Jörg Weigand

Die Welten des Jörg Weigand


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so vom Himmel. Zwar habe ich schon einige Einstellungen, aus dem Dorf, damals nach dem Regen. Aber es geht um die Atmosphäre, die ich als Ergänzung zu meinen Dürrebildern brauche. Auch dem Feature wird es gut tun, wenn ich es ein wenig mit entsprechendem Material anreichere.

      Um die aktuellen Kurzberichte kümmere ich mich nicht mehr, dafür habe ich keine Zeit. Das kann die Redaktion aus dem Materialangebot der Agenturen nehmen. Ich frage mich nur, wann hier, bei diesen hygienischen Verhältnissen, die Cholera ausbricht … Heute Nachmittag um sechzehn Uhr geht meine Maschine. Ich darf nicht vergessen, mit Wolf Maier dieselben günstigen Konditionen für Afrika auszuhandeln wie für den hiesigen Einsatz.

      Pepes Welt (1981)

      Tag für Tag umlagerten die Kinder den alten Mann, der am Rande des von knorrigen Bäumen eingefassten Platzes hockte. Es schien sie wenig zu stören, dass der Alte blind war. Anfangs blickte jeder Neuankömmling scheu auf die riesige, gezackte Narbe, die quer durch das über und über mit Runzeln bedeckte Gesicht lief, doch noch jeder hatte sich schnell daran gewöhnt, sobald ihn der Zauber der Geschichten, die der Blinde mit ruhiger, aber ausdrucksstarker Stimme erzählte, in Bann geschlagen hatte.

      So hockte der Alte im Staub des Platzes, unbeeindruckt vom Gequirle der Menschen, dem Gestank der kleinen Sojabohnen-Siedestellen in den Hinterhöfen dieses Elendsviertels, dem Gehämmere der Behelfsschmieden und dem Geschrei der Händler, die Frauen mit verhärmten Gesichtern ihre Waren aufschwatzen wollten. Denn sehen konnte er das ärmliche, wenn auch bunte Treiben nicht mehr, und wenn er auch als Blinder Geräuschen gegenüber besonders empfindlich war, so ließ er sich doch nichts anmerken.

      Umlagert von der jungen Schar, machte der Alte Tag für Tag den gleichen zufriedenen Eindruck. Und immer wieder bettelte eins von den Kindern: »Pepe, erzähl’ uns eine Geschichte.«

      Und der Blinde erfüllte den Wunsch; doch kaum hatte er ausgesprochen, da baten sie erneut: »Bitte, Pepe, noch ein Geschichte. Nur noch eine, du weißt schon, die mit dem. Häschen.«

      Und ein anderer, der Jüngste unter ihnen, bettelte: »Nein bitte, erzähl noch mal, wie du auf dem fremden Planeten gelandet bist, da oben, ganz weit weg.«

      Oder da war das Mädchen mit dem wirren, blonden Haarschopf, die zerlumpte Puppe unterm Arm. Obwohl bereits acht Jahre alt, lutschte es noch immer eifrig am Daumen, doch nun nahm es den Finger heraus, musterte mit seinen strahlend blauen Augen aufmerksam den Alten und meinte: »Mir gefällt immer am besten, wenn Pepe von großen Geschäften erzählt; mit den vielen Spielsachen, den Teddys und den Puppen mit den Kulleraugen.«

      Geduldig trug der Blinde das Gewünschte vor, wohl wissend, dass dies sicherlich nicht die letzte Geschichte war, die er heute würde erzählen müssen. Denn war diese zu Ende, würde es wieder heißen: »Eine allerletzte Geschichte noch, Pepe, bitte.«

      So ging es jeden Tag, bis die Sonne am Horizont versank und die Kinder von ihren Müttern zum abendlichen Essen gerufen wurden. Dann verschwanden die Kleinen in den halbverfallenen Wohnblocks, in den Behelfshütten zwischen Bergen von Unrat und nahmen in ihre Träume ein wenig von dem mit, was ihnen Pepe mit seiner ruhigen Stimme erzählt hatte.

      Eines Tages jedoch zuckten die Kinder erschrocken zurück, als dunkle Schatten auf sie fielen, während sie dem Blinden gebannt zuhörten.

      Hinter ihnen standen Mitglieder der Sicherheitspatrouille, die fast nie und dann nur nachts in dieser Gegend auftauchte. Die fünf Männer in ihren schwarzen Uniformen standen im Halbkreis um die kauernde Kinderschar und starrten auf den Alten, der nun – aufmerksam geworden – seine toten Augen in die Richtung der Störenfriede hob: »Ist was, Kinder?«

      Das klang nicht irgendwie schüchtern, eher sprach Neugier aus der Frage.

      »Können Sie sich ausweisen?« fragte der Truppführer, der die Sicherheitspatrouille befehligte. Obgleich keinerlei Gefahr sich abzeichnete, lag seine Rechte vorsorglich auf der Elektropeitsche, die an seinem Gürtel hing.

      »Aber sicher«, antwortete der Blinde und richtete sich aus der Hocke auf. »Wer sind Sie denn, wenn ich fragen darf?«

      »Fragen kannst du wohl«, war die Entgegnung, der Ton war merklich barscher geworden, »Aber du willst doch wohl keine Antwort darauf …«

      Der Alte zuckte zurück.

      »Gleich. Sofort, mein Herr!« Er nestelte an seinem geflickten Gewand und hielt die Hand mit dem Ausweis der barschen Stimme entgegen.

      »Gib schon her!« Der Truppführer riss ihm das Papier aus der Hand und warf einen flüchtigen Blick hinein.

      »Pepe Gonzalez Marquez …, den Namen kenn ich doch …«

      Einer der vier restlichen Mitglieder der Patrouille, ein junger Gefreiter mit keckem Schnauzbart, räusperte sich: »Truppführer, hieß nicht einer jener Verrückten … Ich meine, mein Vater hat mir mal von dieser Marsexpedition erzählt …«

      »Stimmt«, unterbrach der Truppführer seinen Untergebenen. »Von da her kenn ich den Namen. Na, die Kameraden haben damals nicht gerade großen Erfolg gehabt. Gab es da nicht bei der Rückkehr diesen Unfall?«

      »Ja, Herr.« Pepe hatte stumm gelauscht. Als er nun kurz bestätigte, starrten ihn die verängstigten Kinder groß an.

      »Du hältst den Mund, Alter!«

      Unter der Zurechtweisung zuckte der Blinde zusammen. Auch die Kinder hatten nun offenkundig den Ernst der Situation voll erfasst. Einige der Kleineren begannen zu weinen.

      Angewidert verzog der Truppführer das Gesicht; er mochte keine heulenden Kinder.

      »Hier hast du den Ausweis zurück.« Er warf dem Alten das Papier vor die Füße. »Wenn ich du wäre, würde ich vorsichtiger sein. Und keine Menschenaufläufe hier in der Gegend, verstanden?«

      Als der Blinde sich wieder in die Hocke niederließ, um im Staub nach seinem Ausweis zu suchen, da hatten sich die fünf Schwarzgekleideten bereits abgewendet. Eilfertig sprangen einige Kinder hinzu, um ihrem Pepe zu helfen.

      Doch aus dem Erzählen wurde für diesen Tag nicht mehr viel. Pepe schien nachdenklich und traurig zugleich; und auch die Kinder saßen in gedrückter Stimmung um ihn herum.

      Am nächsten Tag hatte sich der Blinde wieder gefangen. Mit ruhiger Stimme erzählte er wieder seine Geschichten von der schönen, vergangenen Welt, die er noch erlebt hatte und von der sich die Kinder trotz seiner Erzählungen kaum eine Vorstellung machen konnten. Für sie waren das eher Märchen; nur manchmal zuckte in den Älteren die Erkenntnis auf, dass an Pepes Worten vielleicht doch etwas Wahres sein könnte.

      Zwei Tage darauf war die Sicherheitspatrouille wieder da. Diesmal steuerte der Truppführer, gefolgt von seinen Männern, direkt auf die Ecke des Platzes zu, wo der Alte, umringt von den gespannt zuhörenden Kindern, auf einem Stein saß.

      Pepe erzählte gerade von seiner Landung auf dem Roten Planeten Mars; der ersten Landung eines Menschen auf dem Nachbarplaneten. Gebannt lauschten die Kinder der Beschreibung der rostroten Staubwüste, da wurde der Alte unterbrochen.

      Rücksichtslos brach der Truppführer durch die Linie der sitzenden Kinder, die zur Seite geschleudert wurden.

      »Hab’ ich nicht vor zwei Tagen … Ihr verdammten Krampen, ihr meint wohl, ihr könnt machen, was ihr wollt.«

      Er stieß die Kinder weg, seine Untergebenen halfen ihm dabei. Die Kleinen begannen zu weinen, einige hatten sich beim Hinfallen wehgetan. Sie wichen zurück, ließen den blinden Alten auf dem Stein sitzend allein und sammelten sich am anderen Ende des Platzes.

      Der Truppführer wandte sich dem ehemaligen Astronauten zu: »Und nun zu dir, Alter!«

      »Ja, Herr«, begann Pepe und wollte aufstehen. »Ich …«

      Ein Stoß beförderte ihn wieder zurück. Er verlor das Gleichgewicht und prallte mit dem Rückgrat gegen den Stein. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb er liegen.

      »Wenn ich rede, hast du Pause, merk dir das«, schrie der