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Die Kraft des Miteinander


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Fachkräfte lernen, gewaltlosen Widerstand gegen Fehlverhalten zu leisten.

      Das Schöne an gewaltlosem Widerstand? Er lässt das Kind nicht als besiegt zurück. Ganz im Gegenteil: Der Widerstand fördert beim Kind sogar die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und die Fertigkeit, konstruktive Lösungen zu suchen. Zahllose Beispiele belegen dies. Daher wird in der »Neuen Autorität« (Omer u. Streit 2016) immer wieder betont, dass es Widerstand, Ausgleich und Versöhnung anstatt Strafe braucht. Strafe mag manchmal in eng abgegrenzten Situationen sinnvoll sein, aber im Wesentlichen lässt die Strafe den Übeltäter als Besiegten und Entwürdigten zurück. Strafe bewirkt lediglich, dass man sich Verhaltensweisen aneignet, die nur dazu da sind, die Strafe zu vermeiden. Ähnlich verhält es sich mit Belohnung.

      Wie das obige Beispiel sehr schön zeigt, ist eine so dahingesagte Entschuldigung nur eines der Mittel, um einer wirklichen Auseinandersetzung zu entgehen. Die Wiedergutmachung hingegen geht einen Schritt weiter. Sie ist das Bindeglied zwischen Widerstandsaktionen, Kooperation und Deeskalation.

       Was ist Wiedergutmachung?

      Die zentrale Idee der Wiedergutmachung ist, dass, wenn durch das Verhalten einer Person einer Institution oder einer Gemeinschaft ein Leid zugefügt wird, dieses nicht durch erniedrigende Akte, sondern durch Akte der sozialen Interaktion wiedergutgemacht werden kann. Das Leiden wird also entschädigt, sei es durch die Abmilderung des Leidens selbst oder durch die Leistung eines Ausgleichs. Im Gegensatz zur Strafe wird über Akte der Wiedergutmachung der konstruktive Dialog weitergeführt.

       Welche Bedeutung hat Wiedergutmachung?

      Eine Wiedergutmachung kann nicht nur den durch Kränkung, Verletzung, Sachbeschädigung oder Beleidigung angerichteten Schaden beheben, sondern auch das Ansehen des Kindes in der Familie oder Klasse wiederherstellen. In der Regel wird sie durch die Erziehungspersonen oder andere Unterstützer angeregt, wobei das Kind auch selbst die Idee dazu haben kann.

      Die Grundcharakteristika der Wiedergutmachung sind im Folgenden beschrieben:

      •Bei einem Fehlverhalten des Kindes, wie z. B. den Eltern Geld stehlen, die Schwester schlagen oder jemanden im Internet mobben, wird damit nicht nur das unmittelbare »Opfer« geschädigt, sondern auch die gesamte Gemeinschaft. Damit ist hier die Familie, die Klasse usw. gemeint.

      •Wiedergutmachung ist ein Akt der sozialen Reintegration und des Aufeinanderzugehens.

      •Wiedergutmachung führt Menschen zusammen. Sie lässt niemanden vor der Tür stehen.

      •Wiedergutmachung ist keine Strafe! Sie stärkt das Kind, anstatt es zu demütigen. Die Toiletten zu putzen kann daher kaum eine Form der Wiedergutmachung sein, da eine solche Aufgabe den Keim einer Demütigung in sich trägt.

       Was braucht es zur Wiedergutmachung?

      Wiedergutmachung ist ein Prozess der Reintegration in die Gemeinschaft, an dem Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Betreuerinnen und Betreuer und das Kind oder der Jugendliche beteiligt sind. Folgende Grundvoraussetzungen gibt es:

      1. Es braucht eine wertschätzende Haltung zu dem Kind. Das bedeutet, das Kind so zu akzeptieren, wie es ist, seine Stärken zu erkennen und zu sehen, anstatt es durch die Linse des Versagens oder des Fehlverhaltens zu betrachten.

      2. Es braucht Erwachsene, die sich gegenseitig achten, unterstützen und bereit sind, sich zu vernetzen.

      3. Es braucht die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Deeskalation. Diese entsteht nicht automatisch, kann aber gemeinsam erlernt werden. Letztendlich braucht es auch Souveränität, um diese Wiedergutmachung durchführen zu lassen.

      Folgendes Beispiel zeigt, wie Wiedergutmachung ins Spiel gebracht werden kann.

      ELTERN Anton, du hast etwas von deiner Cousine gestohlen. Wir stehen zu dir, aber hier hast du Unrecht getan – und das nicht nur ihr gegenüber. Die Stimmung der Familie ist ebenfalls getrübt. Da nun Schaden entstanden ist, muss es auch eine Entschädigung geben.

      ANTON Aber ich habe mich doch entschuldigt! Mehr könnt ihr nicht verlangen.

      ELTERN Durch dein Verhalten ist etwas zu Bruch gegangen. Das muss auf jeden Fall wiedergutgemacht werden.

      ANTON Das mag schon sein, aber mir ist das egal. Ich habe mich schon entschuldigt.

      ELTERN Okay, aber du sollst wissen, dass wir nicht vergessen, dass noch eine Wiedergutmachung aussteht. Vielleicht wäre es gut, wenn du einen Vorschlag machst. Wir haben Zeit und warten auf deine Ideen.

      Nach einem solchen Gespräch können die Eltern einige Tage abwarten. Zu diesem Zeitpunkt kann auch der Unterstützerkreis hinzugezogen werden, den die Eltern aufgebaut haben. Eine Person, zu der das Kind einen guten Draht hat, bringt sich dann in den Prozess ein.

      In Antons Fall ist eine solche Person seine Tante.

      TANTE Ich habe gehört, was passiert ist. Deine Eltern haben vorgeschlagen, dass du Ideen für eine Wiedergutmachung anbietest, und darüber möchte ich gerne mit dir sprechen.

      ANTON Okay, aber ich verstehe das nicht ganz. Was meinen sie mit Wiedergutmachung?

      TANTE Überlegen wir doch gemeinsam, was als Wiedergutmachung für dich infrage kommen würde. Ein paar gute Ideen werden wir wohl zusammensammeln können. Der Vorschlag sollte sowohl mit deiner Würde vereinbar sein als auch deine Eltern zufriedenstellen.

      ANTON Aber warum? Ich sehe nicht ein, warum ich mir jetzt darüber Gedanken machen muss!

      TANTE Wenn du keine Vorschläge machst, werden deine Eltern sich etwas als Wiedergutmachung überlegen. Möglicherweise musst du dafür tief in die Tasche greifen, oder sie kürzen sogar dein Taschengeld. Aber ich bin mir sicher, dass, wenn du ihnen mit meiner Hilfe einen konstruktiven Vorschlag machst, sie ihn bestimmt annehmen werden. Ich werde dann auch versuchen, sie von deiner Idee zu überzeugen. Dann sind sowohl sie als auch ich zufrieden.

      ANTON Das klingt gut, aber ich verstehe noch immer nicht, was das Ganze mir bringt.

      TANTE Wenn du eine Wiedergutmachung vorschlägst, gehst du damit den ersten Schritt und zeigst, dass dir deine Familie wichtig ist und du dazugehören möchtest. Du verlierst nicht an Ansehen, sondern gewinnst welches.

      ANTON Na schön, das ist vielleicht wirklich nicht so schlecht. Aber wie soll ich das jetzt machen?

      TANTE Wie gesagt, ich bin gerne bereit, dir zu helfen. Wir können Möglichkeiten suchen, die auch für dich in Ordnung sind. Es geht hier nicht darum, wer der Boss ist! Du sollst einfach nur mit einer Geste deiner Cousine und deiner Familie zeigen, dass es dir nicht egal ist, was passiert ist.

      Der Wiedergutmachungsprozess bringt festgefahrene Situationen wieder in Gang. Anstelle des problematischen Verhaltens des Kindes stehen die Lösungsansätze im Vordergrund. Ein Vorteil der Wiedergutmachung ist, dass ein Kind einen solchen Vorschlag akzeptieren kann, eine demütigende Strafe hingegen nicht. Durch die Teilnahme an einer Wiedergutmachung erfährt das Kind bzw. der Jugendliche Würdigung. Es kann darauf stolz sein und sich als selbstwirksam erleben. Dies ist gerade im Kindergarten ein wirksames Instrument.

      Durch den gewaltlosen Widerstand und die Wiedergutmachung öffnen sich in problematischen Situationen neue Türen und während der Suche nach einer geeigneten Handlung entsteht Kontinuität. Die Anzahl an Möglichkeiten steigt und dadurch die Wahrscheinlichkeit für eine gute, konstruktive Lösung. Die Wiedergutmachung bezieht sich außerdem nicht nur auf den konkret angerichteten Schaden, sondern auch auf den Schaden, der in den Beziehungen zu anderen Personen entstanden ist. So kann das Kind wieder Verbundenheit und Zugehörigkeit zu seinem Umfeld – sei es die Familie, der Kindergarten oder die Schulklasse – erleben.