Franz Braumann

Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt


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fast aus dem Sattel rutschte. Ich fuhr herum – da stockte mir das Herz! Zwischen dem gelben Laub der Weidenbüsche tappte ein Rudel Elchkühe heraus, die klobigen, langen Köpfe hoch erhoben und die großen, schwarzen Augen starr auf mich gerichtet.

      Reiten – reiten – nicht zur Kenntnis nehmen! befahl ich mir wortlos und trieb das Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Jenseits der Krümmung erhob sich ein dicht bewachsener, flacher Hügel aus dem hohen Weidegras. Ich hatte die Büsche fast erreicht, als ein junges, fleckiges Elchkalb unbeholfen heraustorkelte. Es geriet fast unter die Beine meines Pferdes und schrie von neuem ängstlich.

      In diesem Augenblick schoben sich zwei mächtige Elchkühe aus dem Gebüsch. Sie schnauften böse mit tiefem Gurgeln.

      Ich hatte mit einem heftigen Ruck das Pferd herumgerissen und galoppierte jetzt auf die offene, versumpfte Weide hinaus. Am liebsten wäre ich umgekehrt, doch das Elchrudel verstellte mir den Weg zum Lager. Auf dem feuchten Boden klirrte unter den Hufen dünnes Eis.

      Ein dumpfes Dröhnen des gefrorenen Bodens ließ mich umblicken. „All devils!“ entfuhr mir ein Ausruf. Die Elche trappten hinter mir her; ihre hohen Rücken schwankten auf und ab. Auch mein Pferd schnellte mit einem Satz nach vom, als die schwerfälligen schwarzen Riesen auf uns zukamen.

      Ich tätschelte beruhigend die Flanke des Braunen. „Wir werden uns doch vor diesen Trampeltieren nicht fürchten! Ein kurzer, scharfer Galopp, und wir haben sie abgehängt!“

      Erst jetzt kam mir zum Bewußtsein, daß ich das Jagdgewehr im Lager gelassen hatte. Der Reitwind pfiff um meine Ohren. Bald spritzte das Wasser unter den Hufen, bald dröhnte der gefrorene Boden. Und hinter uns das harte, dumpfe Gepolter der Elche!

      „Wohin soll ich reiten?“ knirschte ich zornig. Ich mußte auf einem Umweg das Lager wieder erreichen! Ohne meinen Galopp zu verringern, blickte ich über die Schulter zurück. Was ich sah, trieb mir von neuem das Blut zum Herzen. Der Abstand zwischen den Elchen und mir war geringer geworden! Ich drückte meinem Pferd die Sporen heftiger in die Seite. Die stur hinterher stampfenden Elche hatten den Vorteil der inneren Linie. Auch sie bogen mit mir in die Kurve. Die schweren Tiere sanken anscheinend weniger tief ein als das Pferd.

      „Herrgott!“ Jetzt war mir endgültig das Fluchen vergangen. Ich lag fast auf dem Rücken des Pferdes, damit auch die Hinterhufe nicht mehr so tief in den Boden sinken sollten. Ich spürte, wie ich immer mehr an den Buschrand jenseits des Talbodens abgedrängt wurde. Wenn ich dorthin geriet, verfing sich mein Pferd viel eher in dem Gestrüpp als das urweltliche Wild. Dann – dann war ich verloren! Einmal hatte mir Mac Lean, der Rancher, erzählt, daß ein wütender Elch mit seinen mächtigen Hufen Roß und Reiter zu Brei zerstampfen kann.

      Jetzt begann mein Pferd von dem jagenden Galopp zu dampfen. Die Atemluft schnob wie weißer Rauch aus seinen Nüstern. Aus der läppischen Begegnung war ein Wettlauf mit dem Tod geworden! Schlamm spritzte unter den Hufen. In langgezogenem Trab dröhnten die Elche mit dumpfem Brüllen und böse funkelnden Augen näher und näher heran.

      Der Abstand hatte sich auf zehn Pferdelängen verringert. Die Flucht zielte jetzt geradewegs auf den Waldrand drüben zu. Die Wand der Büsche schwamm förmlich heran. Da und dort ragten Bäume darüber hinaus. Bäume – einer davon muß mir zum Retter werden! Ich muß aus dem Sattel kommen, solange es noch Zeit ist! Das Pferd allein wird von den Elchen nicht eingeholt! dachte ich verzweifelt.

      In dem Gewirr aus Büschen und Gestrüpp wuchsen einige Ahornbäume. Wenn ich schnell genug vom Erdboden wegkam, war ich gerettet!

      Die ersten lockeren Büsche rauschten auf. In diesem Augenblick fiel in der Ferne ein Schuß. Ich hatte schon die Beine aus den Steigbügeln gezogen und schnellte zur Seite. Ich schlug zwischen krachenden Zweigen auf den Boden hin. Dort – vor mir – der Ahornstamm! Ich sprang empor, hing baumelnd am unteren Ast und zog mich keuchend hoch.

      Hinter mir brach berstend durch das Gestrüpp ein schwerer Koloß. Ein zweiter Ast über meinen Augen, ein Ruck – jetzt saß ich rittlings oben. Das Pferd war durch das Gebüsch weitergejagt.

      Zwei Meter unter mir funkelten die bösen Augen der Elchkühe. Eine neigte ihren Kopf und stieß an den kaum drei Spannen dicken Stamm, daß der Baum bis an den Wipfel erzitterte.

      Zwei bellende Schüsse aus der Ferne! Die Elchkuh stellte nur die Ohren hoch. Das blökende Kalb war weit zurückgeblieben. Ich sah, wie es draußen über eine Wasserrinne hopste.

      Und weit drüben bemerkte ich jetzt einen Reiter: Pat Bownie.

      Warum kam er nicht näher und schoß aus dieser Ferne? Auch die kurzsichtigen Elche horchten hinüber. Pat ritt nicht weiter; er wendete sein Pferd zum Lagerplatz zurück.

      Warum hilft er mir nicht? fragte ich mich bitter. Das Elchrudel umstand den Ahorn. Endlich tappten die unheimlichen Verfolger durch das krachende Gebüsch davon.

      Als die großen Tiere nicht mehr zu hören waren, ließ ich mich vom Ahornbaum gleiten. Ich mußte zu Fuß das Lager erreichen! Sehr mutig kam ich mir in dieser Lage nicht vor. Die Galle stieg mir hoch.

      Ich schlich mich, durch das Gestrüpp gedeckt, nach Westen zurück. Später tauchte der Braune, mein treues Pferd, mit nachschleifenden Zügeln wieder auf. An seinen zerkratzten Flanken war das Blut schon eingetrocknet. Ich lobte den Braunen überschwenglich: „Du bist der einzige, auf den man sich verlassen kann!“ Dann wagte ich den Ritt über die offene Weide hinweg.

      Als ich mich schweigend neben dem Feuer niederließ, stocherte Pat nachdenklich in der Asche herum. „Dein Frühstück ist inzwischen etwas eingetrocknet!“

      Ich schnaubte zornig durch die Nase. „Es war ein reizender Ritt ohne einen Kameraden, der mich herausgehauen hätte!“

      „Hab’ ich getan! Aber ahnte schon, daß du’s nicht erfaßt hast.“ Er hob den Kopf ein wenig. „Du kennst den Bach dort vorn – wäre bald vor Eile im Sumpf versunken. Hast du meine Schüsse nicht gehört?“

      „Dann dachtest du, ich säße auf dem Ahornbaum gut genug!“

      Pat, der alte Waldläufer, lächelte traurig über soviel Unverstand. „Genau das dachte ich! Denn hinüberreiten und die Elche ein zweites Mal reizen, wollte ich uns doch ersparen. Wer einen der schwarzen Riesen auf den ersten Schuß nicht erlegt, kann sich meistens den zweiten sparen. Außerdem warst du ja schon sicher auf dem Baum.“

      Diese Logik war ernüchternd, aber sie stimmte. Pat trug schwer an meiner Enttäuschung. Aber wie sollte man einem Greenhorn aus dem Süden etwas beweisen, das es nicht verstand? –

      Wir ritten drei Tage lang nach Nordosten. Als wir die Batnuni-Ranches erreichten, war mein Zorn längst verraucht. „Den Menschen erkennt man daran, wie er Niederlagen hinnimmt. Du mußt ein schlechtes Bild von mir bekommen haben, damals bei den Elchen, Pat!“

      Der alte Cowboy fuhr mit der Hand durch die Luft. „Du hattest einen guten Schutzengel in den Algak-Bergen, das ist alles!“…

      Im Sertao verschollen

      Bernd Hoyer konnte seine Erregung nicht unterdrücken, wenn er an die bevorstehende Reise dachte. Was er sich seit seinen Jugendjahren gewünscht hatte, wurde nun Wirklichkeit: Ein leichtes Ruderboot, eine Montaria, trug ihn den obersten Rio Cujaba aufwärts, dem Quellgebiet des Rio Xingu entgegen! Bernd Hoyer, der deutschstämmige Südbrasilianer, wollte zusammen mit dem jungen Völkerkundler Enrico Branco aus Rio zu der Serra do Roncador vorstoßen, jenem sagenhaften Bergland zwischen Rio Xingu und Rio das Mortes.

      Zwei Tage lang waren sie mit ihrem Motorboot von Cujaba im Mato Grosso aus rasch nach Norden durchgedrungen. Dann hatte sich weit hinter der letzten armseligen Ufersiedlung die im Schlamm wühlende Antriebswelle verklemmt. Nach stundenlangen Reparaturversuchen gab man es auf, den Motor wieder in Gang zu bringen. Seither hatten die vier Männer der Expedition – zwei Caboclos, Torro und Camario, begleiteten die Forscher – nichts anderes mehr gesehen als Fluß, hohen Urwald und blaß verschleierten Himmel. Die Ruderer blickten schweigend die fast zugewachsene Wasserrinne entlang. Die Sonne mußte bereits tief stehen; Bernd Hoyer schaute nach der nächsten trockenen Sandbank