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Die Kraft des Miteinander


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der Schule, in Betreuungseinrichtungen oder auch anderswo. Das Wichtigste an der Wiedergutmachung ist, dass es kein demütigender, sondern ein die Verbindung stärkender, beziehungsfördernder, den Selbstwert unterstützender Prozess ist. Wie wir auch in den Beispielen gesehen haben, sind die Kinder oft von sich aus nicht gleich bereit, ihr Verhalten wiedergutzumachen, da ihre Angst, gedemütigt zu werden und als Verlierer dazustehen, groß ist. Daher ist es sinnvoll, diesen Prozess durch die Eltern oder Lehrer anzustoßen, dabei intensiv mit den Kindern zusammenzuarbeiten und sie zu unterstützen. Die Unterstützer sollten geduldig und beharrlich bleiben und nie die Beziehung zu den Kindern aus den Augen verlieren. Die vorgestellten Beispiele haben gezeigt, wie den Kindern die Idee der Wiedergutmachung nähergebracht werden kann. So entwickeln sich Standfestigkeit, Stärke und Souveränität. Wiedergutmachung stärkt außerdem die Haltungen der Positivität, der Zugewandtheit, des Widerstands und der Beharrlichkeit. Sie ist elementar für starkes und positives Handeln zur Unterstützung der Entwicklung von Kindern.

      Wenn Kinder den Prozess des Schadensausgleichs oder der Wiedergutmachung nicht gleich akzeptieren wollen, liegt es an den Erwachsenen, eine Wiedergutmachungsmaßnahme festzulegen. Diese sollte logisch sein und vom Netzwerk der Unterstützer befürwortet werden. Wer durch sein Verhalten andere schädigt, schädigt nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gemeinschaft. Wer Schaden anrichtet, sei es auch nur aus Unachtsamkeit, muss eine Entschädigung leisten. So lernt das Kind in einem konstruktiven Prozess, Lösungen für seine Fehler zu finden, und stärkt seine Fähigkeit zur Resilienz und Kreativität. Das abschließende Beispiel zeigt, dass es dabei ganz entscheidend ist, die Stärken und Leidenschaften des Kindes zu nutzen.

      Der 13-jährige Dejan trifft in der Schulpause eine Mitschülerin mit einer Kastanie so hart am Kopf, dass diese einen blauen Fleck bekommt. Die Lehrerinnen sind empört und die Mutter verzweifelt. Dejan ist nicht zum ersten Mal aggressiv. Die Direktorin möchte Dejan vorsorglich für vier Tage suspendieren, dem wird allerdings von der obersten Schulbehörde nicht stattgegeben. Der Werklehrer hat die rettende Idee: Dejan soll eine Wiedergutmachung leisten. Diesmal reicht eine einfache Entschuldigung nicht. Mit diesen ist Dejan nämlich immer ganz schnell. Mithilfe seiner Mutter und der Unterstützung seines Erziehungshelfers und seines Lehrers ist Dejan bereit, den Schaden wiedergutzumachen. Sein Vorschlag: Als geschickter Handwerker und Bastler wird er ab sofort der Mitschülerin, die er mit der Kastanie getroffen hat, im Werkunterricht helfen. Dejan weitet sein Angebot aus und unterstützt bis zum Ende des Schuljahres auch alle anderen Schülerinnen beim Fertigstellen ihrer Projekte. Dejans Aggression hat eine Pause, denn er ist stolz, »endlich mal etwas Vernünftiges zu machen«.

      Wiedergutmachung verharmlost nicht das Fehlverhalten, sie fordert sogar einen Ausgleich ein, der die Situation bereinigt und der für die Lösung des Problems notwendig ist. Wiedergutmachung demütigt und erniedrigt nicht. Im Gegenteil: Sie initiiert aus Widerspruch und Konflikt konstruktiven, wertschätzenden Dialog und positives Handeln. Sie ermöglicht aus einem Fehlverhalten heraus Potenzialentfaltung und Aufblühen, sie schafft Beziehung und Resonanz. Es ist kein Honiglecken, sondern harte Arbeit. Aber der Erfolg kann sich sehen lassen.

       2Wiedereingliederungs-Versammlungen mit Häftlingen – wie sie Inhaftierten zugutekommen und nahestehenden Menschen helfen1

       Lorenn Walker und Anouck De Reu

      »Du bist zu nichts zu gebrauchen«, schreit die Mutter ihre Tochter April an, wobei ihr Spucke aus dem Mund fliegt, bevor sie ihre Lippen wütend vorstülpt. April ist 1958 vier Jahre alt; sie wohnt in einem großen Bundesstaat im mittleren Westen Amerikas. Sie steht dem Alter nach irgendwo in der Mitte von elf Kindern. April erinnert sich, dass, bevor sie 12 Jahre alt war, ihre Mutter »mir sagte, ich solle sterben und es hinter mich bringen. Sie sagte, ich hätte unsere Familie zerstört, und ich sei der Grund dafür, dass sie sich von meinem Vater habe scheiden lassen. Alles, was passiert sei, wäre meine Schuld. Ich hätte all die Probleme verursacht«. April wurde herausgegriffen und während ihrer gesamten Kindheit härter bestraft als ihre zehn Geschwister. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter sie einmal, als sie krank war, mehrere Tage lang in einem Zimmer einschloss und ihren Geschwistern »verboten wurde, überhaupt bei mir reinzuschauen«.

      April war der »Sündenbock« ihrer Mutter für die Konflikte in der Familie, einschließlich ihrer Eheprobleme. Dass Eltern Kinder zum Sündenbock abstempeln, ist in konfliktreichen Familien weitverbreitet und kann der jugendlichen Entwicklung sehr abträglich sein (Vogel a. Bell 1960). Im Jahr 1967 ist April 14 Jahre alt. Sie geht nicht mehr zur Schule und hat nur die achte Klasse abgeschlossen. Inzwischen hat sie ihr Zuhause verlassen und wohnt mit einer Gruppe von Männern zusammen, die in den Zwanzigern sind. Sie leben in der Regel in verlassenen Gebäuden in der Stadt, die nur wegen eines dort befindlichen großen Automontagewerks überlebt. Aprils Vater ist Werksvorarbeiter und geht nun mit einer Rente in den Ruhestand. Viele der Männer, die Aprils »Familie« werden, nachdem sie von zu Hause weggegangen ist, sind Vietnam-Veteranen oder suchen nach Wegen, um der Einberufung zum Militär zu entgehen. Sie lieben April, die gut aussieht, witzig und klug ist. Sie erwidert die Zuneigung der Männer und hat eine Beziehung mit einem von ihnen. Sie behandeln sie wie eine geachtete kleine Schwester.

      Die Männer konsumieren regelmäßig Heroin. April bittet sie, es auch nehmen zu dürfen. Sie verweigern ihr das zunächst. Irgendwann zermürbt sie Aprils Hartnäckigkeit. Sie lassen sie Heroin nehmen, und April wird schnell süchtig. Um ihren regelmäßigen Drogenkonsum zu finanzieren, stehlen die Männer Dinge aus Geschäften und Wohnungen. April verkauft Pillen vor allem an Highschool-Kinder. Als sie 17 Jahre alt ist, ist sie mit einem anderen Mann zusammen, den sie aus der Gruppe heraus kennengelernt hat und dessen Familie wohlhabend ist. 1970 nimmt er sie mit in ein Gästehaus auf einer Ranch in Hawaii, die seiner Familie gehört.

      Während der nächsten 45 Jahre nimmt April regelmäßig Heroin und lebt oft auf der Straße. Sie hat vier Kinder, die von ihren Vätern, anderen Familienmitgliedern oder in Pflegefamilien aufgezogen werden.

      Im Jahr 2020 ist April 67 Jahre alt und hat nur zu einem ihrer Kinder eine Beziehung, zu Francis, 46 Jahre alt. Francis’ Partnerin ist Malia. Francis hat auch einen Sohn namens Kimo, der 25 Jahre alt ist. Kimo, Francis, Malia und April sind alle schon einmal inhaftiert worden. Aktuell sitzt nur Kimo im Gefängnis ein. Die Hawaiischen Freunde der »Restorative Justice«2 (Hawai’i Friends of Restorative Justice, HFRJ) arbeiten seit einem Jahrzehnt mit allen vier Mitgliedern dieser Familie zusammen und helfen ihnen, sich an die Ressourcen der Gemeinschaft anzudocken, um ihr Leben zu verbessern. Die HFRJ trafen die Familie zum ersten Mal im Jahr 2010, als Francis sich für einen Kurs im staatlichen Frauengefängnis von Hawaii einschrieb: »Restorative Justice als lösungsfokussierte Antwort auf Konflikte und Fehlverhalten«.

      Damals sagte Francis, sie habe kein Vertrauen in das Justizsystem, sie glaube, dass sie ihr Verhalten niemals ändern werde und dass ihr am besten gedient sei, wenn sie rebellisch und aggressiv sei. Als sie den Kurs der HFRJ besuchte, wurde sie vom Gefängnis als hohes Sicherheitsrisiko betrachtet. Sie tat nichts, um ihre Fortbildung zu fördern oder irgendeine Therapie zu erhalten, obwohl sie wegen Drogenmissbrauchs ins Gefängnis gekommen war. Statt wegen guter Führung wurde Francis von den Justizvollzugsbeamten häufig wegen Verstoßes gegen die Gefängnisregeln »aufgeschrieben«. Francis sagt, als sie vor zehn Jahren in den lösungsfokussierten Kurs ging, habe sie zum ersten Mal davon gehört, dass es nicht wichtig sei, sich auf ihre Fehler zu konzentrieren; dass sie das Potenzial habe, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, und sich jede Art von Leben schaffen könne, die sie sich wünsche. Anstatt sich auf ihre Defizite zu konzentrieren und zu versuchen, diese zu beheben, wurde sie ermuntert, über ihre Stärken und ihre Ziele nachzudenken. Francis überzeugte ihre Partnerin Malia, ebenfalls an dem Kurs teilzunehmen.

      Francis und Malia lernen beide, dass ihre Gefühle immer gültig sind und dass niemand, auch nicht sie selbst, ihre Gefühle beurteilen sollte. »Spüre einfach achtsam deinen eigentlichen Gefühlen nach, ohne dich auf irgendetwas festzulegen«, lernen sie. Inakzeptabel sei es nur, auf Gefühle in destruktiver Weise zu reagieren, wie z. B. wütend zu werden und jemanden zu schlagen. Diese Impulse tragen dazu bei, dass Francis zunächst in dem lösungsfokussierten Kurs zu einer