Jörg Weigand

Die Welten des Jörg Weigand


Скачать книгу

um einen schimmligen Reisfladen hat ein Jugendlicher einem Greis das linke Auge ausgekratzt). Habe mich geärgert, dass ich die Kamera im Hotel gelassen habe.

      Zurück im Hotel, musste ich feststellen, dass diese Flaschen noch nicht einmal in der Lage sind, ihren Gästen ein Steak vorzusetzen. Musste mich mit Spiegeleiern auf Toast begnügen. Die Eier schmeckten schauderhaft nach Fischmehl, ich habe die Hälfte stehenlassen und eine geharnischte Beschwerde angebracht. Doch diese sturen Hunde kann nichts beeindrucken. Der schiefnasige Kellner hat nur mit der Achsel gezuckt und abgeräumt. Als ich gleich darauf den Speisesaal verließ, sah ich ihn in einer Ecke meinen Teller leeren. Na, wohl bekomm’s!

      31. Mai

      Ich bin rechtschaffen müde. Dieser Tag hatte es in sich. Gleich am Morgen sind Terry Marx und ich in die Umgebung von Dakka gefahren, auf der Suche nach lohnenden Motiven. Ich glaube, ich habe erstklassiges Material bekommen.

      Etwa neun Kilometer außerhalb trafen wir in einem Dorf mit unaussprechlichem Namen auf ein Notaufnahmelager. Ein unerwarteter nächtlicher Platzregen hatte die Wege des Lagers zum Teil bis in Kniehöhe unter Wasser gesetzt. Die Leute hocken wahllos in irgendwelchen schlammgefüllten Löchern; das Wasser steht ihnen bis zum Hals – doch sie rühren keinen Finger, um sich selbst zu helfen. Dazwischen liegen die Leichen der Verhungerten, keiner kümmert sich um ihre Beseitigung. Sicher, das gibt Bilder, doch etwas mehr »Action« wäre mir lieber. Schließlich kann ich hier nicht so lange warten, bis die Cholera ausbricht (und Anzeichen dafür gibt es). Schön und gut: Die Mutter, die in der vergangenen Nacht ihr Baby nicht schnell genug aus den einströmenden Fluten geborgen hat und nun, das ertrunkene Mädchen im Arm, in ihrem Dreckloch sitzt und vor sich hinstarrt, ist vielleicht als Einstieg für mein Feature nicht schlecht. Aber eigentlich hatte ich mir mehr erhofft …

      Da lobe ich mir die Überschwemmung letztes Jahr in Zentralafrika. Der Dauerregen prasselte dreiundsechzig Tage lang herunter, und die Wassermassen, die sich durch das Hochtal wälzten, über dem wir unser Standquartier bezogen hatten, besaßen eine solche Wucht, dass sie selbst die riesigsten alten Baumknorren mit sich fortrissen. Damals drehte ich für die kanadische Gesellschaft TT-TV. Besonders begeistert war man in Ottawa von meinem Kurzbericht – ich möchte es eine Impression nennen – über das Knäblein, das versuchte, seinen vom Wasser hinweggeschwemmten Hund zu retten. Ich stand unmittelbar neben dem Buben, als er selbst abgetrieben wurde. Mit dem Zoom habe ich alle Details haarscharf mitbekommen. Beinahe hätte ich dafür auch noch einen Preis erhalten; das sind eben Bilder, wie sie das Publikum sehen will.

      Ich glaube, wir müssen weiter ins flache Land hinein, um genügend Stoff für unsere Berichte zu erhalten. Auch Terry ist nicht recht zufrieden; vorhin schimpfte er, das sei doch alles Routinequatsch. Unmittelbar vor der Hauptstadt sieht eben alles noch viel zu geordnet aus. Das hat mir auch Pierre Mireau bestätigt, den ich auf dem Rückweg vom Notaufnahmelager traf. Pierre ist noch einer von den Altmodischen. Er arbeitet immer noch mit der ARRI, hat ein komplettes Team dabei, wie wir es seit Jahren nicht mehr kennen – und er arbeitet mit einem Reporter zusammen, dem es aber hier in Bangladesch zu blöd ist, mit vor Ort zu fahren. So hat Pierre freie Hand beim Drehen; getextet wird dann am Abend in der Hotelbar.

      1. Juni

      Mann, bin ich geschlaucht.

      Gestern Abend bin ich mit Pierre und Hajime in einer Bar der Altstadt versackt. Hajime hat mir ein paar Tipps gegeben, wo für meine Featurestory eventuell noch etwas an Bildteppich zu holen ist. Ich habe zwar den Verdacht, dass er selbst dort schon fleißig abgegrast hat, aber ich denke, wir werden uns dennoch nicht ins Gehege kommen.

      Als angenehme Überraschung stellte sich heraus, dass Pierre Mireau vor sieben Jahren ebenfalls in Saudi-Arabien war, als die amerikanische Eingreiftruppe die Ölquellen besetzte. Komisch, dass wir uns damals nicht gesehen haben. Andererseits herrschte dort damals ein solches Durcheinander …

      Saudi-Arabien war ein toller Job. Es war mein erster Versuch als Freelancer. Ich hatte in der International Prop Oil einen potenten Geldgeber gefunden; die amerikanische Ölfirma wollte Bildmaterial für den hausinternen Gebrauch. Das hat sie auch bekommen, zur Genüge. Leider ist davon natürlich nie etwas über den Sender gegangen. Das gesamte Material liegt noch bei der Firma – was die daraus gemacht haben, ist mir unbekannt. Eigentlich schade, denn ich hatte zum Beispiel exklusiv, wie die Eingreiftruppe das Erdölministerium »gesäubert« hat. Mann, war das ein Spektakel, die Jungs haben ganz schön gewütet. Starkes Material war das. Na ja, wenigstens hat die Ölgesellschaft gut bezahlt. Und weiterempfohlen hat sie mich auch. Seitdem bin ich gut im Geschäft und habe, glaube ich, inzwischen einen prima Riecher für zuschauerwirksame Bilder entwickelt. Das kommt einem bei einem Einsatz wie hier in Bangladesch, wo so gar nicht viel los ist, gut zustatten. Wo nichts ist, muss man halt was zaubern.

      Heute sind José und ich weiter von Dakka ins Landesinnere gefahren. Etwa fünfzig Kilometer, dann fanden wir, wonach wir suchten. Hier auf dem flachen Land ist die Not in der Tat schlimmer als dicht vor den Toren der Hauptstadt. Mein Feature nimmt immer mehr Gestalt an. Von den Kurzberichten habe ich bereits einige abgeschickt. Die 4-DX-Video bewährt sich wieder einmal, auch bei solchem Routinekram.

      Die Erde ist hier knochentrocken und hat teilweise mehrere hundert Meter lange Risse. Wo man hintritt, wallt feinpulvriger Staub auf. Den Regen vorletzte Nacht muss das Land wie ein Schwamm geschluckt haben. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Durch meine Sauferei gestern Abend, aber auch wegen des verteufelten Staubs überall, habe ich einen solchen Brand, dass ich schon fast eine ganze Flasche Bourbon ausgetrunken habe. Mein Kopf fühlt sich an wie ein wattegefüllter Ballon.

      Die Menschen liegen hier auf den Straßen, auf den Feldern, in den Häusern, kurz überall herum und regen sich nicht mehr. Ausgemergelte Gestalten, denn flüssige und feste Nahrung fehlt. Was mir fehlt, ist »Action«! Ich traf einen UN-Beauftragten, der sich vor Ort ein Bild von der Katastrophe machen wollte. José war gerade am anderen Ende und versuchte, ein Interview mit einem Bauern zu erhalten. Der UN-Beauftragte schätzt die Zahl der bisherigen Toten auf über hunderttausend. Ich habe ihn sofort vergattert, dass er diese Zahl vorerst – zumindest bis morgen – zurückhält. So habe ich sie exklusiv und kann drum herum eine tolle Rührstory bauen. Den Bildteppich dazu habe ich hier vor der Nase.

      2. Juni

      Heute Morgen habe ich meine Frau angerufen. Meine Kurzberichte sind alle gelaufen. Silvie hat sich bei WW-TV erkundigt, dort scheint man ganz zufrieden mit meiner Arbeit zu sein. Jedoch hat Silvie von Wolf Maier gehört, das Bildmaterial sei manchmal schwach gewesen. Verdammt, sollen die doch einmal selbst hierher in den Dreck kommen und die Scheiße drehen. Aber trotzdem: Ich muss mich halt anstrengen, dass ich noch stärkeres Material aufreiße. WW-TV zahlt gut, ich möchte sie mir nicht vergrätzen.

      Silvie kann einen manchmal richtig nerven. Hat sie mir doch noch am Telefon mitgeteilt, dass sie einen neuen Wagen haben will. Dabei ist der jetzige, das neueste Methanol-Modell, noch kein halbes Jahr alt. Ich habe erst einmal abgelehnt, so leicht verdiene ich mein Geld schließlich auch nicht. Aber dann hat sie am Telefon einen solchen Zirkus veranstaltet, dass ich schließlich doch zugestimmt habe. Aber ich habe mir ausbedungen, dass sie mit dem Kauf wartet, bis ich wieder zu Hause bin.

      Sonst Routine. Der Monsun kündigt sich an. Ich wollte es zuerst nicht glauben, denn er kommt vor der Zeit, doch José Amadillo, der sich in dieser Gegend besser auskennt, hat mich auf den schweren nächtlichen Regen vor einigen Tagen hingewiesen.

      Nun, das ergibt dann hoffentlich doch noch starke Bilder.

      3. Juni

      Ein harter Tag liegt vor mir. Ich muss die letzten Bilder drehen. WW-TV hat mich zurückgerufen. In Afrika gibt es irgendwo einen Volksaufstand, das sei im Augenblick wichtiger und zugkräftiger als Indien, schreibt Wolf Maier in dem Telegramm, das mir der Zimmerboy heute Früh unter der Tür durchgeschoben hat. Maier hat nicht so unrecht; schließlich sterben jeden Tag irgendwo auf der Welt soundso viele Menschen an Hunger, aber Revolutionen gibt es gar nicht mehr so häufig.

      Mir