Caboclos kopfschüttelnd dem Aufbau eines Zeltes für die Nacht zugesehen. „Wozu tragt ihr ein Haus mit euch, Senhors? Es wird viele Wochen nicht regnen!“ hatte Camario gefragt.
„Wie schlaft ihr denn in der Nacht?“ fragte Bernd dagegen.
Torro kniete hin und wühlte mit den Händen einen grabenähnlichen Streifen in den trockenen Sand. Er warf den Poncho darüber, ließ sich in die Vertiefung fallen und deckte sich bis zum Gesicht hinauf zu. In der Tat, dies war die einfachste Art, sein Bett zu machen! Auch Bernd mußte zugeben, daß man darin weich und warm lag. Vielleicht gewöhnte man sich selber später einmal daran!
An diesem Abend sank rasch die Dämmerung herab. Während Camario im Kesselchen über einem kleinen Feuer die übliche Farinha kochte, schrieb Enrico Branco seine Eintragungen in das Tagebuch. Leichter Nebel stieg wie Rauch aus dem Fluß empor; ein Schwarm schwarzer, fasangroßer Jacus fiel krächzend in das Gestrüpp ein. Bernd hatte einen Augenblick nichts zu tun und starrte in das reglose Dikkicht des Dschungels. Seine Gedanken beschäftigten sich mit dem Menschen, den sie zu suchen ausgezogen waren. Er wußte zwar längst, was Mac Parkins in den Sertao der Serra do Roncador gelockt hatte, in dem er seit einem Jahr verschollen war. Mit Enrico hatte er jenes alte, geheimnisvolle Dokument gelesen, das als „Manuskript 512“ in der Bibliothek National in Rio de Janeiro aufbewahrt wird. Es handelte sich um das Logbuch einer portugiesischen Expedition, die im Jahre 1743 auf der Suche nach Gold in den Mato Grosso eindrang. Jenseits des Rio das Mortes entdeckte sie eine geheimnisvolle Bergkette. Auf ihrer Höhe ging sie in ein flachwelliges Tafelland über. Nach vielen Tagen tauchte vor der Expedition der Umriß einer Ruinenstadt aus massiven Steinblöcken auf. Die Ruinen waren unbewohnt. Man entdeckte Inschriften, die kopiert und zurückgebracht wurden; niemand vermochte die Schrift zu entziffern. Aus dem Sand eines Flusses wusch man soviel Gold, wie man mit sich tragen konnte. Die Regenzeit überfiel die Reisenden. Unter unsäglichen Schwierigkeiten wandte man sich zur Rückkehr. Erst Jahre später tauchten die letzten Überlebenden an der Küste um Bahia auf. Die „Goldstadt“ in der Serra do Roncador blieb unauffindbar bis heute. Kartographische Flugaufnahmen der letzten Jahre bestätigten nicht mehr als die Existenz eines niedrigen Bergzuges zwischen Rio Culuene und Rio das Mortes… – Bernd Hoyer hob den Kopf. „Parkins ist längst tot!“ sagte er laut. „Wer braucht auch ein Jahr für eine Strecke von vier- oder fünfhundert Kilometern! Wir finden höchstens ein Stück seiner Ausrüstung in einer Hütte der Cajapos-Indianer!“
Enrico Branco blickte auf. „Wir haben unsere Suchfahrt nach ihm lange genug überlegt. Einem Menschen in Not aber kann nie durch Reden geholfen werden. Dazu gibt es einzig nur die Tat!“
Sie stakten noch zwei Tage durch den Dschungel. Das Blätterdach war längst über dem schmalen Wasserlauf zugewachsen. Dann war die enge Fahrrinne endgültig zu Ende. Die mühevolle Arbeit mit der Machete begann. Keiner hätte gehofft, daß man bereits am Ende des ersten Tages im Dschungel freieres Gelände erreichte. Auch das dornige Buschgestrüpp lichtete sich und gab schmale Streifen roten Bodens frei, auf dem mannshohes, scharfrandiges Pampagras wuchs. Bernd entdeckte einen höher gewachsenen Baum und konnte den untersten Ast fassen. Eintönig dehnte sich eine leicht wellige Landschaft gegen Osten hin. Das gelbe, dürre Gras zwischen dem Gestrüpp wehte in dem heißen Lufthauch wie ein reifes Roggenfeld. Hinter ihm im Westen verdichtete sich das Buschwerk zur dunklen Dschungelmauer, aus der sie gekommen waren.
„Wir werden überraschend leicht vorankommen!“ sagte er unten zu den Wartenden. „Heute können wir noch eine Stunde marschieren.“
Camario und Torro folgten mürrisch. Seit man das Boot zurückgelassen hatte, mußte die Ausrüstung getragen werden. Auf dem Marsch gab es genug Hindernisse. Das hohe Gras nahm alle Aussicht. Dornige Büsche krochen wie Fußangeln über den struppigen Boden. Wer stürzte, riß sich Hände oder Gesicht blutig. Dazu wehte jetzt der ständige Banzeiro unerträglich heiß aus Norden.
„Diabolo! Ich habe es satt für heute! Wieviel Stunden soll noch marschiert werden?“ stöhnte Camario und warf die Packen ab.
Ehe Bernd ein Wort sagen konnte, faßte Enrico den Caboclo am Kragen und riß ihn hart empor. „Du bist aufsässig, scheint es mir! Wir zahlen euch besser, als ihr je einmal verdient habt. Dafür erwarte ich Gehorsam! Oder kehrt ihr lieber um?“
Diese Art der Behandlung schien auf die Caboclos Eindruck zu machen; schweigend gehorchten sie. Bernd wäre für sanfteren Umgang gewesen. Enrico aber reiste nicht zum erstenmal im Mato Grosso. Dieser Abend verlief sehr schweigsam.
Das mitgeführte Wasser war für drei, im äußersten Fall fünf Tage berechnet. Dann mußte man nach der photogrammetrisch aufgenommenen Landkarte auf eine Lagune oder einen neuen Wasserlauf treffen. Die Karte erschien allerdings nicht sehr zuverlässig.
Am dritten Tag der Wanderung tauchte in der Ferne ein geschlossener Buschstreifen auf. Er lief von Norden nach Süden quer zu der Marschroute der kleinen Expedition.
„Wo Wald wächst, gibt es Wasser!“ sagte Bernd zufrieden. „Die Wanderung läuft überraschend programmäßig ab!“
Die Entfernungsschätzung trog jedoch sehr. Bis sich der Sertao zum Galeriewald verdichtet hatte, fiel auf einen Schlag die Dämmerung herab. Bernd schlug sich noch, zornig und begierig auf Wasser, fünfzig Schritte tief einen Pfad durch den Dornbusch, dann gab er es auf. Er kehrte mißmutig zu dem Platz zurück, auf dem die Caboclos ihre Packen hingeworfen hatten. Enrico schrieb schon wieder. „Wo stecken Toro und Camario?“ fragte Bernd.
„Sie sammeln Holz fürs Kochfeuer.“
„So weit fort?“ Bernd konnte sie nirgends sehen. Er horchte.
Da kamen sie erregt zurück. „Dort drüben sind Spuren zu sehen, Senhors. Indios sind in der Nähe; vielleicht haben sie uns bereits entdeckt! Die Cavantes sind gefährlich – töten jeden Weißen!“
Enrico war aufgesprungen. „Was? So bald hätte ich sie nicht erwartet!“ Er fuhr mit der Hand durch die Luft. „Ich kenne ihren Dialekt und muß sie finden. Wir sind keine landgierigen Estancieros, die die Indios mit gemeinsten Mitteln vernichten. Sobald ich mit ihnen spreche, sind wir Freunde!“
Torro zischte haßvoll: „Diese Wilden sind keine Menschen! Sie stehlen Vieh und sind heute noch Menschenfresser!“
Enrico schüttelte verächtlich den Kopf. „Das ist die Propaganda eurer reichen Herren – und ihr Armen plappert sie nach!“
Er befahl Camario, ihn zu führen. Es war nur ein Zufall, daß sie nicht sofort auf die Spuren in der sandigen Mulde gestoßen waren. Von hier schien ein Pfad zu einem noch unsichtbaren Wasser zu führen. Es war jetzt fast dunkel – Enrico konnte die Spuren von fünf oder sechs Erwachsenen feststellen. Wie alt die Spuren waren, ließ sich nicht schätzen. „Vielleicht kommen sie wieder!“ sagte der Forscher später. „Sie müßten auch Parkins gesehen haben!“
Aus den Augen der Caboclos sprach die nackte Angst, während sie vor dem kleinen Feuer saßen. Sie wickelten sich bald abseits in ihre Ponchos und flüsterten erregt miteinander.
„Sollen wir wachen?“ fragte Bernd. Auch ihm war unbehaglich.
„Indios schlafen in der Nacht!“ lachte Enrico. „Sind sie Christen, meiden sie uns aus Furcht; sonst fürchten sie den großen Vater der Nacht. Außerdem sind diese Cavantes längst weit weg!“
Sie krochen in das schmale Zweimannzelt und schliefen unbehelligt die ganze Nacht hindurch.
Bernd erwachte als erster. Durch den Spalt im Zeltverschluß fiel ein Streifen Sonne. Ihrem Winkel nach stand sie schon ziemlich lange am Himmel. Er horchte; auch die Caboclos regten sich noch nicht. Faule Bande! dachte er zuerst. Aber vielleicht waren sie bereits fort – auf der Suche nach Wasser? Leise, um Enrico nicht zu wecken, schob er sich ins Freie.
Größter Frieden ringsum! Die Asche des abendlichen Feuers lag kalt; kein gesammeltes Brennholz – nicht einmal die Dose mit Farinhamehl stand daneben. Und drüben das niedergedrückte Graslager der Caboclos war verlassen – leer.
Leer? Ein unheimlicher Verdacht überfiel ihn. Er lief hinüber, rief: „Hallo, Camario, Torro –