Franz Braumann

Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt


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      Sie hatten im Nu die Kleider herunten und zu einem Bündel verschnürt. Anfangs war es ihnen etwas unbehaglich, mit den Füßen im trüben Wasser einen unsichtbaren Grund zu ertasten. Bald trat man auf einen versunkenen, rindenlosen Ast, bald wich verfaultes Laubwerk bei jedem Schritt auseinander. Als der Wasserlauf sich verengte, mußten sie eine kurze Strecke schwimmen. Weit vor ihnen lockte wieder eine weiße Sandbank.

      „Was ist aus uns geworden?“ lachte Enrico. „Halb Landtier, halb Wassertier, könnte man sagen!“

      Sie wanderten den namenlosen Fluß, den sie auf keiner Karte fanden, mit einem befreiten Gefühl hinab. Allerdings verlängerten die unzähligen Windungen des Flußlaufs den Reiseweg sehr. Tag für Tag fanden sie den prächtigsten Lager- und Schlafplatz, als wäre er seit jeher für sie angelegt.

      Auch am vierten Abend geschah es wieder wie bestellt: Enrico warf die Angel aus, Bernd sammelte Dürrholz auf der Praia. Das Feuerzeug flammte auf – und mit der lautlos niedersinkenden Dämmerung schuf die knisternde Flamme über den Zweigen Licht und Raum. Der große Fisch, der am Spieß über dem Feuer hing, wog sicherlich vier Pfund. Wenn sie in den ersten Tagen eine leise Scheu vor Piranhas gefühlt hatten, war diese längst vorbei. Ein paradiesisches Tal am namenlosen Fluß!

      Sie schliefen bereits beide, da fuhr Bernd erschrocken empor. Er rüttelte Enrico. „Hast du den Schrei gehört?“

      Branco, der Forscher, drehte sich unwillig auf die andere Seite. „Schlaf weiter – du hast wieder von Indianern geträumt!“

      „Wer redet von Indianern! Es war ein riesiger Vogel über uns!“

      Enrico setzte sich schläfrig auf. „Was gibt es? Du siehst Gespenster!“

      Er schaute um sich. Die Nacht erschien ihm sonderbar hell. Auf dem ruhigen Wasser lag ein rötlicher Schimmer. Der Dschungelrand – inzwischen hatte der Laubwald über den Dornbusch die Oberhand gewonnen – stand scharf gezeichnet im rot erhellten Nachthimmel. Und jetzt hörten die Lauschenden sogar ein fernes Krachen und Knistern, wo Flammen gegen den Dschungelrand stießen.

      „Der Sertao brennt!“

      Hier unten fühlten sie sich sicher. Aber sie blieben wach.

      „Wer hat das Feuer gelegt?“

      „Indianer – wer sonst?“

      Diese Antwort lag auf der Hand. „Wir haben uns nie nach Spuren umgesehen!“ Bernd spürte ein neues Unbehagen.

      „Morgen suchen wir sie!“ Enrico schlief schon wieder.

      Am nächsten Tag fanden sie die nächste Praia von „Spuren“ übersät. Sie wunderten sich heimlich, daß sie noch keinen Indianer zu Gesicht bekommen hatten – das lag wohl an ihrer amphibischen Fortbewegung und an der undurchdringlichen Dschungelmauer.

      Sie wateten – schweigsamer noch als bisher – den ganzen folgenden Tag flußab. Der Rio nahm langsam an Breite zu, doch seine Ufer lagen völlig unbewohnt. Die Sandbänke traten seltener auf. Früher als sonst bemerkte Bernd: „Auf der nächsten Praia bleiben wir für die Nacht!“

      Es wurde fast düster, als sie endlich an einer Krümmung wieder Sand schimmern sahen. Sie hatten diesmal öfter schwimmen müssen; Enrico plante bereits, ein kleines Floß zu bauen. Allerdings besaßen sie dazu nur ihre stumpfen Messer – wie sollte man mit ihnen stärkere als armdicke Stämme fällen? Nun, morgen wollte man noch sehen, wie man weiterkam.

      Sie stiegen am Ende der Praia aus dem Wasser, nackt, wie sie waren, und schlüpften zum Schutz gegen die jeden Abend zunehmende Moskitoplage in die Kleider. Geruch von Rauch lag in der Luft.

      Als sie die Krümmung der Praia erreichten, standen sie plötzlich starr: eine noch rauchende Feuerstelle – darüber hing ein Kochtopf aus Aluminium. Kein Mensch ließ sich sehen; nur einige Hängematten schwankten verlassen auf dem Flußrand zwischen gerodeten Buschstangen!

      „Indianer – wir haben sie verscheucht!“ flüsterte Bernd.

      „Sie kommen wieder! Aber sieh doch dort – ein Aluminiumkessel, wie direkt aus Rio gekauft!“

      Enrico schritt ungerührt darauf zu.

      Ein Pfeil zischte neben ihm in den Sand.

      Auf der Stelle hielt er an – er verstand die Warnung.

      Er hob die Arme zum Zeichen der Waffenlosigkeit. „Hallo, amigos, bem!“ begann er sein altes Spiel von neuem.

      Nichts, keine Antwort, kein Zeichen! Bernd war hinter die Krümmung verschwunden und riß das Gewehr aus der Gummihülle. Diesmal drohte unmittelbar Gefahr – er verkaufte sein Leben teuer! Vor allem brauchte Enrico Feuerschutz!

      Branco versuchte es mit indianischen Brocken. „Arate, arate – wir sind friedlich!“ Das Aluminiumkesselchen faszinierte ihn. Wie kam es hierher? Doch nur durch Besucher vor ihnen! Das gab ihm die Ruhe, wieder voranzugehen. Neben dem rauchenden Kesselchen wollte er sich niederlassen und warten.

      Diesmal zischte ein Pfeilhagel um ihn nieder – jeder einzelne hätte, ihn treffen können! Das war die letzte Warnung! Er trat nach rückwärts, aber er wandte den versteckten Schützen nicht den Rücken zu. Er fühlte, daß diesmal auch sein Herz klopfte, aber er winkte lachend mit den Händen. „Vender, bem – verkaufen, gut!“ rief er noch einmal den abweisenden Indianern zu.

      Als er hinter der Krümmung Bernd mit dem Gewehr geduckt im Anschlag stehen sah, zischte er ihn an: „Bist du verrückt? Du hättest mein Tod sein können! Wahrscheinlich haben sie auch dich bereits entdeckt!“

      Bernd senkte betroffen die Waffe. „Was sollte ich sonst tun?“

      „Nichts – warten, bis sie kommen!“

      Enrico zuckte die Schultern. „Wir sind in ihrer Hand – ohne die Möglichkeit, in einem Boot oder sonstwie zu verschwinden!“

      „Du bleibst auf dieser Praia?“ fragte Bernd entsetzt.

      „Ich will den Besitzer des Kesselchens sehen!“

      Sie brannten ein Feuer an, fingen das Abendessen und taten so, als lebten sie noch immer allein an dem Fluß, der nicht einmal auf der Landkarte zu finden war. Sie wußten, daß jeder ihrer Handgriffe beobachtet wurde. Aber ihre Waffen lagen nun verborgen; sie saßen am niedersinkenden Feuer und streckten sich dann in der warmen Grube im Sand aus.

      Keiner schlief in dieser Nacht. Erst gegen Morgen fielen ihnen die Augen zu.

      Als Bernd Hoyer erwachte, saß jemand fünf Schritte neben ihrem Lager – ein bekleideter Mensch –, ein Weißer!

      Er setzte sich auf. „Woher kommen Sie, Senhor?“

      Der Mann schien erschöpft, blaß – wie ein Malariakranker. Er lächelte jetzt. „Ich wundere mich ebenso über Sie, Senhor, Ihren ruhigen Mut! Ohne mich wären Sie wahrscheinlich tot!“

      Enrico hörte Gemurmel. Am Morgen war er stets schwer wachzukriegen. Er blinzelte, rieb sich die Augen. Er starrte hinüber.

      „Senhor Parkins!“

      Der weiße Besucher erhob sich ebenfalls. „Sie kennen mich? Für die Welt draußen müßte ich längst tot sein!“

      Branco stellte sich vor, vollendet, wie es nur ein Brasilianer aus Rio fertigbringt. Er nannte auch Bernds Namen. „Wir suchten Sie, Senhor Parkins!“

      Als Parkins aufstand, sah man, wie die abgenutzten Kleider an seinem mageren Körper schlotterten. „Das ist ein Wunder – nach einem Jahr werde ich noch gefunden!“ flüsterte er.

      „Man suchte Sie damals sogar mit Flugzeugen und Motorbooten an den großen Strömen entlang. Man mobilisierte den Indianer-Schutzdienst, die Missionsstationen – wo steckten Sie diese ganze Zeit, Senhor Parkins?“

      Der englische Forscher hob nachlässig den Arm. „Immer dort hinten bei den Cahambas. Sie meiden jeden Kontakt mit den Weißen. Dieser Fluß fehlt auf jeder Karte – wer sollte hier eindringen?“

      „Wir