Martin Kaufhold

Die großen Reden der Weltgeschichte


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hat. Ihr sollt euch kein Gottesbildnis machen, das irgendetwas darstellt, was der Herr, dein Gott, dir verboten hat. Denn der Herr, dein Gott, ist verzehrendes Feuer. Er ist ein eifersüchtiger Gott. Wenn du Kinder und Kindeskinder zeugst und ihr im Land heimisch seid, wenn ihr dann ins Verderben lauft und ein Gottesbildnis macht, das irgendetwas darstellt, wenn ihr also tut, was in den Augen des Herrn, deines Gottes, böse ist, und wenn ihr ihn erzürnt – den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an: dann werdet ihr unverzüglich aus dem Land ausgetilgt sein, in das ihr jetzt über den Jordan zieht, um es in Besitz zu nehmen. Nicht lange werdet ihr darin leben. Ihr werdet vernichtet werden.

      Der Herr wird euch unter die Völker verstreuen. Nur einige von euch werden übrig bleiben in den Nationen, zu denen der Herr euch führt. Dort müsst ihr Göttern dienen, Machwerken von Menschenhand, aus Holz und Stein. Sie können nicht sehen und nicht hören, nicht essen und nicht riechen. Dort werdet ihr den Herrn, deinen Gott, wieder suchen. Du wirst ihn auch finden, wenn du dich mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele um ihn bemühst.

      Wenn du in Not bist, werden alle diese Worte dich finden. In späteren Tagen wirst du zum Herrn, deinem Gott, zurückkehren und auf seine Stimme hören. Denn der Herr, dein Gott, ist ein barmherziger Gott. Er lässt dich nicht fallen und gibt dich nicht dem Verderben preis und vergisst nicht den Bund mit deinen Vätern, den er ihnen beschworen hat.

      Forsche doch einmal in früheren Zeiten nach, die vor dir gewesen sind, seit dem Tag, als Gott den Menschen auf der Erde schuf; forsche nach vom einen Ende des Himmels bis zum andern Ende: Hat sich je etwas so Großes ereignet wie dieses und hat man je solche Worte gehört?

      Hat je ein Volk einen Gott mitten aus dem Feuer im Donner sprechen hören, wie du ihn gehört hast, und ist am Leben geblieben?

      Oder hat je ein Gott es ebenso versucht, zu einer Nation zu kommen und sie mitten aus einer anderen herauszuholen unter Prüfungen, unter Zeichen, Wundern und Krieg, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm und unter großen Schrecken, wie es der Herr, euer Gott, in Ägypten mit euch getan hat, vor deinen Augen?

      Das hast du sehen dürfen, damit du erkennst: Jahwe ist der Gott, kein anderer ist außer ihm.

      Vom Himmel herab ließ er dich seinen Donner hören, um dich zu erziehen. Auf der Erde ließ er dich sein großes Feuer sehen und mitten aus dem Feuer hast du seine Worte gehört.

      Weil er deine Väter lieb gewonnen hatte, hat er alle Nachkommen eines jeden von ihnen erwählt und dich dann in eigener Person durch seine große Kraft aus Ägypten geführt, um bei deinem Angriff Völker zu vertreiben, die größer und mächtiger sind als du, um dich in ihr Land zu führen und es dir als Erbbesitz zu geben, wie es jetzt geschieht.

      Heute sollst du erkennen und dir zu Herzen nehmen: Jahwe ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten, keiner sonst. Daher sollst du auf seine Gesetze und seine Gebote, auf die ich dich heute verpflichte, achten, damit es dir und später deinen Nachkommen gut geht und du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt für alle Zeit.

      PERIKLES

       Die Gefallenenrede

      (431/30 v. CHR.)

      EINFÜHRUNG

      Die Gefallenenrede des Perikles gehört zu den berühmtesten Reden der europäischen politischen Tradition. Mit Recht. Das Ideal eines freien, lebensbejahenden und dennoch nüchternen Gemeinwesens, das Perikles (ca. 500–429 v. Chr.) entwirft, erscheint auch aus dem Abstand von fast zweieinhalbtausend Jahren noch vorbildhaft. Es ist ein entspanntes Ideal, das dennoch den Härten der menschlichen Existenz und den Notwendigkeiten des menschlichen Zusammenlebens Rechnung trägt. Zwar verklärt Perikles das Gemeinwesen der Athener, aber da er gleichzeitig einen realistischen Blick auf seine toten Landsleute wirft, deren Schwächen im Leben er anspricht, bewahrt er ein ausgewogenes Maß. Dieses Maßhalten ist eines der zentralen Ideale der Athener, die er lobt. Das richtige Maß in den Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens, dies erscheint als das besondere Anliegen der Rede des Perikles. Daher ist sie für eine Tradition, die das Menschenbild des Perikles teilt, so vielfältig interpretierbar. Ein Zitat aus dieser Rede ist dem Entwurf für die europäische Verfassung vorangestellt. Dabei bringt der Text durchaus Probleme mit sich. Das Lob des Todes im Krieg fällt uns heute aus guten Gründen schwer, und ein solches Lob bietet die Gelegenheit zu manchem Missbrauch (1944 wurde die Gefallenenrede in großer Auflage in Deutschland gedruckt – als die Gelegenheiten, toter Soldaten zu gedenken, immer furchtbarere Ausmaße annahmen). Das Lob auf Athen, das Perikles so überzeugend formulierte, schloss zudem die Herrschaft Athens über manchen Nachbarn ein, den die Athenische Dominanz nicht freute, sondern drückte. Die Althistoriker zitieren häufig die berühmte Feststellung in der Rede des Perikles, dass Athen „die Schule von Hellas sei“. Es war eine Schule, die nicht jeder freiwillig besuchte, und man wird nüchtern feststellen, dass eine solche Vorstellung in der Sache der berüchtigten Losung, dass am deutschen Wesen die Welt genesen solle, nicht ganz fern ist. Perikles formulierte freilich sehr viel eleganter als Wilhelm II. Und in einer Rede ist die Qualität einer Formulierung letztlich entscheidend.

      Als Perikles die Rede auf die Gefallenen hielt, befand sich Athen im Krieg mit Sparta. Der sogenannte „Peloponnesische Krieg“ dauerte fast dreißig Jahre (431–404 v. Chr.) und er endete schließlich mit dem Sieg Spartas. Perikles hielt seine Rede auf die Gefallenen am Ende des ersten Kriegsjahres, als die Athener noch voller Siegeszuversicht waren. Wir kennen den Text seiner Rede und die Ereignisse des Peloponnesischen Krieges aus dem Geschichtswerk des Thukydides (454–396 v. Chr.), der eine Zeitlang selber eine wichtige Rolle in der athenischen Politik dieser Jahre spielte, bevor er wegen eines militärischen Misserfolges in das Exil gehen musste. Thukydides gilt als einer der wichtigsten Väter der Geschichtswissenschaft. Er erklärt zu Beginn des Werkes, wie er an seine Informationen gelangte: „Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ‚nach meinem Dafürhalten’, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung …“. Wir können also davon ausgehen, dass die Perikles-Rede, die Thukydides in seinem Werk wiedergibt, sorgfältig recherchiert worden ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Thukydides selber zugegen war, als Perikles die Gefallenen ehrte. Schließlich schilderte er selber das Begräbnis der Gefallenen als einen alten Brauch der Athener.

      Das Werk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg bemüht sich nicht nur um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Ereignisse, sondern auch um eine Erklärung der Kräfte, die die Ereignisse bewirkten. Berühmt ist seine Unterscheidung zwischen dem Anlass des Krieges und seiner wahren Ursache: „Den wahrsten Grund freilich, zugleich den meistbeschwiegenen, sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Krieg zwang.“

      Tatsächlich war Athen im 5. Jahrhundert vor Christus zu einer bedeutenden Macht aufgestiegen, und die Rivalität mit Sparta hatte sich verschärft. In den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts hatten die Spartaner und die Athener gemeinsam und schließlich erfolgreich gegen die persischen Invasoren gekämpft. Von diesen Kriegen berichtet Herodot. In den Kriegen mit den Persern hatten sich die Kräfteverhältnisse zwischen Sparta und Athen allmählich verschoben. Das bis dahin dominante Sparta konnte seine Vormacht vor allem auf sein starkes Heer stützen. In den Kämpfen mit den Persern kam aber der neu gebauten Flotte der Athener eine immer größere Bedeutung zu, bis sie schließlich bei Salamis (480 v. Chr.) einen entscheidenden Sieg über die persische Flotte erringen konnte. Nur zwei Jahre später gründeten die Athener ein Städtebündnis auf der Grundlage ihrer Seemacht, aus dem die Mitglieder nicht mehr austreten konnten. Dieser Athenische Seebund stand Perikles vor Augen, als er das Lob der Athener sang. Perikles gilt als einer der großen politischen Figuren der griechischen Geschichte. „Solange er die Stadt in Frieden leitete, führte er sie mit Mäßigung und erhielt ihr ihre Sicherheit, und unter ihm wurde sie groß.“ (Thukydides). Perikles starb nur ein Jahr nachdem er die Rede gehalten hatte, an einer Epidemie, die sich in Athen im Gefolge des Krieges ausbreitete. Die Führung Athens wurde dadurch