Najem Wali

Soad und das Militär


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der seine Lesung im Goethe-Institut Kairo aus Angst kurzfristig abgesagt hatte. Zunächst wohnte ich im Stadtzentrum in der Talaat-Harb-Straße und traf mich dort mit ein paar Freunden. Tagsüber fanden wir uns in der Innenstadt im Café Zahrat el-Bustan zusammen oder im Café Riche, zwei bekannten Treffpunkten für junge und ältere ägyptische Intellektuelle. Abends waren wir meist im Greek Club am Maidan Talaat Harb oder im Restaurant Le Grillon etwas trinken. Ich sah mir die Buchmesse in Nasr City an und spazierte durch Abbasiya, durch Dokki und Bab al-Louk, durch Azbakiya, Tawfikeya und Al-Hussain. Dann folgte mein Umzug ins Hotel Longchamps in Zamalek und die Lesung im Goethe-Institut mit anschließendem Abendessen im Restaurant Aperitivo. Die Lesung war gut besucht, die Präsentation meines neuen Romans ein Erfolg. Er handelt von der Freundschaft zweier Soldaten, eines Amerikaners und eines Irakers, die sich während des Kuwaitkrieges zufällig begegnen. Das Publikum zeigte sich an der Diskussion sehr interessiert, die sich hauptsächlich um die Rolle des Militärs im Allgemeinen drehte. Das Motiv meines Romans schien wie zugeschnitten auf die momentane Lage in Ägypten. Nur ein kleiner Teil der Besucher hielt sich mit Fragen zurück. Am nächsten Tag lud mich Mina Roxy Thomas zum Abendessen ins Hotel Windsor im Stadtzentrum ein, unweit des verkehrsreichen und belebten Maidan Ataba und doch recht abgelegen in einer Nebenstraße. Bei alledem war nichts geschehen, was ich unbedingt jemandem erzählen müsste. Selbst dass meine frühere Geliebte Kismet mich nicht hatte treffen wollen, obwohl wir uns während der gut sechs Jahre seit meinem letzten Aufenthalt in Kairo nicht mehr gesehen hatten – selbst diese Zurückweisung hatte nicht viel zu bedeuten. Dass eine Frau ihrem ehemaligen Freund ein Wiedersehen verweigert, kann einem in jeder beliebigen Stadt der Welt passieren.

      Als man mich eingeladen hatte, die Lesung im Goethe-Institut zu übernehmen, fühlte ich eine angenehme Erregung und war neugierig zu sehen, wie mich Kairo diesmal empfangen werde. Seit meinem letzten Besuch 2008 war, wie man so sagt, viel Wasser den Nil hinuntergeflossen. Die ersten drei jener sechs Jahre, die noch der Ära Mubarak angehörten, waren relativ ruhig verlaufen, doch in den drei Folgejahren, genauer vom 25. Januar 2011 bis hin zu meiner Reise, hatten sich die Ereignisse überstürzt. Die Revolution, der sogenannte Kairoer Frühling, war über die Stadt hereingebrochen, aufregend für die Jugend, die, wie es schien, bereit und verzweifelt genug war, den Protest als eine Art Action zu betrachten, mit der sie nachholen konnte, was ihr unter Mubarak verboten war. Ich hatte die Ereignisse über die Medien verfolgt, und jetzt, als ich die Stadt durchstreifte, war ich enttäuscht. Was nicht etwa daran lag, dass ich auf der Suche nach außergewöhnlichen Geschichten zur Revolution keine einzige starke gefunden hätte, nein, es lag an mir selbst. Von mir war ich enttäuscht, weil ich mich unbewusst meiner Angst überlassen hatte, als wäre ich ein Tourist, der der Warnung des deutschen Außenministeriums brav Folge leistete. Die Nächte in meinem Hotel im Stadtzentrum, jeweils etwa zweihundert Meter vom Maidan Tahrir und dem Maidan Talaat Harb entfernt, verbrachte ich größtenteils wach, auf jeden Schritt lauschend und stets die Tür im Auge. Nie werde ich den Moment vergessen, als ich wegen eines Geräusches hochschreckte, das ich für eine nahe Explosion gehalten hatte, dann aber auflachen musste, als ich ein paar Katzen fauchen hörte, die beim gemeinsamen Kampf aufs Blechdach des Nebengebäudes gesprungen waren. Auch ich übertreibe also, sagte ich mir, genau wie jene Journalisten, die von der »spürbaren Gefahr und Anspannung« geschrieben hatten, die sie in den Straßen wahrnahmen. Das gestand ich dann auch am nächsten Abend meinem koptischen Freund Mina Roxy Thomas, der mit zwei Bekannten im Restaurant des Windsor auf mich wartete. Der eine von ihnen, ein britischer Mittdreißiger namens Samuel Horokis, arbeitete in einem Städtebauunternehmen. Die andere, Irina, war gerade dreißig geworden und russischer Abstammung, besaß jedoch die französische Staatsbürgerschaft. Sie arbeitete damals für eine christliche Organisation, die sich Asmaa nannte, was »Namen« bedeutet, und Familien frühgeborener Kinder fachlichen Rat und pädagogische Betreuung anbot. Ich sei selbst überrascht, wie sehr ich mich von den Übertreibungen, mit denen die Medien die Situation in Ägypten und speziell in Kairo schilderten, hätte beeinflussen lassen, erklärte ich den dreien offenherzig. »Deine Reise ist ja noch nicht zu Ende, warte mal ab!«, sagte Mina Roxy Thomas daraufhin. Ich wusste nicht, ob dieser Satz als Kommentar oder Warnung gedacht war. Doch als Mina mir an der Kreuzung Mohammed-Bek-Al-Alfi und Zakareya-Ahmed zum Abschied die Hand reichte, um anschließend in Richtung Orabystraße zu verschwinden, wiederholte er seine Aussage. Kaum aber hatte ich die Saraya-al-Azbakiya-Straße mit ihren zahlreichen Cafés und Restaurants hinter mir gelassen, um auf die Straße des 26. Juli zuzugehen, geschah, was alle meine bisherigen Überlegungen zu der Reise über den Haufen warf. Ich hörte hinter mir Schritte.

      Zunächst vermutete ich, zu viel getrunken zu haben, und hielt diese Schritte, die auf dem Weg quer durch die sich auf beiden Straßenseiten drängenden fliegenden Händler ihren Rhythmus dem meinen anzupassen suchten, für die eines jener Touristenjäger, die in den späten Abendstunden immer unterwegs waren. Doch waren solche Leute für gewöhnlich nicht eher an Frauen interessiert? Hatte sich Irina nicht eben noch über derartige Belästigungen beklagt und Mina Roxy Thomas gebeten, ihr ein paar ägyptische Schimpfwörter auf einen Pappkarton zu schreiben, den sie bei Bedarf ihren Nachstellern unter die Nase halten wollte? Obwohl doch niemand von diesem mageren, scheuen und höflichen jungen Mann verlangen konnte, irgendwelche Schimpfwörter niederzuschreiben! Dies und Ähnliches schoss mir nun durch den Kopf. Auf jeden Fall fragte ich mich, ob diese Schritte, die mich zu verfolgen schienen, nicht einfach von einem der Tausenden von Marktbesuchern stammen mochten, auch wenn das rhythmische Geräusch auf dem Gehsteig gutes Schuhwerk verriet. Aber warum sollte dessen Besitzer nicht etwa ein wohlhabender Ägypter sein? Und warum sollte der nicht auch, genau wie ich, Richtung Maidan Falaki in Bab al-Louk gehen, um seinen Abend in einem Café zu beschließen, zum Beispiel im El Horryia, das spätabends immer rappelvoll war?

      Natürlich dachte ich darüber nach, mich umzudrehen und einen Blick auf die Person zu werfen, die ihre Schritte den meinen rhythmisch anglich. Beinahe hätte ich meinen Gang beschleunigt, wäre ich mir nicht lächerlich vorgekommen. »So weit ist es also schon gekommen mit deinen Halluzinationen!«, dachte ich. Als sich die Schritte aber nun regelrecht an meine Fersen hefteten und ich die Geräusche der fremden von denen meiner eigenen Schuhe kaum mehr unterscheiden konnte, hörte ich plötzlich eine Stimme, die mir vertraut erscheinen wollte, deren Besitzer ich aber nicht sogleich identifizieren konnte, etwas in mein Ohr flüstern. Ich war also nicht betrunken, es ging tatsächlich um mich, und dieser Mann forderte mich nun auf, links in die nächste Gasse einzubiegen! Wie seltsam, dachte ich mir. Und hätte ich mich nicht an die Stimme erinnert, wäre ich wahrscheinlich losgerannt oder hätte um Hilfe gerufen. Zumindest aber wäre ich seiner Aufforderung, ihm einfach zu folgen, gewiss nicht nachgekommen. Dank einer schwach glimmenden Laterne, die in jener engen Gasse brannte, konnte ich Gesicht und Statur des Mannes genauer in Augenschein nehmen und fand mich in meiner Vermutung bestätigt.

      Es war Simon Syros, der mysteriöse Amerikaner, wie er bei all seinen Bekannten hieß. Ich hingegen hatte damals, als wir uns kennengelernt hatten, nichts Mysteriöses an ihm gefunden und ihn auch nie so genannt.

      Ja, Simon und kein anderer stand in jener Nacht vor mir. Weder der Mantel, den er trug und der in Wahrheit einem Dschilbab ähnelte, noch der um seinen Hals geschlungene braune Schal, weder die dunkle Brille, noch die gestreifte Kappe auf seinem Kopf, die mich an ägyptische Schwarz-Weiß-Filme aus den Sechzigerjahren denken ließ, ja, nicht einmal der Bart, den er sich hatte stehen lassen, noch seine leicht verstellte Stimme – alles in allem, wie ich bald erfahren sollte, Versuche einer Tarnung – hatten mich daran gehindert, ihn wiederzuerkennen.

      Ein paar Sekunden verharrten wir in jener kleinen Gasse. Wir umarmten einander, schließlich hatten wir uns gut dreizehn Jahre nicht gesehen. Allerdings vollkommen geräuschlos. Wer uns dort hätte stehen sehen, hätte sich gewundert, dass wir, anders als üblich, keinerlei Überschwang der Wiedersehensfreude zeigten. Simon flüsterte mir nur ins Ohr, dass er sich nicht länger in der Gegend aufhalten könne und dass wir besser seine Unterkunft aufsuchen sollten. Bevor ich, in der Annahme, er wohne noch immer in Zamalek, erwidern konnte, dass wir uns doch ein Taxi nehmen sollten, gebot er mir mit dem Zeigefinger zu schweigen. Dann zog er mich mit sich fort.

      Wir ließen erst eine Gasse hinter uns, dann die nächste, bogen in zwei weitere ab, hier links, hier rechts, wieder rechts und wieder links, immer weiter durch die Nacht. Er ging schnell, zügig, zielstrebig, während ich mich an seiner