Najem Wali

Soad und das Militär


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Frage vernahm, eine Bemerkung fallen: »Vielleicht arbeitet er ja heute bei Gott.« Hätte Kismet mir daraufhin nicht versichert, es sei dies nicht das erste Mal, dass Simon verschwunden war, hätte ich die Polizei gerufen oder gleich die amerikanische Botschaft alarmiert. Kismet hatte damals seit zwei oder drei Jahren schon an manchen Abenden mit der Band gesungen, wie sie mir sagte, und sie und ihre Musiker waren mindestens zweimal von Simons Abwesenheit überrascht worden: »Ganz plötzlich war er verschwunden, ohne ein Wort zu sagen!« Und jedes Mal hatte Simon tags darauf eine knappe Nachricht hinterlassen, dass er in ein paar Wochen zurück sei, wobei er auch nach seiner jeweiligen Rückkehr keinen überzeugenden Grund für sein plötzliches Verschwinden genannt hatte. Als Entschuldigung musste stets das Wörterbuch herhalten, an dem er seit Jahren arbeitete. Es habe ihn, so Kismet, gezwungen, hin und wieder zu verreisen. »So ist es halt mit ihm, er kommt und geht, wie er will«, seufzte sie. Wenn ich mich dann, bei meinen weiteren Kairo-Reisen, nach ihm erkundigte, machte sie nie einen Hehl aus ihrer Verwunderung über sein Benehmen. Ich erinnere mich noch an eine ihrer Bemerkungen, die mir lange in den Ohren nachklang und mich vorsichtig hatte werden lassen, vor allem, da die Beziehung zwischen ihr und mir gerade in eine kritische Phase getreten war: »Frag nicht nach ihm, sonst heißt es noch, du bist ein amerikanischer Spion!«

      Und jetzt, nach all den Jahren, sah ich ihn wieder, Simon, den mysteriösen Amerikaner! Er hatte den Geschichten anderer gelauscht, nie jedoch etwas von sich selbst preisgegeben. Vielleicht lag darin der Grund, dass man ihn den mysteriösen Amerikaner nannte. Ich hätte ihn damals höchstens »Simon, den Dandy« genannt, da er stets einen weißen Anzug trug, ein weißes Hemd, ein weißes Einstecktuch und rote, auf Hochglanz polierte italienische Schuhe, und weil er nie, auch an den heißesten Sommertagen nicht, ohne eine entsprechend elegante Krawatte zu sehen war.

      Mir war es, was er auch wusste, nie verdächtig vorgekommen, dass er neben seiner Tätigkeit als Verfasser eines Wörterbuchs noch weitere Berufe ausübte. Es hatte damals geheißen, er habe im Café Riche mit Leuten zusammengesessen, die in Nagib Mahfus’ Romanen Harafisch genannt werden, womit jene Clique gemeint ist, zu der Schauspieler, Dichter, Künstler, Ex-Militärs und andere zählten, die sich in ihren Freiheiten nicht beschränken lassen wollten. Was mich betraf, so fand ich sein Verhalten manchmal ein wenig sonderbar, weiter ging ich in meinen Interpretationen nicht. Als hätte ich auf diesen heutigen Moment gewartet, als hätte ich damals schon gewusst, dass der uns bekannte Simon, der anderen immer zugehört und die Menschen, die er kennenlernte, immer voller Neugier darum gebeten hatte, ihre Seelen vor ihm auszubreiten, eines Tages selbst an der Reihe sein würde, von sich zu erzählen.

      Ich fragte ihn nicht, wo er all die Jahre gewesen sei, da ich ahnte, dass er mich gesucht und gefunden hatte, um es mir mitzuteilen.

      »Tut mir leid, dass du in solch einer Lage bist«, meinte ich mit einem Seitenblick auf einige verstreut auf seinem Bett liegende ägyptische Zeitschriften. Was wohl eine Verlegenheitsbemerkung meinerseits war, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, und fürchtete, dass unsere Blicke sich kreuzen könnten. Damit er den Satz nicht als Mitleidsbekundung verstand und sich ganz gegen meine Absicht gedemütigt fühlte, fügte ich hinzu: »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dich nach all diesen Jahren wiederzusehen!«

      Wohl weil er nicht wollte, dass ich mich von den Schlagzeilen der offen daliegenden Zeitschriften ablenken ließ, die über die Öffnung und Durchsuchung des Grabes einer bekannten Schauspielerin berichteten und den Diebstahl eines einzigartigen Gemäldes aus einer Londoner Galerie erwähnten, sammelte er sie rasch ein und legte sie auf die kleine Kommode neben dem Bett. Doch statt ihn zu fragen, seit wann er denn Boulevardmagazine und Promiklatsch lese, musste ich plötzlich laut auflachen. Als er mich daraufhin erstaunt anblickte, wies ich darauf hin, dass er in seinen Kleidern wie ein oberägyptischer Bawwab aussah.

      »Besser gesagt wie ein Bettler«, lachte er nun seinerseits und legte Mantel und Kopfbedeckung ab, sodass sein blondes Haar zum Vorschein kam. In mein Sichtfeld geriet auch eine kleine Pistole, die er wie die Geheimagenten im Film unter der Achsel trug. Es störte ihn offensichtlich nicht, dass ich die Waffe sah, vielmehr nahm er sie aus dem Holster und legte sie wie selbstverständlich aufs Bett. Anschließend entnahm er einem Schränkchen, das unter dem Kocher stand, eine Flasche Johnnie Walker Black Label, goss uns davon zwei Gläser ein, reichte mir eines und stieß mit mir an.

      »Wie in alten Zeiten!«, sagte er charmant, als wolle er mir zu verstehen geben, trotz seiner Lage von seinem Leichtsinn nichts verloren und unsere Freundschaft nicht vergessen zu haben. »Nur ohne Eis«, fügte er noch lächelnd hinzu, und spielte damit auf den Scotch an, mein bevorzugtes Getränk, das er damals in seiner Wohnung gern für mich bereitgehalten hatte.

      Simon allerdings begnügte sich nicht mit einem einzigen Glas, sondern schenkte uns immer wieder nach, bevor wir überhaupt ausgetrunken hatten. Als Trinker kannte ich ihn nicht. Früher, in der Bar Arabesque, hatte er gern Rotwein bestellt, nur in seiner Wohnung in Zamalek hatte er, mir zuliebe, meist Whisky getrunken. Ich hatte plötzlich wieder seine kleine Bar mit ihren diversen Getränken vor Augen, die kaum angerührt waren. Damals hatte er das mit der Erklärung kommentiert, Amerikaner und Engländer würden sich solche Flaschen als Anlass für ein Gespräch hinstellen, um über die Art der Getränke zu reden, ihre Jahrgänge und wo man sie erstanden hat. Er hatte nie ein besonderes Faible für Whisky oder andere harte Getränke, für Wein aber schon. Und jetzt? Jetzt trank er seinen Whisky wie Wasser. Eine gute halbe Stunde lang kippte er ein Glas nach dem anderen in sich hinein, während ich noch immer bei meinem zweiten war. Erst nach seinem fünften Glas offenbarte er mir, worum es ging.

      »Ich bin in Gefahr, mein Lieber«, sagte er ganz unvermittelt. Der Anflug von Trauer, der in seiner Stimme mitschwang, spiegelte sich auch in seinen Zügen wider. »Ich kenne außer dir niemanden, der mir noch helfen kann«, sagte er dann sehr leise. »Dass ich dich getroffen habe, ist ein Geschenk des Himmels.«

      »Wie hast du mich überhaupt gefunden?«, fragte ich, während er mir mein nicht einmal halbleeres Glas wieder füllte. Er blickte mich an. Einen Moment lang glaubte ich in seinen Augen jenen Menschen zu erkennen, den ich von früher her kannte: den Klarinettisten und Lebenskünstler Simon Syros.

      »Ich habe im Internet von deiner Lesung erfahren«, sagte er und schenkte sich das nächste Glas ein. Er habe dann, so führte er aus, mehrere Tage auf die Gelegenheit gewartet, allein mit mir zu sprechen. Genau gegenüber dem Goethe-Institut habe er im Café Zahrat al-Bustan gesessen und auf das Ende der Veranstaltung gewartet, schließlich sei er uns mit einem Taxi gefolgt, bis wir ausstiegen und ins Restaurant Aperitivo gingen. Dabei habe er an ein dreizehn Jahre zurückliegendes Treffen mit mir im selben Gebäude denken müssen, das jedoch nicht im Aperitivo stattgefunden hatte, sondern in der Bar La Bodega, im selben Stockwerk gegenüber, einer Bar, die seit geraumer Zeit renoviert wurde. Er wusste, dass das Goethe-Institut seine Gäste im Hotel Longchamps unterbrachte, und er wusste auch, dass ich das Hotel nicht vor zehn Uhr morgens, wenn die Frühstückszeit endete, verlassen würde. Seit zwei Tagen war er mir auf Schritt und Tritt gefolgt, ohne dass ich ihn bemerkt hätte. Die beste Gelegenheit hatte sich für ihn an diesem Abend ergeben, im Gewimmel des belebten Marktes, inmitten der fliegenden Händler, im wirren Netz der engen Gassen. Auf meine Frage, warum er nicht zu meiner Lesung gekommen sei, lächelte er über meine »Naivität«, wie er es nannte, und fragte zurück: »Wie hätte ich das tun können, wo allein an diesem Abend drei Geheimagenten anwesend waren: einer von der Nationalen Sicherheit, ein zweiter vom Militärnachrichtendienst und ein dritter von der Geheimpolizei.« Und das habe auch für das Café Zahrat al-Bustan gegolten, für das Restaurant Estoril, ja selbst für die Stella Bar beziehungsweise den »Sumpf«, wie einige Literaten sie nennen, ganz zu schweigen vom Le Grillon, dem Treffpunkt zahlreicher Künstler, Autoren und Intellektueller.

      »Du kennst diese Typen nicht«, sagte er, »aber glaube mir, ich kenne sie genau.«

      Wir schwiegen eine Weile. Als die Flasche leer war, stand Simon auf und ging wieder zu dem Schränkchen. Anders als ich vermutet hatte, entnahm er ihm aber keine weitere Flasche, sondern ein Päckchen, das sorgfältig in violettes Papier eingeschlagen und mit einem schwarzen Band umwickelt war.

      »Nimm das, du weißt, was mit diesen Aufzeichnungen zu tun ist«, sagte er, und streckte mir das Päckchen entgegen. »Wenn du sie gelesen hast, wirst