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Die Kraft des Miteinander


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zu »geduldig« verändert. Innerhalb weniger Jahre wird Francis Mitglied einer speziellen Arbeitsgruppe für das Gefängnispersonal (in einigen Gerichtsbezirken »Vertrauensleute« genannt), ausgestattet mit mehr Privilegien, Pflichten und einer kleinen Vergütung. Sie wird zu einer angesehenen Peer-Ausbilderin und zu einem Vorbild für andere. Es findet eine grundlegende Veränderung statt, die bis ins Jahr 2020 andauert. Francis ist außerhalb des Gefängnisses nicht wieder straffällig geworden und arbeitet nun als stellvertretende Leiterin eines Einzelhandelsgeschäfts. Auch Malia profitierte von dem Kurs, obwohl sie einmal einen Rückfall hatte und kurzzeitig wieder inhaftiert wurde. Zurzeit absolviert sie ein Programm gegen Drogenmissbrauch und ist begeistert von dem Gedanken, bald nach einem Job zu suchen. April arbeitet in Vollzeit in einem gut laufenden Einzelhandelsgeschäft und strebt an, sich am Community College als Studentin einzuschreiben. Sie und Francis pflegen weiterhin ihre Beziehung, wobei beide absolut drogenfrei bleiben und sich wie gesetzestreue Bürgerinnen verhalten.

      Die HFRJ trafen Kimo, den Sohn von Francis, als er 17 Jahre alt und gerade inhaftiert worden war. Kimo hatte 2012 eine Wiedereingliederungs-Versammlung, als dieses Verfahren im Jugendgefängnis von Hawaii als Pilotprojekt für Jugendliche initiiert wurde. April hatte diese damals besucht. Kimo ist jetzt 25 Jahre alt und befindet sich in einem Gefängnis für Erwachsene, nachdem er rückfällig geworden und zu Drogen und Kriminalität zurückgekehrt war.

      In diesem Beitrag wird erörtert, wie die HFRJ dieser Familie mit drei Generationen von inhaftierten Mitgliedern durch lösungsfokussierte und wiedergutmachende Gemeinschaftsbildung geholfen haben. Der Familie fehlten emotionale und gesellschaftliche Ressourcen, um die sozialen Notlagen, denen sie ausgesetzt war, zu bewältigen. Die Wiedereingliederungs-Versammlungen der HFRJ, bei denen jeder Einzelne als der beste Experte seines eigenen Lebens betrachtet wird, unterstützten die Familie mit Gemeinschaftskontakten und Ressourcen. Für jedes Familienmitglied wurde eine Versammlung organisiert, und bei diesen Treffen besprachen sie, was sie brauchten, um über die erlittenen Verluste hinwegzukommen. Sie überlegten gleichzeitig, wie sie am besten Verantwortung übernehmen und eine positivere Zukunft schaffen könnten. Anstatt sich bei der Planung ihrer Zukunft auf einen Fallmanager3 zu verlassen, boten die Wiedereingliederungs-Versammlungen die Möglichkeit, selber zu bestimmen, was sie wollten und wie sie es erreichen könnten. Die Versammlungen tragen zum Aufbau sozialer Fähigkeiten bei, indem sie Familienmitglieder und andere Menschen aus dem näheren Umfeld in den Prozess einbeziehen. Die Gruppe kommt im Gefängnis zusammen, bevor der Einzelne entlassen wird.4 Die Versammlung verstärkt bzw. erweitert das soziale Netz des Einzelnen und hilft ihm, zu bestimmen, was er in seinem Leben will und wie er es erreichen kann. Meistens wünschen sich die Teilnehmenden ein Leben frei von Drogenmissbrauch und Kriminalität. Sie wollen Wiedergutmachung für früheres Fehlverhalten leisten, positive Beziehungen zu ihnen nahestehenden Menschen und zur Gemeinschaft, sie wollen Arbeit, Unabhängigkeit und Gesundheit.

      Der folgende Abschnitt enthält auch Ergebnisse neuerer Forschungen über den Nutzen der Wiedereingliederungs-Versammlungen für nahestehende Menschen aus dem sozialen Netzwerk, die in den Gruppen mitwirken. Heilung wurde für die Zwecke der Forschung definiert als selteneres Immer-wieder-Erinnern schmerzhafter Ereignisse (Vergebung) und mehr Optimismus.

       Hintergrund für versöhnende und lösungsfokussierte Wiedereingliederungs-Versammlungen

      Die HFRJ sind eine kleine gemeinnützige Organisation (NGO), die Interventionen konzipiert, anbietet und erforscht, um Lösungen für ernste soziale Probleme zu finden. Seit 2003 nutzen die HFRJ lösungsfokussierte (solution-focused, SF) Ansätze für Interventionen restaurativer Verfahren. Über vielfältige Anwendungen solcher Ansätze in Schulen finden Sie in diesem Buch Beiträge von Ben Furman (siehe S. 193) und Sue Young (siehe S. 222).

      Restaurative Verfahren stellen eine gemeinschaftliche Alternative zum traditionellen hierarchisch-autokratischen und konkurrenzbetonten Justizsystem (Walker, Rodgers a. Umbreit 2018) dar. Lösungsfokussierte Ansätze bedienen sich insbesondere sprachlicher Mittel und schätzen die Bedeutung von Beziehungen bei der Unterstützung von Menschen in Schwierigkeiten hoch ein, damit diese ihre eigenen Problemlösungen finden (Berg a. de Shazer 1993). Howard Zehr, der weithin als Pionier und Vorreiter in der Entwicklung der modernen »Restorative Justice«5 anerkannt ist, definiert sie wie folgt:

      »›Restorative Justice‹ meint einen Prozess, der so weit wie möglich diejenigen einbezieht, die an einer bestimmten Straftat beteiligt sind, und bei dem Verletzungen, Bedürfnisse und Verpflichtungen gemeinschaftlich ermittelt und angegangen werden, um Verletzungen zu heilen und die Dinge so weit wie möglich in Ordnung zu bringen« (2002, S. 37; Übers. d. Ü.).

      Im Jahr 2004 half Insoo Kim Berg, Mitbegründerin der lösungsfokussierten Kurztherapie, den HFRJ bei der Entwicklung des Prozesses zu Wiedereingliederungs-Versammlungen (Walker a. Greening 2010). Der Prozess war für inhaftierte Personen konzipiert, um bei geschädigten Verwandten und Freunden Wiedergutmachung zu leisten, Ziele festzulegen und einen Plan für die Erlangung oder Aufrechterhaltung eines rechtskonformen Lebens zu entwerfen. Zu den Teilnehmern der Versammlungen gehören die inhaftierte Person, ihre eingeladenen Freunde und Verwandte und alle anderen Unterstützer sowie ein Vertreter des Gefängnisses, in dem sie inhaftiert ist. Der Prozess wurde in anderen Ländern und Staaten nachgebildet. Seit 2015 wird er vom Bezirksgericht der Vereinigten Staaten in Honolulu bei Personen angewandt, die wegen Verbrechen nach dem Bundesstrafrecht inhaftiert sind, und seit 2017 bei Personen, die sich in Bewährung nach dem Bundesrecht befinden (Walker a. Kobayashi 2020).

      Wiedereingliederungs-Versammlungen wenden die Prinzipien der »Restorative Justice« von Howard Zehr an. Er ist erstens der Ansicht, dass sich restaurative Verfahren von den Werten Respekt, Verantwortung und Beziehung leiten lassen muss (van Worman a. Walker 2013). Zweitens glaubt Zehr, dass es die innere Natur einer Praxis ist, die sie zu einer restaurativen Praxis macht. Er erteilt folgenden Rat:

      »Letztlich laufen restaurative Verfahren auf eine Reihe von Fragen hinaus, die wir stellen müssen, wenn Unrecht geschieht. Diese Leitfragen erfassen in der Tat das Wesen der ›Restorative Justice‹« (Zehr 2002, S. 58; Übers. d. Ü.).

      Die Leitfragen der »Restorative Justice« sind die folgenden:

      1. Wer ist geschädigt worden?

      2. Was sind die Bedürfnisse der Geschädigten?

      3. Für wen ergeben sich daraus Verpflichtungen?

      4. Wer ist in dieser Situation Beteiligter?

      5. Welches ist der geeignete Prozess, um Beteiligte in dem Bemühen einzubeziehen, die Dinge in Ordnung zu bringen?

      Die Versöhnungsphase des Wiedereingliederungs-Prozesses stellt auf der Grundlage von Zehrs Arbeit die folgenden drei Fragen:

      1. Wer war von dem Verhalten und/oder der Inhaftierung der Person betroffen?

      2. Wie waren diese Menschen betroffen? (bezieht sich auf diejenigen, die durch die erste Frage als betroffen erkannt wurden)

      3. Was könnte getan werden, um den Schaden zu beheben?

      Die Teilnehmenden einer Versammlung reflektieren und diskutieren diese Fragen offen. Die Diskussion hilft allen, die Wahrnehmungen und Erfahrungen der anderen zu verstehen, was wiederum zu Empathie, Verständnis und Heilung beitragen kann. Wenn Einzelne diese Fragen gemeinsam erforschen, hilft das diesen Menschen, sich emotional und sozial miteinander zu verbinden.

      Als Nächstes befasst sich die Gruppe damit, wie der Einzelne seine Bedürfnisse nach einem gesetzeskonformen, gesunden Leben erfüllen will, und hilft ihm bei der Planung. Zu den Bedürfnissen gehören Wohnen, Arbeit oder finanzielle Bedürfnisse, Verkehrsmittel, Identifikation mit etwas/jemand, Erhaltung der körperlichen und emotionalen Gesundheit, Freizeitgestaltung sowie andere spezielle Bedürfnisse wie etwa rechtliche oder besondere Interessen, die angesprochen und geplant werden. Oft helfen die Unterstützer der Versammlung freiwillig mit, den Einzelnen bei der Erfüllung seiner Bedürfnisse zu unterstützen. Viele Familienmitglieder stellen sich zur Verfügung bei der Suche nach Arbeit, Transport und