Jörg Weigand

Die Welten des Jörg Weigand


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verlangte eine ungeheuer konzentrierte Kleinarbeit.

      Das fing damit an, dass Bellinda bei allen nur irgend denkbaren Bewegungen und Tätigkeiten des täglichen Lebens mit der E-Kamera beobachtet und das Ganze auf Magnetband aufgezeichnet wurde. Die Elektronik erlaubt schärfere Konturierung als der Film, und auch kleinste Details erfahren so eine einwandfreie Wiedergabe. Dazu noch wurde das Geschehen auf dem Einzollband gespeichert und nicht auf dem Viertelzoll, das wir eigentlich seit vielen Jahren auch professionell nutzen. Ich bin kein Techniker der magnetischen Aufzeichnung, aber wie die Kollegen mir das erklärt haben, scheint die Viertelzoll-MAZ aus schnitttechnischen Gründen für die Gesamtfeldprogrammierung weniger geeignet zu sein als das Einzollband.

      Bei den Aufnahmen im Freien, in irgendwelchen Autos, Flugzeugen oder Eisenbahnabteilen, aber auch bei der Arbeit im Studio erwies sich Bellindas schauspielerische Begabung. Sogar die schwierigsten Rollen meisterte sie auf Anhieb mit einer Selbstverständlichkeit, die selbst alte Füchse im Fernsehgeschäft staunen machte. Ich konnte ihr immer wieder zusehen oder ihre Leistung auf den Bändern während des Schnitts beobachten; ich war ihr von Herzen zugetan, doch noch darüber hinaus war ich von ihren Fähigkeiten tief beeindruckt.

      Diese Arbeit beanspruchte während der Dreharbeiten Bellindas volle Aufmerksamkeit; es war nicht leicht, den Wünschen der Regie, der Aufnahmeleitung, der Technik oder der Kamera immer gerecht zu werden. Oft ging es um winzige Kleinigkeiten, um Nuancen wie einen Augenaufschlag, ein Lächeln, ein Herabziehen der Mundwinkel.

      Waren die Aufnahmen im Kasten, dann begann unsere Aufgabe. Jede Bewegungseinheit wurde in kleinste Aufbauteilchen zerlegt, sogenannte »Bits«, aus denen man umgekehrt wieder ganz neue Bewegungsabläufe zusammensetzen konnte, vorausgesetzt, man hatte vorher alle nötigen Bits gespeichert. Oft mussten neue Kameratermine anberaumt werden, da wichtige Zwischenglieder fehlten.

      Diese Bits nun mussten nach Art, Rhythmus, Schnelligkeit, Bewegungsrichtung usw. klassifiziert und anschließend zum Verbleib in den Fixwertspeicher eingegeben werden. Von dort waren sie dann jederzeit abrufbereit.

      Für Bellinda war das eine ungeheure physische, aber auch psychische Anstrengung; ihr wurde das Letzte abverlangt. Doch sie ertrug alles mit gleichbleibend guter Laune, ihre Kraftreserven waren erstaunlich.

      Doch nach einem halben Jahr war es mit ihrer Kraft zu Ende. Sie konnte nicht mehr.

      4

      Es war ein heißer Augusttag. Die Sonne brütete über der Stadt, schon beim Aufstehen hatte ich einen Schweißausbruch. Ich war zur Spätschicht eingeteilt, musste also nicht vor vierzehn Uhr im Dienst erscheinen. Als ich den technischen Trakt betrat, kam mir Bellinda entgegen.

      Wir hatten uns in den letzten Monaten angefreundet, waren vertraut miteinander geworden. Wie es um sie stand, war mir nicht klar, da sie sich nie dazu äußerte, ich jedenfalls war hoffnungslos in sie verliebt.

      Sie trug ein luftiges Kleidchen aus blauem Stoff, passend zu den Augen. Ein viereckiger Ausschnitt ließ mehr von ihrem wohlgeformten Körper sehen als üblich. Sie sah so reizvoll aus, dass mir das Blut ins Gesicht schoss. Obgleich ich längeres Haar vorgezogen hätte, trug sie immer noch ihre kurze Frisur.

      »Das gehört zu meinem Typ«, hatte sie mir einmal erklärt. Ich dagegen war davon überzeugt, dass zu ihrem Typ ebenso langes Haar passen würde. Aber einem Argument musste ich mich schließlich beugen: Die Aufnahmen verlangten immer gleiches Haar.

      »Ich habe eine Stunde Zeit«, sagte Bellinda zur Begrüßung. »Wollen wir ein wenig durch die Anlagen laufen?«

      Ein Gedanke, der mir sehr gefiel. Ein kurzes Telefonat, und ein Kollege übernahm für die nächste Stunde meinen Job am Eingabepult des Computers. Irgendwann einmal würde ich ihm zum Ausgleich auch einen Gefallen erweisen können.

      Wir schlenderten unter den hohen Pappeln und Birken dahin, die in einem breiten Parkgürtel an der Hinterfront des Gebäudes der Fernsehgesellschaft angesetzt sind. Schon bald schien Bellinda müde zu werden, sie wollte sich auf eine Bank setzen. Ich merkte ihr die Erschöpfung an; sie saß mit geschlossenen Augen und atmete tief die Luft ein, die hier im Schatten der Bäume frischer war als in den Häuserschluchten.

      »Hat es heute etwas Unangenehmes gegeben?«, fragte ich sie besorgt, legte meinen Arm um ihre Schulter und zog sie an mich.

      Sie sträubte sich nicht, schüttelte nur mit dem Kopf und sah mich an. Ihr Blick besaß nicht die gewohnte Kraft der Ausstrahlung. Und als ich ihr in die Augen schaute, nach Anzeichen irgendwelchen Ärgers oder Schwierigkeiten forschte, da lehnte sie plötzlich ihren Kopf an meine Schulter und begann zu weinen. Ich fühlte mich hilflos, wusste nicht, was tun, wischte dann ihre Tränen ab und fuhr ihr mit der Hand übers Haar, bis sie sich schließlich wieder beruhigte.

      Ich wartete ab, dann begann sie, zu erzählen.

      »Weißt du, Mark, wahrscheinlich kann sich das niemand vorstellen, was das heißt, jeden Tag – manchmal ohne Unterbrechung stundenlang – vor dem Fischauge der Kamera zu stehen, sich zu bewegen, wie man es dir sagt, irgendwelchen Anweisungen des Regisseurs oder des Kameramanns zu folgen. Du verlierst mit der Zeit den Sinn für die Wirklichkeit. Am schlimmsten ist, dass du immer wieder die gleichen Gesten ausführen, die gleiche Szene spielen musst.«

      Ich konnte mir das schon vorstellen, hatte ich doch so manches Mal ihre Geduld, ihre Zähigkeit bewundert. Es erschütterte mich dennoch, Bellinda so niedergeschlagen zu erleben.

      »Du musst daran denken, dass dies ja nicht in alle Ewigkeit so weitergeht«, versuchte ich sie aufzumuntern. »Schau, dein Vertrag für das Aufbaujahr läuft bald ab. Dann werden sie dir den eigentlichen Vertrag vorlegen, da bin ich ganz sicher. Und das bedeutet den Erfolg, darauf kannst du dich doch jetzt schon freuen.«

      »Aber ich kann nicht mehr. Mark, ich möchte weg von hier, mich irgendwo verkriechen, wo es keine Kameras und kein Studio gibt.«

      »Wenn du es dir ganz fest vornimmst, dann kannst du auch weitermachen«, behauptete ich, war davon aber gar nicht so fest überzeugt.

      Sie versuchte ein zaghaftes Lächeln.

      »Meinst du?«

      »Davon bin ich überzeugt. Die Programmierung steht zum großen Teil, jetzt geht es um die Feinheiten. Oder willst du jetzt vielleicht aussteigen, nachdem du bereits so viel durchgemacht hast?«

      Sie schien sich wieder etwas beruhigt zu haben und schüttelte energisch den Kopf. Eine Zeitlang schwieg sie. Ich saß ruhig neben ihr und hielt sie im Arm.

      »Mark?«, sagte sie dann.

      »Ja, Liebes?« Das rutschte mir so heraus, aber sie schien es nicht bemerkt zu haben.

      »Warum müssen eigentlich zwölf Monate lang diese Aufnahmen gemacht werden? Man hat mir gleich zu Beginn gesagt, dass sie Voraussetzung dafür sind, dass später in jedem Fall gesendet werden kann. Damals hat mir das als Antwort genügt, heute frage ich mich, ob das alles eigentlich notwendig ist.«

      Jetzt war ich in meinem Element, denn über diesen Punkt hatte ich inzwischen nicht nur mit Sommer und Melchior, sondern auch mit zahlreichen Kollegen gesprochen. Denn auch ich hatte mir diese Frage gestellt, um deren Beantwortung mich nun Bellinda bat.

      »Nimm einmal an, aus dir ist bereits der große Star geworden, ich persönlich zweifle überhaupt nicht daran, dass du das schaffen wirst, dann bedeutest du für die Fernsehgesellschaft ein ungeheures Kapital, mit dem gearbeitet werden muss. Nun ist es ja möglich, dass du mitten in einer wichtigen, dazu noch terminlich engen Produktion krank wirst. Du brichst dir ein Bein oder kriegst die Gelbsucht, auf jeden Fall ist es etwas Ernstes, das dich daran hindert, weiterzuspielen. Du fällst also aus, die Gesellschaft müsste das Projekt aufgeben, da sie unmöglich termingerecht fertig werden kann. Das wären ungeheure Verluste, denn schließlich hat man ja bereits ein Jahr lang in dich investiert und in die laufende Produktion auch noch eine ganze Menge Geld gesteckt. Dann greifen wir von der Computertechnik auf das Gesamtfeldprogramm mit deinen Bits zurück und simulieren die Szenen, die du wegen deiner Krankheit nicht spielen kannst. Die von uns