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Die Kraft des Miteinander


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die hier vorgestellten Ansätze, Verfahren und Methoden bereits in Kommunen, Schulbehörden, Jugendämtern und Kliniken praktiziert. Alle Autoren und Autorinnen sind Pioniere dieser Arbeitsweisen. Außerdem sind sie Teil eines internationalen Netzwerks, in dem diese innovativen und die Gemeinschaft stärkenden Herangehensweisen ständig weiterentwickelt werden. Ihre Vorgehensweisen sind dabei so altbewährt wie die afrikanische Weisheit, dass es ein ganzes Dorf braucht, damit sich Kinder gut entwickeln. Mit diesem Buch erhalten auch die Eltern Unterstützung. Diese Idee von Gemeinschaft ist indigenen oder auch stärker spirituell geprägten Kulturen schon immer vertraut. Daher finden sich auch in allen Beiträgen die »talking circles« wieder, eine Tradition indigener Kulturen, bei der sich eine Gemeinschaft im Kreis sitzend versammelt, um einander zuzuhören und zu besprechen, welche nächsten Schritte unternommen werden – sei es zur Unterstützung, zur Versöhnung oder zur Wiedergutmachung.

      Wir sehen im Bereich der Sozialarbeit, der Schule und der Psychotherapie einen Trend innovativer Ansätze im Umgang mit den psychosozialen Herausforderungen unserer Zeit. Die neue Herangehensweise zeigt sich darin, dass Fachleute weniger davon überzeugt sind, alleine das Mittel oder die Lösung für das Problem eines Einzelnen, einer Familie oder einer Schulklasse zu kennen oder zu finden. Stattdessen machen sie sich alle miteinander auf die Suche nach Zusammenhängen und Möglichkeiten, etwas zu verändern. Dieses Buch ist eine vielstimmige Sammlung von solchen das »Dorf« einbeziehenden Ansätzen und Methoden im Umgang mit Problemlagen unterschiedlichster Art. Gesprächsrunden, Versammlungen und Netzwerktreffen schaffen Kontexte, in denen alle in Bewegung kommen, um gemeinsam Entwicklung zu ermöglichen. Hier erleben alle, dass sie wichtig sind, und nicht selten gilt: »Ohne euch geht es nicht!«

      Als Fachleute haben wir gute Gründe, unseren Klienten diese Herangehensweise nicht nur zuzumuten, sondern auch zuzutrauen, statt sie im Glauben zu lassen, sie könnten uns die Verantwortung für ihre Entwicklung übergeben. Rat suchende Menschen trauen sich selbst oft weniger zu und glauben gleichzeitig, ein Experte wisse, was ihnen hilft. Aber das wissen wir nicht. Nicht zuletzt ist dieses Buch auch uns Fachkräften gewidmet, damit wir mutiger werden und uns üben, mehr im Dialog miteinander zu sein. Auch wir brauchen einander.

      Das Buch passt in unsere Zeit. Als Gegenbewegung zur Individualisierung von Lebensentwürfen beobachten wir, dass der soziale Zusammenhalt und sein unersetzbarer Beitrag für psychische Gesundheit in unseren Hilfesystemen wieder mehr Beachtung findet. Sie werden lesen, auf welche Weise Kommunen, Klinikverwaltungen und gesetzgebende Parlamente dafür strukturell die Voraussetzungen geschaffen haben. Während der Arbeit an diesem Buch erleben wir weltweit die Auswirkungen des COVID-19-Virus. Quarantänemaßnahmen, Versammlungsverbote und Kontaktbeschränkungen sind für diejenigen besonders leidvoll, denen dadurch soziale Begegnungen abhandenkommen. In den Ländern mit den härtesten Ausgangsbeschränkungen traten abends Menschen auf ihre Balkone, Nachbarn musizierten zusammen oder applaudierten als Dank für das, was andere für die Gemeinschaft leisteten. Dieses Buch handelt von der existenziellen Erfahrung für uns Menschen, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

      Es ist ein systemisches Buch und im selben Jahr geschrieben, in dem nun auch in Deutschland die Systemische Therapie und ihr Menschenbild zur Grundlage einer Heilbehandlung anerkannt wurden. In den Leitlinien heißt es sinngemäß: Systemische Therapie fokussiert den sozialen Kontext und gibt zwischenmenschlichen Beziehungen eine besondere Relevanz. Die aktuelle Wirksamkeitsforschung der allgemeinen Psychotherapie bestätigt sie darin. Auch deshalb ist jetzt die Zeit gekommen, den Ansätzen und Methoden Aufmerksamkeit zu verschaffen, die wie Leuchttürme Orientierung dafür sind, die Türen des kleinen Beratungs-, Therapie- oder Klassenzimmers zu öffnen, um wirksamere Lösungen in der ganz eigenen soziokulturellen Lebenswelt unserer Klienten zu finden und zu zeigen, wie das ganze »Dorf« in Bewegung kommt.

      Die Kraft des Miteinander ist ein Praxisbuch. Zur Veranschaulichung ihrer Vorgehensweise stellen alle Autoren und Autorinnen ihre Praxis anhand eines Fallbeispiels vor. Sie zeigen, wie sie es angehen, dass ein Wir-Gefühl entsteht und unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen zusammengearbeitet werden kann. Sie erzählen, wie ihre Ideen entstanden sind, wofür sich ihre Vorgehensweise eignet und was ihnen dadurch gelingt – häufig auch im Unterschied zu konventionellen Ansätzen und Methoden. Außerdem beziehen sich die Autoren in ihren Beiträgen aufeinander, um dem Buch selbst den Charakter eines Netzwerkes zu geben.

      So ein Netzwerk braucht viele Knotenpunkte, Verbindungen und einen Rahmen, der Halt gibt. Dafür danken wir dem Berliner Zentrum für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen (PUK) der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH. Nun hoffen wir, dass wir Sie zur Lektüre inspirieren konnten, und freuen uns auf den Dialog mit Ihnen, um voneinander lernen zu können.

       Christoph Klein und Ben Furman Berlin und Helsinki, im Januar 2021

       1Wiedergutmachung – Das Tor zu neuer Resonanz im Miteinander

       Philip Streit und Hanna Weber

      Wolfgang ist 24 Jahre alt, hat eine Behinderung und lebt in einer Einrichtung der Lebenshilfe. Auffällig ist, dass er sich wunderbar Dinge merken kann. Er prägt sich zum Beispiel eine ganze Einkaufsliste ein und bringt alle Artikel aus dem Supermarkt mit. Es fällt ihm jedoch sehr schwer, seine Impulse zu kontrollieren bzw. Regeln einzuhalten. Daneben hat Wolfgang noch einige spezielle Seiten, z. B., dass er sich nackt auszieht und auf die Hauptstraße stellt, wenn ihm etwas nicht passt. Oder dass man sich nicht sicher sein kann, ob er jemanden die Treppe hinunterschubst, wenn es nicht nach seinem Willen geht. Einmal wurde Wolfgang in eine neue Wohneinheit versetzt und begann dort lauthals die Betreuerin zu beschimpfen und zu attackieren: »Diese blöde Kuh mag ich nicht! Mit der will ich nicht arbeiten. Tut sie weg!«

      Dies treibt Betreuer und Betreuerinnen immer wieder an den Rand der Verzweiflung. Es fällt ihnen oft schwer, die guten Seiten von Wolfgang zu sehen. Wolfgang hat aber noch eine andere Eigenschaft. Er entschuldigt sich immer wortreich, auch bei mir: »Dr. Streit, ich tu es nie wieder. Ich werde das nie wieder machen!«

      Doch eines Tages sagte die Leiterin der Lebenshilfe zu ihm: »Lieber Wolfgang, jetzt ist es aber genug. Wir verlangen mehr von dir. Überleg dir, wie du den Schaden, den du bei den einzelnen Personen, aber auch bei uns als Verein angerichtet hast, wiedergutmachen kannst!« Wolfgang scheint das nicht zu verstehen, aber sein Herz tut es. Unterstützt durch eine Betreuerin macht er sich daran, für das nächste große Teamtreffen kunstvoll Brötchen in der Küche anzurichten. Er serviert diese am Beginn der Sitzung. Es sieht wunderbar aus. Bevor irgendwelche Worte des Dankes gesprochen werden können, will Wolfgang sich davonschleichen. Die Leiterin hält ihn jedoch auf, spricht Dankesworte und würdigt die außergewöhnliche Leistung, die Wolfgang vollbracht hat. Wolfgang blüht richtiggehend auf. Er ist stolz, wieder in der Gemeinschaft integriert zu sein und seine guten Seiten gezeigt zu haben.

      Dieses Beispiel zeigt deutlich die Idee der Wiedergutmachung, die eine der unverzichtbaren Eckpfeiler der »Non Violent Resistance«-Ansätze ist und im Deutschen unter der Bezeichnung »Neue Autorität« und »Gewaltloser Widerstand« bekannt wurde.

      In ihrem Beitrag für dieses Buch erzählen Tal Maimon und Idan Amiel, wie sie Lehrern und Lehrerinnen die Haltung der »Neuen Autorität« vermitteln, die es braucht, um Kinder beim Wiedergutmachungsprozess zu unterstützen (siehe S. 203). Dafür entwickelten sie das P. E. N.-Programm, das Lehrer die Grundhaltung des gewaltlosen Widerstands lehrt, um sie zur Handlungsfähigkeit zu ermächtigen. Die Abkürzung P. E. N. steht für die drei wichtigsten Dimensionen der »Neuen Autorität«:

      1. Präsenz betont die Wichtigkeit der Anwesenheit und Zugewandtheit der Lehrer im Leben der Schüler.

      2. Ermächtigung hilft Lehrern und Lehrerinnen, mit schwierigen Situationen im Klassenzimmer und mit auffälligen Schülern umzugehen. In dem Maße wie man den Handlungsspielraum der Fachkräfte erweitert, verbessert sich auch das Verhalten der Kinder.

      3. Der letzte Buchstabe steht für Netzwerk-Unterstützung oder, wie wir es in diesem Buch nennen, den Unterstützerkreis. Wenn in schwierigen Situationen ein handlungsunterstützendes Netzwerk zur Verfügung steht, bestärkt das