Martina Meier

Wünsch dich ins große Wunder-Weihnachtsland Band 1


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Haare hervor, die ihm fast bis auf die Schultern fielen. Freundlich sah er Jan an.

      „Das ist Rembrandt“, erklärte Opa lächelnd, „er malt nicht nur Engel, sondern auch alte Männer.“

      „Guten Tag, ich bin erfreut dich kennen zu lernen, junger Herr“, sagte Rembrandt mit tiefer Stimme, „dein Großvater hat mir schon von dir erzählt.“

      Mit offenem Mund starrte Jan den Maler an. Hatte Opa nicht gesagt, er hätte vor vierhundert Jahren gelebt?

      „Da staunst du, was? “, grinste Opa. „Wir befinden uns im siebzehnten Jahrhundert, in Rembrandts Atelier.“

      Jan riss die Augen auf. „Und warum siehst du so komisch aus, Opa?“, fragte er.

      „Weil ich gekleidet bin wie zu Rembrandts Zeiten. Ich glaube, ihm gefällt mein Gesicht mit dem Bart, deshalb malt er mich.“

      Jan nickte. „Dann hast du die dicken Engelkinder gemalt?“, sagte er zu Rembrandt.

      „Wieso dicke Engelkinder? Wovon sprichst du?“ Der Maler runzelte die Stirn. Opa erzählte ihm von dem Bild in seinem Zimmer.

      „Meine heilige Familie“, bestätigte Rembrandt, „aber die Engel sind nicht dick, sie sind höchstens gut gebaut. Warum interessierst du dich dafür?“

      „Können Engel meinen Opa vor dem Altersheim beschützen?“, druckste Jan und sah verlegen zu Boden. „Ich will nicht, dass er weggeht.“

      Opa war gerührt. Rembrandt strich Jan tröstend über den Kopf. „Sei ganz beruhigt, ich glaube fest daran, dass Engel dazu fähig sind, aber …“, und dabei hob er warnend seine rechte Hand, „Menschen müssen auch ihren Beitrag leisten.“

      „Und was soll ich tun?“, fragte Jan beunruhigt.

      „Du hast schon genug getan“, entgegnete Rembrandt, „dein Wunsch hat dich und deinen Großvater zu mir ins Atelier gebracht. Also glaubst du fest daran, etwas verändern zu können. Das ist wichtig.“ Dann sah er Opa an. „Ihr scheint jedoch eher ein Zweifler zu sein. Ihr solltet Euren Enkel zum Vorbild nehmen, sprecht endlich mit Eurem Sohn.“

      Beschämt blickte Opa zu Boden, er wusste sofort, was Rembrandt meinte. Immer wieder hatte er sich mit Jans Vater gestritten, nicht nur über die Hühner. Papa wollte nicht, dass sie frei im Garten herumliefen, weil sie Löcher in den Rasen scharrten, und im Haus durften sie erst recht nicht sein. Aber Opa war es egal, ihm hatte es sogar Spaß gemacht, Papa und Mama damit zu ärgern.

      „Was um Himmels willen habt ihr euch dabei gedacht? Hühner im Garten, meinetwegen, … aber sogar in der Küche und in Eurem Schlafgemach? Das ist selbst in unserer Zeit unmöglich, obwohl wir genügend Tiere halten, die frei herumlaufen.“ Rembrandt schüttelte missbilligend den Kopf. „Eigentlich geht es zwischen Euch und Eurem Sohn doch gar nicht um die Hühner“, fuhr er fort. Erstaunt blickte Jan den Maler an. Woher wusste dieser Rembrandt soviel über Opa und Papa?

      „Ihr seid wahrhaftig nicht ganz unschuldig an dem Streit, Ihr müsst lernen, Euren Sohn so anzunehmen, wie er ist. Wenn Ihr wirkliche Größe zeigen wollt, versöhnt Ihr Euch mit ihm, schließlich ist bald Weihnachten. Jetzt setzt Euch wieder hin, sonst werde ich mit dem Bild nie fertig.“ Seufzend nahm Opa wieder seine Haltung auf dem Lehnsessel ein. Rembrandt ist ganz schön streng, dachte Jan, aber eigentlich hat er recht. Wenn Opa verspricht, die Hühner im Käfig zu lassen, und sich mit Papa wieder verträgt, muss er vielleicht gar nicht ausziehen. Jan machte es sich so bequem wie möglich und beobachtete den Maler noch lange bei der Arbeit. Keiner sprach mehr ein Wort, es war alles gesagt.

      „Guten Morgen, mein Junge, aufstehen, Frühstück ist fertig.“ Langsam öffnete Jan die Augen. Mama lächelte ihm ins Gesicht. Er wunderte sich, denn er konnte sich gar nicht erinnern, wie er aus Rembrandts Atelier wieder in sein Bett gekommen war. Als er die Küche betrat, saßen Opa und Papa am Tisch und unterhielten sich, das war schon lange nicht mehr vorgekommen. Am Adventskranz brannte die zweite Kerze.

      „Na, gut geschlafen?“, schmunzelte Opa. Jan nickte. „Ich nicht“, meinte Opa, „ich musste noch lange an Rembrandt denken.“ Dabei kniff er Jan ein Auge zu.

      Mathias Meyer-Langenhoff, Jahrgang 1958, ist Diplom-Pädagoge und Lehrer für Pädagogik und Psychologie an Berufsschulen.

      *

      Miris Weihnachten

      Entgeistert starrte sie auf das Gerippe. Nackt und braun stand es vor ihr auf der Terrasse. Nicht eine einzige Nadel haftete noch an den Zweigen. In einer dicken Schicht lagen sie zu ihren Füßen und zeigten den Weg, den sie mit dem vertrockneten Weihnachtsbaum gegangen war. Unvermittelt prustete sie los. So schlimm hatte sie es sich nicht vorgestellt. Wenn Mama das sehen würde! Aber Mama sah es nicht. Das war ja der Punkt. Mama war im Krankenhaus. Seit Wochen schon.

      Als Miri begriffen hatte, dass in diesem Jahr alles anders sein würde, dass sich nichts von der überschäumenden Weihnachtsfreude einstellen, dass kein Plätzchenduft durch die Wohnung ziehen und dass niemand die Musikkapelle der Holzengel aufbauen würde, war sie sehr niedergeschlagen gewesen. Weihnachten ohne Mama, das war unvorstellbar. Papa gab sich alle Mühe, aber auch er vermisste Mama schrecklich. Manchmal seufzte er, blickte Miri bekümmert an und strich ihr übers Haar. Es war tröstend gemeint, aber es machte alles nur schlimmer.

      Irgendwann war es mit Mama bergauf gegangen. Sie würde wieder ganz gesund werden. Miri dachte, dass das als Weihnachtsfreude genügen müsste, aber sie schaffte es nicht wirklich, ihre Enttäuschung zu verdrängen.

      „Hast du die Krippe schon aufgebaut?“, fragte Mama eines Nachmittags. Bestürzt schüttelte Miri den Kopf. Sollte sie Vorbereitungen für Weihnachten treffen? Gab es keine geheimnisvollen Überraschungen? Am liebsten hätte sie gerufen: „Aber das machst du doch immer!“

      Sie biss sich auf die Lippe. Sie wusste ja, dass das nicht möglich war, und sie wollte nicht zugeben, dass es ihr etwas ausmachte. Also gut, wenn es Mama wichtig war, würde sie sich darum kümmern.

      Lustlos machte sie sich an die Arbeit. Den größten Teil der Kartons mit dem Weihnachtsschmuck ließ sie im Keller. Sie hatte nicht die Absicht alle zu öffnen. Ächzend schleppte sie die Krippe die Kellertreppe hinauf. Die Hütte hatte Papa vor ein paar Jahren aus Birkenzweigen selbst gebaut. Damit es neben der strohgedeckten Hütte genug Platz für die Hirten, Schafe, Hunde, Könige, Kamele und Engel gab, hatte Papa alles auf einer großen Holzplatte befestigt und einen Zaun aus abgesägten, runden Zweigen auf den Rand geklebt. Das hatte Miri immer besonders gut gefallen, aber dadurch war das Ding ziemlich schwer.

      Ein wenig außer Atem begann sie mit dem Herrichten der Krippe. Zuerst steckte sie frisches Stroh in den Futtertrog, platzierte den Ochsen direkt daneben und versammelte alle Schafe und Hirten mit ihren Hunden am Zaun. Dann zogen Maria, Josef und das Jesuskind ein. Die Könige und ihre Kamele postierte sie vor dem Eingang zur Hütte. Die knienden Engel gab sie dem Jesuskind an die Seite.

      Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Nun mochte sie gar nicht mehr aufhören, das Haus weihnachtlich zu schmücken und bald glänzten in den Fenstern Sterne aus buntem Transparentpapier. Auf dem Esstisch standen sich zwei Keramikengel gegenüber. Zu ihren Füßen glitzerten die vielen kleinen Sterne aus Goldpapier, die Miri dort verstreut hatte. Weihnachtswichtel mit roten Mützchen und Bäuchen aus Tannenzapfen zierten die Fensterbank und sogar die Engelchenkapelle stimmte ihre stille Musik auf der Kommode an. Beim nächsten Besuch im Krankenhaus beschrieb sie Mama alles haarklein. Dabei funkelte es in ihren Augen. Mama lächelte und sagte, dass sie nun auch etwas von Weihnachten fühlen könne.

      Die größte Herausforderung war der Weihnachtsbaum. Papa brachte ihn zwei Tage vor Weihnachten vom Einkaufen mit und stellte ihn im Wohnzimmer auf. Miri machte sich gleich daran, ihn mit silbernen Kugeln, handgeschnitzten Engeln, Strohsternen und Kerzen zu schmücken – fast genauso, wie Mama es immer machte.

      Heiligabend besuchten sie Mama im Krankenhaus und mussten ihr beim Abschied versprechen, zu Hause gleich die Kerzen am Weihnachtsbaum anzuzünden. Wer weiß, sonst hätten sie es vielleicht doch nicht gemacht. Aber versprochen