Masten grobe Segel auf. Gischtend schlugen die Wellen über den flachen Boden des Floßes – doch dieses trieb nun flott gegen Westen hinüber. Das weite Schilfmeer auf dem afghanischen Ufer blieb zurück; zuletzt war es am Horizont ein schmaler Strich, dann verschwand auch dieser hinter den schäumenden Wellenbergen.
Bevor die Sonne versank, stieg im Westen das persische Ufer herauf. Und als die Dämmerung hereinfiel, legte das Floß in einer menschenleeren Bucht an. Die Sayad kannten die Ufer wohl von ihren nächtlichen Schmuggelfahrten – nun war diese heimliche Kenntnis die Rettung! Einer hinter dem andern stiegen die Männer die kahlen Höhen hinauf. Das Brausen des Wassers blieb zurück. Blind vertraute Thiemo der Orientierungsfähigkeit seiner schweigsamen Begleiter, die aus der Stellung der Sterne den Weg durch das wüste Land fanden. Sie wanderten die ganze Nacht. Im Morgengrauen standen sie auf einer Anhöhe vor Schahr Zabul.
„Du mußt jetzt allein gehen. Wir warten hier auf dich!“ sprach einer der Männer und wies auf eine geräumige Höhle.
Thiemo eilte zur Stadt hinab. Bald hatte er sich bis zum Krankenhaus durchgefragt. Dort wies er seinen Ausweis vor und wurde sogleich zum Chefarzt geführt. Ein paar höfliche Worte der Vorstellung, dann sagte Thiemo: „Ich komme von den Sayad im Hamun-Sumpf. Die Pest ist dort ausgebrochen!“
Dieses Wort wirkte elektrisierend. Der Funk rief in den Äther hinaus: „Pest im Hamun-Pest im Hamun-helft, helft!“ Die kleine Stadt summte bald wie ein Bienenschwarm. Militärflugzeuge wurden eingesetzt; sie brachten neuen Impfstoff gegen die gefürchtete Seuche heran. Alle Bewohner meldeten sich zur Impfung.
Noch am gleichen Tag fuhr Thiemo mit besonderer Bewilligung der Behörden wieder über den Hamun-See zurück. Die Pest mußte an ihrem Herd bekämpft werden! Bis die Afghanen selbst eingriffen, war es vielleicht zu spät.
Diesmal trieb der Wind die Segel gegen Osten. Nach Stunden stieg wieder das Schilfmeer aus der einsamen Wasserwüste empor. Als das Floß durch die Einfahrt glitt, standen selbst die vermummten Frauen auf den Landestegen und warteten. Mit Angst in den Augen wurde der Fremde empfangen. Sie sprachen kein Wort – nur ihre Blicke fragten: Bringst du Hilfe?
Der Dorfälteste lag bereits im Sterben. Auch einige Kinder waren erkrankt. Jede Familie bangte, daß bei ihr die Seuche ausbräche.
Doktor Thiemo Hardegg begann die abenteuerlichste Behandlung seines Lebens. Er hatte in der Versammlungshütte des Sayaddorfes eine Ordination aufgeschlagen. Auf dem Boden brannte ein Feuer; mit kochendem Wasser desinfizierte er seine Instrumente. Stumm und mit angstweiten Augen verfolgten die scheuen Menschen seine Vorbereitungen. Doch dann ließ sich jeder bereitwillig impfen.
„Wie weit ist es zum nächsten Dorf?“ fragte Thiemo, als alle behandelt waren. Jetzt erfuhr er von jeder Siedlung in dem rauschenden Schilfmeer des geheimnisvollen, von der Welt abgeschnittenen Hamun! Durch schmale Wasserpfade ließ sich Thiemo tagelang von Dorf zu Dorf rudern. Ein Ruf lief ihm voraus: „Der fremde Mann besiegt die Pest!“
Nach einer Woche kehrte Thiemo wieder in die persische Grenzstadt Schahr Zabul zurück. Der hochgehende Hilmendfluß hatte für Wochen den gewöhnlichen Übergang nach Afghanistan gesperrt.
Vor der Karawanserei in Schahr Zabul standen die alten Lastwagen mit Narriman, dem Karawanenführer.
„Du lebst noch, Sah’b?“ begrüßte ihn der Alte verschmitzt. „Hast du das Geheimnis des Hamun gelöst?“
Thiemo sah ihn ernst an: „Eines konnte ich lösen – das dunkelste!“
Dann dröhnten die Motoren der Wagenkolonne auf. Die moderne Wüstenkarawane rollte aus dem ummauerten Hof hinaus in den „Wind der hundertzwanzig Tage“. Von der öden Höhe über der Stadt blickte Thiemo Hardegg ein letztes Mal auf den fern verblassenden, graugrünen Schilfstreifen des Hamun zurück, der das größte Abenteuer seines Lebens geworden war.
Wirbelnd faßte der Sturm die Karawane an, Staub umhüllte die schweren Lastwagen wie Wolken – die Weite versank hinter ihnen.
Die Kolonne nahm Kurs gegen Westen, der Heimat zu…
Verfolgt am Watch-River
Ich war damals noch ein ziemliches Greenhorn, als ich Mac Leans Ranch hinter den Algak-Bergen im Westen der Rocky Mountains besuchte. Hinter seiner Ranch gab es nur noch Indianer, Sumpf und Wald. Gegen den Winter zu tauchte Pat Bownie auf. Einst war er Cowboy auf verschiedenen Ranches gewesen, aber als er im Pokerspiel auch noch sein Pferd verlor, entdeckte er, daß man sogar zu Fuß überallhin kommt. Mager wie ein Skelett stand der zwei Meter lange Alte nun vor uns.
„Dachte mir’s schon fast, daß du auf deiner Ranch keinen Cowboy brauchst“, lächelte er etwas traurig aus seinen wasserblauen Augen. „Du hast ja starke Söhne, ließ ich mir sagen.“
Mac Lean forderte ihn dennoch zum Sitzen auf. John und Fred, seine Söhne, reichten im Winter leicht für die Bewachung der achthundert Rinder aus. Da hatte Mac Lean einen Einfall. „Du wolltest doch vor Winterbeginn noch nach Fort Williams hinaus – jetzt hast du einen Begleiter!“ sagte er zu mir. Mac Leans Frau briet gerade zwei tellergroße Steaks.
Mir kam dieser Vorschlag sehr gelegen. Mac Lean lieh Pat Bownie eine zahme Stute als Reitpferd. Im Frühjahr wurde Mary, die Tochter der Leans, auf der Haushaltungsschule in Quesnel draußen fertig. Wenn der Vater sie heimholte, stand wenigstens schon für sie ein Pferd bereit. Die Ranchers am Batnuni-Fluß hatten gewiß nichts dagegen, ein Pferd mehr durch den Winter zu füttern.
Der Ritt nach Williams war auf vier Tage berechnet, wenn nicht etwa plötzlicher Schneefall einen Streich spielte. Wir packten Fleisch- und Teevorrat ein und vergaßen auch zwei Bündel Heu für die Pferde nicht. Der Abschied von der Rancherfamilie am letzten Rand der bewohnten Welt war herzlich und kurz. Auf der Anhöhe wandten wir uns noch einmal zurück und winkten. Die unübersehbare Weide schimmerte jetzt im Rauhreif; vor uns stiegen in weiten, sanften Wellen die verschneiten Algak-Berge an.
Allmählich fiel Wind in die Bäume. Vor der Höhe zog sich ein stellenweise versumpfter Talboden stundenlang zwischen den schwarzen, stillen Wäldern gegen Osten dahin.
Am ersten Tag erreichten wir den Watch-River nicht mehr. Am Abend stellten wir das Zelt mit dem doppelten Überzelt auf, deckten seine Wände gegen die Kälte auch noch mit flechtenzottigen Ästen dicht zu und kochten ein paar geräucherte Lendenstücke eines Rothirschen. Der Teeduft verbreitete Behagen, und zufrieden mit Gott und der Welt krochen wir bald in das Zelt. Die Pferde waren an langen Lassos angekoppelt, damit sie weiden konnten.
Am nächsten Morgen kam eine blasse Sonne durch die Wolken. Ich weckte den Gefährten, der noch laut schnarchte. „Heute trifft dich der Kochdienst, Pat. Wie wäre es mit einem saftigen Bratenstück?“
„Bist eben ein immer hungriges Greenhorn!“ brummte Pat, als er sich verschlafen aus den Decken schälte.
Ich tröstete ihn. „Laß dir Zeit. Will einen kurzen Rundritt machen. Vielleicht entdecke ich dort drüben den Watch-River!“
Plötzlich horchte ich auf. Von weither kam ein Laut, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Er klang wie ein unwirklicher, unheimlicher Schrei, bald glockenhell, dann wieder wie eine jammervolle, versinkende Klage. Selbst die Pferde schnaubten jetzt unruhig.
„Hör einmal zu, Pat – du kennst das sicher!“ versuchte ich mein jäh aufsteigendes Unbehagen zu verbergen.
Während Pat Bownie weiter Dürrholz über den Knien brach, nickte er. „Ein Elchkalb, das die Mutter verloren hat! Manchmal wird viel zu spät im Jahr noch eines geboren, aber gerade einen solchen Spätling liebt die Elchmutter am meisten. Hoffentlich findet sie das verlaufene Kind bald wieder. Solange sie sucht, ist es nicht ratsam, der alten Dame zu begegnen.“
Ich ärgerte mich jetzt über meine Angst. „Na, hoffentlich besucht sie dich nicht im Lager, während ich fort bin!“ brummte ich und schwang mich in den Sattel. Pat schwieg. Als ich die Stelle erreichte, wo ein kleiner Waldbach in einem Sumpf versickerte, mußte ich eine kurze Strecke waldein reiten, bis der Talboden wieder fester wurde. Die bereiften Gräser streiften den Bauch meines Pferdes. Es war