Tag über hatte ihn der Gedanke an den "X-Space"-Effekt nicht losgelassen. Dieses Thema hatte Kurt regelrecht elektrisiert.
Auch wenn Chris Barrington es mehr oder minder als gepflegtes Hobby ansah, sich mit den Grundlagen dieses Effekts zu befassen und inzwischen selbst nicht mehr an eine technische Verwertbarkeit im großen Stil glaubte, so schmälerte dies Kurts Enthusiasmus kaum.
Als Thema für eine Doktorarbeit hatte Kurt dieses Gebiet ohnehin nicht in Betracht gezogen. Er hatte zwar durchaus die Absicht, irgendwann zu promovieren und die Offizierslaufbahn in der Garde einzuschlagen. Aber er hatte keine Eile damit. Und sein Interesse am "X-Space"-Effekt war vollkommen frei von derartigen Ambitionen. Es entsprang einfach der Faszination am Forschungsgegenstand. Eine Faszination, die sicher auch damit zu tun hatte, dass die ersten Menschen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die Weiten der Galaxis vorgestoßen waren, dies mit Schiffen unternommen hatten, die mit auf dem "X-Space"-Effekt basierenden Antriebssystemen ausgestattet gewesen waren.
An diesem Abend nahm sich Kurt Farmoon noch nicht einmal Zeit für eine Dusche.
Er ging gleich in den Keller, wo sich Labor und ein leistungsstarker Kristallsensor befanden. Hier hatte er Ruhe. Ruhe genug, um sich in die schwierige Materie einzuarbeiten.
Kurt war wie besessen davon.
Seine Finger glitten über das Terminal.
Er aktivierte Drei-D-Projektionen, die komplexe mathematische Probleme veranschaulichten.
Es ist gar nicht in erster Linie die Technik der Alienwandler gewesen, die den nachhaltigsten Einfluss auf das menschliche Verständnis des Universums hatte, ging es Kurt durch den Kopf. Nein, es war die Mathematik dieser genialen Raumfahrer...
*
Bis zum frühen Morgen saß Kurt Farmoon beinahe ununterbrochen am Terminal des Kristallsensors und versuchte, Alienwandler-Mathematik auf das Phänomen des "X-Space"-Effekts anzuwenden.
Die einzigen Pausen, die Kurt machte, benutzte er dazu, sich einen starken Kaffee aufzubrühen, um nicht einzuschlafen. Als Soldat der Raumgarde war er es durchaus gewohnt, über längere Zeit hinweg mit sehr wenig oder gänzlich ohne Schlaf auszukommen. Bei manchen Einsätzen war das einfach unerlässlich.
Schließlich nickte er in seinem Schalensessel aber doch für eine halbe Stunde ein. Konzentriertes Nachdenken über komplizierteste mathematische Probleme war eben auf die Dauer noch weit aus anstrengender als stundenlanges Warten auf einen Gegner.
Eine automatische Weckfunktion des Kristallsensors sorgte schließlich dafür, dass Kurt Farmoon nicht in die Tiefschlafphase gelangte.
"Kurt Farmoon, Sie haben seit geraumer Zeit keine Eingabe gemacht", meldete sich eine wohlmodulierte, aber mahnende Kunststimme. "Der von Ihnen durchgeführten Programmkonfiguration nach soll ich Sie in diesem Fall durch schrille Geräusche daran hindern zu schlafen. Sollten Sie nicht eingeschlafen sein, so tun Sie dies bitte innerhalb von drei Sekunden durch eine stimmliche Äußerung kund."
Drei Sekunden verstrichen.
Kurt erwachte nicht schnell genug, um den schrillen, dissonanten Ton zu verhindern.
Er verzog gequält das Gesicht.
"Ist ja schon gut!", rief er genervt.
Der Weckton verstummte, nachdem der Kristallsensor Kurts Stimmmuster identifiziert hatte.
"Wollen Sie mit der Arbeit fortfahren?", fragte die Kunststimme.
"Ja, gleich."
Kurt blickte auf sein Chronometer.
Eigentlich musste Master Sergeant Jannis Karalaitis jetzt bereits seinen Dienst angetreten haben. Kurt stellte eine Communicator Phone-Verbindung her.
"Hier Schütze Kurt Farmoon. Ich möchte einen Tag Urlaub nehmen, Sir."
Karalaitis schien überrascht zu sein.
"Urlaub? Was ist los, Farmoon?"
"Eine dringende persönliche Angelegenheit."
"Dienstliche Gründe stehen dem nicht entgegen und Sie haben noch Urlaub aus dem letzten Jahr übrig." Karalaitis atmete tief durch. "Also nehmen Sie sich den Tag, wenn Sie ihn so dringend brauchen, Farmoon!"
"Danke, Sir."
Kurt fiel ein Stein vom Herzen, dass sein Master Sergeant die Lüge von der persönlichen Angelegenheit einfach so schluckte.
Mit der Wahrheit hätte er Karalaitis wohl auch schlecht kommen können.
Ein einfacher Gardist, bislang noch ohne akademischen Grad, machte eine bahnbrechende Entdeckung und wollte sie mit der Kapazität auf dem Gebiet der Hochenergietechnik schlechthin besprechen.
Nur nicht abheben!, dachte Kurt. Bislang bist du der Einzige, der von der Bedeutung deiner Entdeckung überzeugt ist, die sich bei näherem Hinsehen vielleicht nur als simpler Rechenfehler herausstellt...
*
Kurt speicherte seine Arbeitsergebnisse der letzten Nacht auf einem Datenträger, holte die Dusche nach und begab sich danach so schnell wie möglich zur Garde-Universität, um Professor Dr. Dr. George Ravanelli aufzusuchen.
Im Vorlesungsverzeichnis hatte Kurt gelesen, dass der Professor am Vormittag ein Doktoranden-Kolloquium leitete.
Vorher fand seine reguläre Sprechstunde statt.
Das war die Gelegenheit!
Kurt hoffte, dass es ihm irgendwie gelang, dem Professor seine Ergebnisse vorzuführen. Er musste einfach Ravanellis Meinung zu der Entdeckung erfahren, die er in der letzten Nacht gemacht hatte.
Kurt erreichte das Büro des Professors eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn der Sprechstunde.
Er hoffte, den Hochenergietechnik-Experten vor Beginn der Sprechstunde dazu bringen zu können, ihm zuzuhören.
Kurt betätigte das Communicator Phone an der Bürotür.
Das Gesicht Teresitas erschien auf dem kleinen Bildschirm. Die Assistentin des Professors sah Kurt überrascht an.
"Sie, Kurt?"
"Ja."
"Tut mir leid, aber ich fürchte, ich habe im Augenblick gar keine Zeit für Sie."
"Um ehrlich zu sein, möchte ich zu Professor Ravanelli."
"Haben Sie denn einen Termin, Kurt?"
Kurt schüttelte den Kopf. "Nein."
"Dann wird daraus wohl nichts. Die Sprechstundentermine sind immer sehr eng gelegt. Da gibt es kaum einen zeitlichen Spielraum."
"Wie wär's, wenn Sie mich erst einmal hereinlassen. Auf dem Communicator Phone-Bildschirm sind Sie nur halb so schön wie in Natura."
Teresita errötete leicht. Aber sie hatte diesen Anflug von Verlegenheit schnell wieder im Griff. "Der Professor schmeißt mich raus, wenn ich kostbare Arbeitszeit damit vertrödelt habe, mich mit Ihnen zu unterhalten, anstatt den Kristallsensor-Fehler in der Drei-D-Projektion zu finden, die bei der heutigen Vorlesung zur Veranschaulichung der Brownstein'schen Kontinuumsformel verwendet werden soll."
Kurt grinste.
"Ein Fehler im Kristallsensor-System? Lassen Sie mal sehen, ob ich Ihnen nicht helfen kann, Teresita."
"Verstehen Sie denn etwas davon?"
"Warten Sie's doch ab..."
Die Tür öffnete sich.
Kurt trat ein.
Das Büro des Professors verfügte über die modernste Kristallsensor-Ausstattung,