das Himmlische Kind vor den roten Rauchwolken schrecken würde! Die Pferdchen zitterten auch erbärmlich. Vor Furcht? Vor Kälte? Wer wollte das entscheiden?
Doch das Christkind lächelte ihn an: „Ich fürchte mich nicht. Ich weiß doch, welch lieber Drache du bist! Vielleicht kannst du uns mit deinem heißen Atem den Weg über den Berg frei machen?“
Fress-dich-nicht war sofort Feuer und Flamme, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Er pustete, so fest er konnte, spuckte Feuer und überall, wo er hinfauchte, verschwand der Schnee. In flottem Tempo ging es nun über den Berg. Vorneweg, wie eine kleine Dampflokomotive, der Drache, ein Dampfwölkchen nach dem anderen in die Luft blasend, dahinter die Pferdchen, die nun nicht mehr zitterten, und am Schluss die Kutsche mit dem Christkind.
„Fress-dich-nicht, du bist der netteste Drache der Welt!“, bedankte sich das Christkind, als sie im Tal angekommen waren. „Von nun an können meine Pferdchen alleine weiter. Weißt du was? Zum Dank schenke ich dir einen neuen Namen. Wie gefällt dir FREDI, die Abkürzung von FREss-DIch-nicht?“
Noch immer nach Luft japsend, saß Fredi Fress-dich-nicht neben der Straße und brachte kein Wort heraus, aber er strahlte von einem Dracheneckzahn zum anderen und winkte mit seiner Schwanzspitze, bis das Christkind nicht mehr zu sehen war. Dann machte er sich auf zum Regenbogensee. Schon von Weitem rief er seiner Freundin, der Kräuterhexe zu: „Das Christkind hat mir einen neuen Namen geschenkt. Ab heute heiße ich FREDI!“
Gabriele Eder, 1944 in Helmstedt/Deutschland geboren, verbrachte ihre Kindheit in Bad Ischl und war bis zur Pensionierung Volksschul-Lehrerin in Gmunden in Österreich. Abschließend studierte die Mutter zweier erwachsener Söhne Pädagogik in Salzburg. Für Gabriele Eder ist das Schreiben Kompensation für krankheitsbedingte Einschränkungen, ihre Vorliebe gilt Märchen und heiter-ironischen Texten und Reimereien über Tiere und die kleinen Dinge des Lebens.
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Ho! Ho! Ho!
Gemütlich schnurchelte der Weihnachtsmann in seinem Schaukelstuhl. Eine warme flauschige Decke war über seinen Knien ausgebreitet, im Kamin erzählten die Holzscheite knisternde Geschichten aus den Wäldern.
Weit fort im Land der Träume sah der Weihnachtsmann unzählige mit Lametta und bunten Kugeln geschmückte Tannenbäume. Der Duft von flüssigem Bienenwachs waberte über brennenden Kerzen durch die Weihnachtsstuben. Zwei Kinder, ein kleiner blonder Junge und ein Mädchen mit hübschen braunen Zöpfen, sagten für den Weihnachtsmann ein Gedicht