Martin Kaufhold

Die großen Reden der Weltgeschichte


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und weist sie zurecht wie ich Euch zurecht gewiesen habe, und wenn sie denken, etwas zu sein, was sie nicht sind, so tadelt sie, wie ich Euch getadelt habe, weil sie sich nicht um das Sorgen machen, worum man sich Sorgen machen muss, und weil sie sich einbilden, etwas zu sein, was sie nicht wert sind. Wenn Ihr das tut, so tut Ihr mir und meinen Söhnen recht. Jetzt ist es Zeit zu gehen, für mich, um zu sterben und für Euch, um zu leben. Wer aber von uns das Bessere vor sich hat, das weiß niemand außer Gott allein.

      MARKUS ANTONIUS

       Grabrede auf Julius Caesar

      EINFÜHRUNG

      Die Rede von Markus Antonius bei der Leichenfeier für Julius Caesar ist in dieser Form nicht gehalten worden. Der Text, der hier folgt, stammt aus der Feder des großen William Shakespeare. Shakespeares Version der Leichenrede gehört zu den bedeutendsten politischen Reden der europäischen Geschichte. Sie hat über Jahrhunderte den verschiedensten Rednern als Vorbild gedient. Aufgrund ihrer Bedeutung ist sie hier aufgenommen. Sie ist ein Paradestück agitatorischer Rhetorik und an Dramatik kaum zu überbieten.

      Shakespeare führt vor, wie der Redner Markus Antonius das römische Volk, das gerade erst dem Caesarmörder Brutus zugejubelt hat, wieder in Verehrung für den toten Diktator entzündet, so dass es schließlich so aufgewühlt ist, dass die wütenden Menschen den Dichter Cinna töten und schlimm zurichten – allein wegen seiner Namensgleichheit mit einem der Verschwörer. Es ist also kein unschuldiger Text, sondern Agitation im Kampf um die Macht in Rom am Ende der Republik. Aus diesem Kampf ging schließlich der sogenannte Prinzipat des Augustus hervor, eine praktische Monarchie, die jedoch die Formen der Verfassung wahrte. Shakespeare hat dieses Geschehen nicht erfunden, sondern er hat aus historischer Überlieferung (besonders Plutarch) geschöpft, und er hat die historischen Ereignisse dramatisch ausgestaltet. Manche Formulierung aus der Rede ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, die zunächst subtile, dann massive Anklage gegen die Verschwörer hat den „ehrenwerten“ Männern einen langanhaltenden Schaden zugefügt – zumindest solange Zitate aus den Klassikern einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten.

      Das Geschehen und seine dramatische Gestaltung liegen schon lange zurück, aber die Rede vermag den heutigen Leser noch immer zu fesseln. Shakespeare hat das Geschehen für die Bühne zeitlich etwas gerafft. Tatsächlich lagen zwischen der Ermordung Caesars im Senat und der Leichenfeier für den getöteten Dikator fünf Tage (15.-20. März 44 v. Chr.). Die Stimmung in Rom war nicht klar. Das Attentat auf Caesar hatte die Menschen verunsichert (Markus Antonius hatte sich zunächst Hals über Kopf in sein Haus geflüchtet und Sicherheitsvorkehrungen getroffen). Die Kräfte formierten sich allmählich und die Verschwörer und die Anhänger Caesars versuchten, Unterstützung zu mobilisieren. Die ganzen Ereignisse waren der Ausdruck einer schweren Krise, in die die römische Republik nach einem langen Aufstieg zur Weltmacht geraten war.

      Die Römer hatten in ihrer langen Geschichte zunächst Italien unter ihrer Führung geeint, dann im Kampf mit Karthargo die Herrschaft im Mittelmeer erkämpft und ihr Imperium schließlich auch weit nach Norden ausgedehnt. Caesars Gallischer Krieg ist berühmt und seine Erfolge in Gallien haben zu seiner besonderen Machtstellung wesentlich beigetragen. Caesar hatte als Statthalter in Spanien erste größere politische Verantwortung erhalten und mit harter Hand regiert. Als er danach für insgesamt zehn Jahre Prokonsul in Gallien wurde (58–49 v. Chr.), trieb er die Eroberung der Provinz rücksichtlos voran. Sein Amt erlaubte ihm, eigene Truppen auszuheben, die Beute aus seinen Kämpfen erhöhte seine Mittel beträchtlich und sie stärkte auch die Loyalität seiner Truppen. So konnte er in der Krise der späten Republik eine eigene politische Rolle spielen. Er hatte frühzeitig Bündnisse geschlossen und sich 59 v. Chr. mit Crassus, dem reichsten Mann Roms, und mit Pompeius, dem mächtigen Feldherrn, zum sogenannten ersten Triumvirat verbunden. Die beiden einflußreichen Verbündeten stützen seine Ernennung zum Prokonsul in Gallien. Doch Casar wurde durch seine Erfolge stärker und unabhängiger. Der Triumvirat zerfiel mit dem Tod des Crassus und Caesar und Pompeius gerieten in Konkurrenz. Dabei zeigte sich, dass Caesar sich auch von den römischen Institutionen keine Einschränkungen mehr auferlegen ließ. Zwar verbot ihm der Senat die Rückkehr nach Italien, aber Caesar überschritt mit dem Rubikon die Grenze. Hier soll der berühmte Satz „Der Würfel ist gefallen“ gesprochen worden sein. Nun stand Caesar im Bürgerkrieg mit Pompeius, der nach Osten ausgewichen war.

      Doch Caesar war erfolgreich. Es gelang ihm, den Widersacher zu besiegen. Pompeius wurde darauf ermordet, und Caesar war der mächtigste Mann Roms geworden. Der Erfolg machte ihn unduldsam. Er reagierte empfindlich und harsch auf Widerstände, ließ erkennen, wie wenig er die noch bestehenden Institutionen der Republik respektierte („Er wollte sich keinerlei Zwang mehr antun“, Christian Meier). Sein Zug gegen Pompeius hatte ihn im Osten mit Kleopatra, der Königin von Ägypten bekannt gemacht. In ihrer Stadt Alexandria hatte man Caesar den Kopf seines einstigen Freundes und späteren Rivalen Pompeius übergeben. Aus der Begegnung des mächtigen Mannes mit der jungen Königin wurde eine leidenschaftliche Verbindung. Als Caesar nach den gewonnenen Bürgerkriegen und erfolgreichen weiteren Kämpfen schließlich nach Rom kam, begleitete ihn die ägyptische Königin, auch wenn sie außerhalb der Stadt blieb. Die Verbindung mochte republikanischen Argwohn verstärken.

      Die römische Republik hatte sehr sensibel auf monarchische Ambitionen reagiert. Wer nach der Königskrone strebte, hatte in ihrer Überlieferung den Tod verdient. Und so soll auch der Stadtgründer Romulus getötet worden sein, als er in der Frühzeit Roms nach der Krone griff. Wie ernsthaft Caesars Absichten waren, ist umstritten. Praktisch verfügte er über weitgehende Macht. Der Senat hatte ihn zum Diktator auf Lebenszeit ernannt. Das war in der römischen Geschichte ohne Beispiel. Aber ob er diese Kompetenzen noch durch eine Krone auf eine Ebene heben wollte, die ihn dauerhaft der Sphäre der Republik enthob, ist unklar. Es war diese Unklarheit, die den Verdacht der Verschwörer schürte und die seinen Tod herbeiführte. Dabei hatte Caesar die Krone öffentlich zurückgewiesen. Markus Antonius geht in seiner Rede darauf ein, wie er selber beim Lupercalienfest Caesar dreimal die Krone angeboten habe („die dreimal er geweigert“). Brutus und seine Anhänger trauten Caesar nicht. In der klassischen Übersetzung, in der der Text im Folgenden wiedergegeben ist, lautet der von Antonius zitierte Vorwurf der Verschwörer gegen Caesar „dass er voll Herrschsucht war“. Das englische Wort ist „Ambition“. Die Verschwörer glaubten nicht, dass die Zurückweisung der Krone Caesars wahren Absichten entsprach. Sie sahen in ihm und in der großen Zustimmung des römischen Volkes zu seiner Person die Gefahr für das Ende der Republik und der Freiheit. So fand sich der Kreis um Caesars Vertrauten Markus Iunius Brutus zusammen („Et tu, Brute?“, so heißen die berühmten letzten Worte Caesars bei Shakespeare, „auch Du Brutus? So falle Caesar“).

      Verschwörer im eigentlichen Sinne waren sie nicht, denn sie verzichteten auf einen gegenseitigen Eid, um sich aneinander zu binden. Zwar erhoben sie sich für die Republik und die Freiheit gegen den mächtigsten Mann Roms, doch schon bald wurde offenbar, dass sie keinen Plan für den Fall vorbereitet hatten, falls ihr Attentat erfolgreich war. Sie sahen Caesar als das eigentliche Problem an. Dabei war die Republik nicht allein durch Caesar in die Krise geraten, und auch nach seinem Tod verfügten die Anhänger Caesars über mächtige Mittel und über Truppen. Caesars Großneffe Oktavian, der spätere Augustus, den der Diktator in seinem Testament adoptierte, stand vor der Stadt. Die Verschwörer hatten keine Vorkehrungen getroffen. Die nun folgenden dramatischen Tage, in denen die Anhänger Caesars die Initiative zurückgewannen und die Mörder Caesars aus der Stadt flohen, werden bei Shakespeare in der Rede des Markus Antonius zusammengefasst. Das ist eine Verkürzung, aber die Leichenfeier für Caesar hatte tatsächlich eine besondere Bedeutung und Markus Antonius beherrschte seine Rolle zu diesem Zeitpunkt mit großem Geschick. Doch er blieb eine Figur des Übergangs. Er war ein Lebemann mit der Fähigkeit, Emotionen zu wecken, aber er war kein Mann der Zukunft. Die Zukunft gehörte Oktavian, mit dem er sich zunächst verbündete (im sogenannten zweiten Triumvirat), den er dann aber bekämpfte. Im Jahre 31 vor Chr. unterlag er, und mit der Alleinherrschaft des Augustus begann eine neue Epoche in der langen Geschichte des römischen Reiches.