Martin Kaufhold

Die großen Reden der Weltgeschichte


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(Hamlet, III,1). Sokrates hatte dagegen seinen Richtern klar entgegengehalten, dass er den Tod, den niemand kenne, deswegen auch nicht fürchte. Denn er fürchte ein bekanntes Übel mehr, als eines, das vielleicht gar kein Übel, sondern etwas Gutes sei.

      Sokrates erscheint in der Apologie als ein unerschrockener Mann. Und während des verbleibenden Monats, den er in der Haft verbrachte, auf die Vollstreckung des Urteils wartend, bewies er, dass dies keine rhetorische Figur, sondern eine Lebenshaltung war. Zwar haben sich unsere Erwartungen an die Erfahrungen nach dem Tod in den fast zweieinhalbtausend Jahren, die seitdem vergangen sind, deutlich verändert, aber die Unerschrockenheit, mit der Sokrates in seiner Apologie auf diese Herausforderung reagiert, sichert ihm einen berechtigten Platz in der langen Geschichte unserer Kultur.

      REDE

      Nur um einer gar kurzen Zeit willen, Ihr Athener, werdet Ihr nun den Namen behalten und den Vorwurf von denen, welche die Stadt gern lästern mögen, dass Ihr den Sokrates hingerichtet habt, diesen weisen Mann. Denn behaupten werden die nun freilich, dass ich weise bin, wenn ich es auch nicht bin, die Euch lästern wollen. Hättet Ihr nun eine kleine Weile gewartet: so wäre Euch ja dies von selbst erfolgt. Denn Ihr seht ja mein Alter, dass es schon weit fortgerückt ist im Leben, und nahe am Tode. Ich sage dies aber nicht zu Euch allen, sondern nur zu denen, die für meinen Tod gestimmt haben. Und zu denen sage ich auch noch das Folgende. Vielleicht glaubt Ihr, Athener, ich unterläge jetzt aus Unvermögen in solchen Reden, durch die ich Euch hätte überreden können, wenn ich geglaubt hätte, all das sagen und tun zu können, was nötig gewesen wäre, um dieser Klage zu entkommen. Ganz und gar nicht! Ich unterliege freilich aus Unvermögen, aber nicht an Worten; sondern aus Mangel an Frechheit und aus Scham, und aus Mangel an der Bereitschaft, so zu Euch zu sprechen, wie Ihr es am liebsten gehört hättet, wenn ich gejammert und geklagt hätte, und vieles anderes getan, das meiner unwürdig ist, wie ich behaupte, das ihr aber von anderen zu hören durchaus gewohnt seid. Allein weder vorher glaubte ich der Gefahr wegen etwas unedles tun zu dürfen, noch bereue ich jetzt, dass ich mich so verteidigt habe; lieber will ich mich auf diese Weise verteidigt haben und sterben, als mich anders verteidigt zu haben und weiterzuleben. Denn weder vor Gericht noch im Kriege ist es für mich oder jemand anderen angemessen, darüber nachzudenken, auf welche Art man dem Tod entkommen kann. Auch kann man ja bei Schlachten öfters sehen, dass mancher dem Tod entkommen könne, wenn er nur seine Waffen wegwerfen würde und sich seinen Verfolgern bittend ergebe, und in jeder Gefahr gibt es viele Rechtsmittel, um dem Tod zu entgehen, wenn man bereit ist, alles zu tun und zu sagen. Allein, es ist weit schwerer dem Tod zu entgehen, Ihr Athener, als der Schlechtigkeit, denn sie läuft schneller als der Tod. Auch deshalb bin ich als ein langsamer alter Mann von dem noch Langsameren gefangen worden; meine Ankläger aber, stark und heftig, wie sie sind, sind von dem Schnelleren gefangen worden, von der Bosheit. Jetzt also gehe ich hin und bin von Euch zum Tode verurteilt worden; diese aber sind von der Wahrheit schuldig gesprochen worden der Unwürdigkeit und der Ungerechtigkeit. Und sowohl ich bin mit dieser Erkenntnis zufrieden als auch diese.

      Es musste vielleicht so kommen, und ich glaube, dass es so ganz gut ist. Was aber nun hierauf folgen wird, das zu weissagen, gelüstet mich, Meine Verurteiler! Denn ich bin ja auch schon in der Lage, in der Menschen bevorzugt weissagen, nämlich wenn sie den Tod vor sich sehen. Ich behaupte also, Ihr Männer, die Ihr mich hinrichtet, es wird sogleich nach meinem Tod eine weit schwerere Strafe über Euch kommen, als die mit der Ihr mich getötet habt. Denn Ihr habt dies jetzt in der Erwartung getan, damit von der Rechenschaft über Euer Leben entbunden zu sein. Es wird aber das Gegenteil eintreten, wie ich behaupte. Es werden mehrere da sein, die Euch zur Untersuchung ziehen werden, die ich bisher zurückgehalten habe, die Ihr aber gar nicht bemerkt habt. Und sie werden Euch umso mehr zusetzen, je jünger sie sind, und je unwilliger Ihr sein werdet. Denn wenn Ihr meint, durch Hinrichtungen zu verhindern, dass Euch jemand tadelt, wenn Ihr nicht richtig lebt, so habt Ihr eine falsche Vorstellung. Denn ein solches Vorhaben ist weder wirklich durchführbar noch ist es edel. Sondern das ist das edelste und einfachste, nicht Andere abzuwehren, sondern so zu leben, dass man möglichst gut sei. Dieses will ich Euch, die Ihr gegen mich gestimmt habt, geweissagt haben, und jetzt von Euch scheiden.

      Mit denen aber, die für mich gestimmt haben, möchte ich gern noch reden über dieses Ereignis, das sich zugetragen hat, so lange die Gewalthaber noch nicht fertig sind, und ich noch nicht dorthin gehen muss, wo ich sterben soll. Also, Ihr Männer, bleibt so lange noch bei mir. Es hindert uns ja nichts, und noch gut zu unterhalten, so lange noch Zeit dazu ist. Denn Euch als meinen Freunden will ich die Bedeutung dessen erklären, das mir eben geschehen ist. Denn, Ihr Richter, Euch kann ich mit vollem Recht Richter nennen, mir ist etwas Besonderes widerfahren. Meine vertraute innere Stimme ließ sich in der letzten Zeit häufig vernehmen, und sie warnte mich auch bei Kleinigkeiten, wenn ich im Begriff war, etwas Falsches zu tun. Jetzt ist mir das widerfahren, was wohl mancher für ein besonderes Unglück halten würde, und was man als solches ansehen kann; dennoch hat mich weder heute Morgen, als ich das Haus verließ, noch als ich das Gerichtsgebäude betrat, noch später bei irgendeinem Teil meiner Rede, die Stimme gewarnt. Obwohl sie mich sonst mitten in der Rede zurückhielt, hat sie mich nun in keiner Weise aufgehalten.

      Was für einen Grund mag das haben? Ich werde es Euch sagen. Es ist mir wohl etwas Gutes widerfahren, und wir irren uns sicher, wenn wir den Tod für ein Übel halten. Für mich ist das ein Beweis. Denn sonst hätte mich das vertraute Zeichen abgehalten, wenn ich etwas hätte tun wollen, das nicht gut war. Lasst uns aber nachdenken, ob wir zu Recht hoffen, der Tod sei etwas Gutes. Denn er kann nur eins von beiden sein. Entweder er ist ein Nicht-Sein, und der Gestorbene hat keine Empfindung mehr von irgend etwas, oder er ist eine Verwandlung und eine Versetzung der Seele von hier an einen anderen Ort. Und ist es nun gar keine Empfindung, sondern eher ein Schlaf, in dem der Schlafende nicht einmal träumt, so wäre der Tod ein großer Gewinn. Denn, ich glaube, wenn jemand eine solche Nacht, in der er fest geschlafen hat, mit allen anderen Tagen und Nächten seines Lebens vergleicht, und wenn er überlegt, wie viele Tage und Nächte er besser gelebt habe, als in dieser Nacht, dann würde nach meiner Einschätzung nicht nur ein normaler Mensch, sondern auch ein großer König, diese Tage und Nächte leicht zählen können.

      Wenn der Tod also dieser Art ist, dann nenne ich ihn einen Gewinn, denn alle verbleibende Zeit wäre ja dann wie eine Nacht. Ist aber der Tod wie ein Auswandern an einen anderen Ort, und ist es wahr, dass dort die anderen Verstorbenen sich aufhalten, was für ein Glück könnte größer sein, Ihr Richter? Denn wenn einer in der Unterwelt statt der hiesigen Richter, die sich nur so nennen, die wahren Richter trifft, von denen man sagt, dass sie dort Recht sprechen, den Minos und Radamanth und Aiakus und Triptolemus, und die anderen Halbgötter, die in ihrem Leben gerecht gewesen sind, wäre das ein schlechter Tausch? Oder auch mit Orpheus umherzuwandeln und Musaius und Hesiod und Homer, was würdet Ihr nicht dafür geben? Ich wenigstens will gern oftmals sterben, wenn dies wahr ist. Ja mir zumal wäre es ein herrliches Leben, wenn ich dort den Palamedes und Aias des Telemons Sohn anträfe, und wer sonst noch unter den Alten eines ungerechten Urteils wegen gestorben ist, mit meinem Schicksal zu vergleichen. Das müsste lohnend sein. Ja, was das größte ist, dort zu leben und die dortigen auszufragen und zu erforschen, wer unter ihnen weise ist und wer glaubt es zu sein, aber nicht ist. Für wie viel, Ihr Richter, möchte das einer wohl annehmen, denjenigen, der das große Heer nach Troja führte, auszufragen, oder den Odysseus oder Sisyphus, und viele andere könnte man nennen, Männer und Frauen, mit welchen dort zu sprechen und umherzugehen und sie zu befragen das größte Glück wäre. Gewiss werden sie einen dort deswegen nicht hinrichten. Denn dort ist man nicht nur überhaupt glücklicher als hier, sondern auch für alle Zeit unsterblich, wenn es stimmt, was gesagt wird. Also müsst auch Ihr, Richter, gute Hoffnung haben, im Angesicht des Todes, und dies eine haltet fest im Herzen, dass es für den guten Mann kein Übel gibt, weder im Leben noch im Tode, noch dass die Götter ihr Interesse für ihn je verlieren.

      Auch meine Angelegenheiten haben sich nicht durch Zufall so entwickelt; vielmehr ist mir deutlich geworden, dass es besser für mich ist, zu sterben und aller Mühe ledig zu sein. Daher hat mich das Zeichen auch an keiner Stelle gewarnt, noch bin ich meinen Anklägern und Verurteilern böse. Obgleich sie mich nicht in dieser Absicht angeklagt und verurteilt haben, sondern um mir zu schaden. Dafür verdienen sie in der