Jörg Weigand

Die Welten des Jörg Weigand


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sicherlich, aber es geht, vorausgesetzt wir verfügen über viele Hunderttausende, ja Millionen von Bits, die es uns ermöglichen, jede nur denkbare Situation aufzubauen.«

      Bellinda hörte aufmerksam zu, an dieser Stelle hatte sie eine Frage:

      »Du sagst, mein Bild wird in die jeweilige Szene eingestanzt. Wie geht das denn, ich habe doch in den Spielszenen, in den zukünftigen Spielhandlungen sicherlich nicht immer dasselbe Kleid an.«

      »Das ist ein Problem, an dem haben die Leute von der MAZ und vom Mischpult lange geknabbert. Seit etwa zwei Jahren gibt es auch dafür eine Lösung. In der Tat können sie dir – das heißt, der Bellinda in der simulierten Szene – jedes beliebige Kleidungsstück anpassen. Das verlangt eine sehr genaue Adaptation, doch kannst du danach keinen Unterschied zwischen den Originalszenen und den simulierten Passagen erkennen.«

      »Es muss also sein, meinst du?«, fragte sie.

      »Aber natürlich. Alle sagen das bei uns.«

      »Aber wenn nun das gesamte Programm steht, wenn alle Bits eingespeichert sind, brauchen die mich dann überhaupt noch?«

      Eine Überlegung, an der etwas dran war. Allerdings hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. In der Tat, was war, wenn die Programmierung stand? Eine Frage, die unangenehme, ja schreckliche Konsequenzen andeutete. Alles Unsinn, sagte ich mir, es handelt sich hier schließlich nicht um irgendeine Hintertreppenfirma. Das sagte ich auch zu Bellinda und fügte hinzu:

      »Sie werden dich immer brauchen, denn schließlich will dich das Publikum auch einmal in natura sehen.«

      Doch in mir nagte nun der Zweifel, denn es gab genügend Fernsehstars, die nie auf der Bühne zu sehen waren. Es gab Gesangsgruppen, die überhaupt nicht singen konnten und deren angeblicher Gesang vom Computer kam, die Künstler sangen nichts als Playback.

      Doch ich hielt den Mund, ich wollte Bellinda nicht noch mehr verunsichern.

      »Ich danke dir, Mark«, sagte sie, nun schon wieder mit einem Lächeln auf dem schönen Gesicht. »Auch ich mag dich gern.«

      Also hatte sie vorhin doch gut zugehört. Ich war glücklich.

      5

      Eines Tages, Anfang Dezember, bekam ich durch Zufall Teile eines Gesprächs zwischen dem technischen Leiter der Computerabteilung, Ludwig Sommer, und unserem Chefprogrammierer Peter Melchior mit. Ich glaube, ich habe schon einmal festgestellt, dass ich beide nicht leiden kann. Das sind servile, karrieregeile Typen, die dauernd den Vorgesetzten herauskehren und von Kollegialität wenig halten.

      Ich befand mich im Ablageraum, in dem die Magnetbänder gelagert werden; die Tür zum Computerraum stand angelehnt. Da hörte ich die beiden hereinkommen, offensichtlich mitten in einem Gespräch.

      Melchior: »… kann ich bestätigen, dass es soweit ist. Wir werden unser Programm einhalten können.«

      Sommer: »Wie macht sich das Mädchen?«

      Melchior: »Sie besitzt eine erstaunliche Spannbreite an Ausdruckskraft. Ihre physische Konstitution ist hervorragend.«

      Sommer: »Wie ist es mit ihrer psychischen Resistenz?«

      Melchior: »Neuerdings ist sie starken Gefühlsschwankungen unterworfen. Ab und an kriegt sie schon mal einen hysterischen Anfall. Aber sie fängt sich immer wieder sehr schnell.«

      Sommer: »Hm, das ist schlecht, Sie müssen sie mehr unter Druck setzen.«

      Melchior: »Natürlich, das versuchen wir auch. Ich bin ziemlich sicher, dass wir sie dahin bekommen, wo wir sie haben wollen.«

      Sommer: »Wie lange haben Sie mit ihr noch zu tun?«

      Melchior: »Nur noch wenige Tage. Zwischen Weihnachten und Neujahr werden wir fertig.«

      Stille, dann Sommer: »Ich verlasse mich ganz auf Sie. Es darf nichts schiefgehen. Denken Sie bei Beendigung des Programms an § 17 c unserer vertraulichen Dienstanweisung. Das Haus kann sich unnötige Folgekosten nicht leisten. Die finanzielle Lage ist angespannt, wir alle müssen unser Bestes tun, da Abhilfe zu schaffen.«

      »Klar, Herr Sommer, ich …«

      Dann waren die beiden wieder draußen, sodass ich ihr Gespräch nicht weiter verfolgen konnte.

      Aber ich machte mir so meine Gedanken. Bellinda hatte es nun also bald geschafft. Ich freute mich für sie, hatte aber auch Angst vor dem Tag, an dem der Anschlussvertrag, der das große Geld und den Starruhm bringen würde, unterzeichnet wurde. Denn mit Anlaufen der ersten großen Produktion für das Publikum würde sich für Bellinda eine neue Welt auftun. Und damit, fürchtete ich, würde sie mir immer fremder werden. Denn wie sollte ich gegen den Glanz und die Verlockungen einer solchen Karriere anstehen können?

      Meine Zweifel trieben mich zu ihr, ich fand sie in der Garderobe, einem ihrer Lieblingsplätze. Sie wurde gerade von der Maskenbildnerin für den nächsten Auftritt im Studio hergerichtet. Anscheinend sah sie mir den Sturm der Gefühle an, der in mir tobte, denn Bellinda entschuldigte sich kurz bei der Maskenbildnerin und zog mich auf den Gang hinaus.

      »Was ist los mit dir?«, fragte sie und sah mich forschend an.

      Ich beichtete ihr meine Bedenken, doch sie lachte mich mit ihrer glockenhellen Stimme aus.

      »Du bist ein rechter Dummkopf, da brauchst du doch keine Angst zu haben. Schlimm wäre mir nur, wenn ich über dieses Jahr hinaus weiter so schuften müsste. Das könnte ich nicht mehr verkraften, ich glaube, dann würde ich lieber …«

      Ich schämte mich ein wenig, denn in Wahrheit war ja sie die Belastete, und jetzt machte ich ihr mit meiner egoistischen Eifersucht auch noch das Leben schwer. Ihre Nerven waren lange nicht mehr die besten. Oft genug in den vergangenen Wochen war sie in Heulkrämpfe ausgebrochen und hatte mir anschließend ihr Leid ausgeschüttet. Mein Versuch, ihr Trost zuzusprechen, endete meist in der Prophezeiung vom baldigen Ende der Tortur. Doch was, wenn es weiterging?

      Sonst fühlte ich mich in jenen Tagen beschwingt. Ich war glücklich, denn ich liebte Bellinda. Und ich war zufrieden darüber, dass sie mich mochte. Das Wort »Liebe« freilich gebrauchte sie mir gegenüber nie, doch war mein Gefühl für sie so stark, dass ich über ihre Zurückhaltung hinwegsah.

      6

      Am dreißigsten Dezember lief Bellindas Vertrag über das Aufbaujahr ab. Ich hatte in den vergangenen Tagen wenig Gelegenheit gehabt, sie zu sehen; zwischen den Feiertagen fuhren wir nur halbe Schichten, doch das Programm lief weiter, und so hatten wir alle Hände voll zu tun – mehr als gewöhnlich.

      An jenem Dreißigsten kam ich in den Computerraum gestürzt, denn ich war etwas spät dran. Mein Wagen war nicht angesprungen, und ich hatte zuletzt ein Taxi rufen müssen. Peter Melchior saß an der Eingabetafel und begrüßte mich freundlich, eigentlich freundlicher, als es sonst seine Art war.

      »Wir haben das Bellinda-Programm abgeschlossen«, rief er mir entgegen. »Jetzt wird die Arbeit für uns noch interessanter. Ab Januar werden wir simulieren, die erste Produktionsanmeldung liegt schon vor.«

      Ich grüßte zurück, achtete dabei wenig auf das, was er mir sagte, und betrat den Ablageraum, um mich um die neuangelieferten MAZ-Bänder zu kümmern.

      Da wurde die Tür wieder aufgerissen, und Sommer stürzte herein. Ich stand verdeckt hinter der Ablage, sodass er mich nicht sehen konnte.

      »Ist alles in Ordnung?«, fragte er Melchior.

      »Aber sicher.«

      »Was macht das Mädchen?«

      »Es hat sich bereits nach dem Folgevertrag erkundigt.«

      »Verdammt.« Sommers Stimme wurde wütend, steigerte sich in der Lautstärke. »Das Direktorat hat erst vor wenigen Tagen noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns einen solchen Starvertrag über Jahre hinweg nicht erlauben können.