und der immer mit ihm durch dick und dünn gehen würde! Ja, ganz gewiss, und sie würden bestimmt noch viel Spaß zusammen haben!
Maria Wendlandt, Jahrgang 1966, verstarb im April 2008 kurz nach der Vollendung dieser Geschichte. Sie wohnte mit ihrem Mann und ihrer 15-jährigen Tochter seit August 2006 auf Teneriffa.
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Angorina
Es war einmal am Tag vor dem ersten Advent. Draußen im Wald war alles still und ruhig. Es war schon kalt und geschneit hatte es gestern. Alle Tiere hatten sich geschützte Ecken gesucht.
Der Waldweg, auf dem sonst schwere Holzwagen rumpelten, lag einsam da. Doch plötzlich kam jemand den Waldweg entlang gestapft. Ein paar Hasen, die gerade aus ihrem Bau guckten, erkannten die Gestalt sofort und hatten keine Angst. Es war nämlich St. Niklas. Der ging in diesen Tagen vor Weihnachten in die Dörfer und Städte überall. Er holte sich die Wunschzettel ab, die die Kinder vor das Fenster in die Schuhe legten. Ganz braven Kindern legte er einen Apfel oder etwas Süßes wieder hinein, dann war die Freude groß. Doch heute bedrückte ihn etwas. Er suchte in seinen Taschen und sah traurig drein. Die Hasen merkten es gleich, liefen ihm entgegen und fragten nach seinem Kummer.
„Ja, denkt euch nur“, sagte er, „ich habe einen Wunschzettel verloren. Er ist von einem kleinen Mädchen aus dem Dorf dort hinter der Kreuzung. In dem letzten roten Häuschen an dem großen Garten wohnt es. Ich bin aber so müde heute und kann nicht mehr zurückgehen und suchen. Was mache ich nur?!“
Die Hasen dachten nach, wie ihm wohl zu helfen war. Einer hatte eine Idee und sagte: „Lieber St. Niklas, du weißt, für uns graue Hasen ist es jetzt gefährlich in die Nähe der Menschen zu gehen, man sieht uns doch gleich im Schnee. Aber in der Nähe wohnt eine Angora-Familie. Du kennst doch die Hasen mit dem schönen weißen Fell. Die älteste Hasentochter wollte schon immer etwas erleben, sie wird dort hinlaufen und den Wunschzettel finden. Ich hole sie gleich einmal her!“
Es dauerte nicht lange, da kamen sie gelaufen. Angorina, so hieß die weiße Häsin, war wirklich wunderschön, sie freute sich, dass sie St. Niklas helfen konnte, und sauste gleich ab. Sie fand das Häuschen mit dem Garten, suchte alles ab, aber vergeblich. Es wurde Abend, und hungrig wurde sie auch. Ihr Näschen entdeckte bald etwas Gutes, dass ihr wundervoll schmeckte. Angorina fraß sich dick und rund. Dann wurde sie sehr müde und dachte: Morgen früh, wenn es hell ist, finde ich den Wunschzettel bestimmt. Sie mummelte sich ein und schlief sofort.
Morgens kam ein Mann in den Garten. „So, so, nun sind doch die Hasen schon im Rosenkohl gewesen“, sagte er zu sich. „Nun zum Weihnachtsfest wird er gepflückt – aber was liegt denn hier!?“ Erstaunt besah er sich den Hasen. „Der ist ja halb erfroren, der Arme, den werde ich in eine Kiste setzen, und wenn es ihm gefällt, kann er bleiben. Ob sich meine Tochter wohl freuen wird?“ So dachte der Mann, packte den Hasen gut warm ein, gab ihm etwas Gutes zu fressen und ging seine kleine Tochter holen. Angorina wachte erst jetzt auf, erschrak ein bisschen, besah sich ihr Häuschen und wartete gespannt, was sich nun weiter ereignen würde. Nun hatte sie ihr Erlebnis! Aber oje, der verlorene Wunschzettel! Wie wird das? Sie dachte nach und hatte eine Idee: Die Kleine wird sicher oft zu mir kommen, dann werde ich ihr ihre Wünsche ablauschen. Und die schwarze Krähe, die ich vom Wald her kenne, wird St. Niklas immer berichten, dachte Angorina. So kam Weihnachten heran. Und was meint ihr, liebe Kinder, hat Angorina richtig gelauscht? Horchen wir einmal, was die Krähe aufgeschnappt hat und im Wald von dem kleinen Häuschen erzählt:
„Angorinas weiße Wolle spielt für uns eine große Rolle,
viermal wird geschoren im Jahr,
so schnell wächst ihr feines Haar.
Bevor es nun ganz zugefroren,
wird das letzte Mal geschoren,
schnell wird’s gesponnen ganz fein,
denn nun wird das Jäckchen bald fertig sein.
Als Dank müssen wir Angorina recht gut pflegen,
oft frisches Heu ihr in den Stall reinlegen,
mal Möhren und Wrucken,
auch Körner ins Futterfass
und im Frühjahr grünes Gras!“
Lotte Bösch, Jahrgang 1920, schrieb diese Geschichte in den 50er Jahren.
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Jan, Opa und die heilige Familie
„Opa, bist du noch wach?“ Frierend stand Jan vor Opas Bett. Draußen heulte ein wütender Wintersturm und rüttelte mit aller Kraft an den Rollläden. Es klapperte so laut, dass er es in seinem Zimmer einfach nicht mehr ausgehalten hatte und über den dunklen Flur zu Opas Zimmer geschlichen war. Ausgerechnet heute waren Papa und Mama zu einer Betriebsweihnachtsfeier gegangen. Vorsichtig näherte er sich dem Bett, aus dem leises Schnarchen zu hören war. Bei jedem Atemzug zitterte Opas Schnurbart, der ihm wüst über den Mund wucherte und mit dem langen, grauen Kinnbart ein undurchdringliches Dickicht bildete. In letzter Zeit war Opa häufig grantig und verließ nur noch selten sein Zimmer. Jan wusste warum. Papa wollte Opa die geliebten Hühner verbieten und hatte schließlich sogar gesagt, so ginge es nicht weiter, Opa müsse ins Altersheim, Weihnachten hin oder her. Jan kitzelte Opa an der Nasenspitze. Sein Großvater schnarchte kurz auf und drehte sich vom Rücken auf die Seite. „Opa, wach auf!“ Er schüttelte ihn.
„Was … was ist los?“ Opa fuhr erschreckt hoch und rieb sich die Augen. „Ach, du bist es“, murmelte er und gähnte.
„Ich hab Angst, darf ich bei dir bleiben? Du wolltest mir doch was über dein Bild erzählen“, sagte Jan.
Opa sah ihn verwundert an. „Mitten in der Nacht? Hat das nicht bis morgen Zeit?“, knurrte er.
„Bitte, ich kann nicht schlafen“, antwortete Jan.
Opa seufzte, schlug das schwere Federbett zurück und fuhr mit den Füßen in seine großen Filzpantoffel. Ächzend erhob er sich von der Bettkante und schlurfte zu dem roten Lehnsessel. „Na, dann komm mal her“, sagte er. Schnell setzte sich Jan auf Opas Schoß. Sie kuschelten sich in die braune, flauschige Decke, dann schaltete Opa die Stehlampe ein und richtete sie auf das Bild. Eingefasst in einen goldenen, breiten Rahmen zeigte es eine junge Frau, die sich mit einem Buch in der Hand vorsichtig über ein Kind beugt. Es liegt in einer Korbwiege und schläft.
„Bist du das als Baby?“, fragte Jan.
Opa lachte. „Nein, das ist das Jesuskind. Die Frau ist seine Mutter Maria und der Mann im Hintergrund ist Josef. Das Bild ist von dem Maler Rembrandt, der hat vor ungefähr vierhundert Jahren in Holland gelebt.“
„Und wer sind die dicken Kinder?“
„Das sind keine Kinder, das sind Engel“, brummte Opa, „siehst du nicht die Flügel? Dick war damals schick, Rembrandt hat alle so gemalt.“ Jan grinste. Er dachte an Papa, der ging dreimal die Woche ins Fitnessstudio, weil er etwas gegen seinen Bauch tun wollte. Auf einmal hatte Jan eine Idee. Engel sollten Menschen doch beschützen. Also müssten sie auch Opa vor dem Altersheim beschützen können. Sehnsüchtig schloss er die Augen, er wollte auf alle Weihnachtswünsche verzichten, wenn Opa nur bei ihm bliebe. Bitte, bitte, liebe Engelkinder, Opa darf nicht weggehen, dachte er inständig.
Dann geschah etwas Merkwürdiges. Für einen Moment wusste Jan nicht, wo er war. Er wollte gerade um Hilfe rufen, als er feststellte, dass er auf einem Stuhl in einem Maleratelier saß. Jan sah sich um. Es war klein, und obwohl es draußen stockfinster war, brannte kein elektrisches Licht. Das Atelier wurde mit Kerzen beleuchtet und im Kamin prasselte ein Feuer. Überall standen Bilder herum, Farbtöpfe und Behälter mit großen und kleinen Pinseln. Es roch muffig, als wäre hier schon lange nicht mehr gelüftet worden. Der Maler stand mitten im Raum an seiner Staffelei und drehte Jan den Rücken zu. Vor ihm, auf einem Sessel, saß zu seiner Überraschung Opa. Er trug eine rote Mütze, einen langen, glänzenden Mantel und hielt einen Holzstock in der linken Hand, mit dem er sich auf dem Boden abstützte. „Darf ich Ihnen meinen