Najem Wali

Soad und das Militär


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und warf sie in einen kleinen Abfallbeutel. Dann sah er mich an und sagte: »Jetzt musst du gehen, sonst wird es zu spät. In Gegenden wie dieser hier ist es nachts gefährlich. Es ist anders als früher. Falls du bemerkst, dass dir jemand folgt, nimm ein Taxi und verschwinde nach Zamalek!«

      »Heißt das, wir sehen uns nicht wieder?«, fragte ich verunsichert.

      »Das hängt von dir ab«, entgegnete er und sah mich an, als wolle er sich meiner alten Neugier vergewissern. Auf meine vielleicht von Verwunderung oder aber auch von Stolz über das mir entgegengebrachte Vertrauen gezeichnete Frage, warum eine weitere Begegnung nur von mir abhing, wo ich doch in drei Tagen abreisen wollte, sagte er schlicht: »Mach dir keine Sorgen!«, und wiederholte dann noch einmal, dass es »ein Geschenk des Himmels« für ihn sei, mich gefunden zu haben. Seine Augen ruhten noch immer auf mir, und dann, nach einer kurzen Pause, setzte er hinzu: »In drei Tagen werde ich abends um sieben Uhr im Café El Horryia auf dich warten, natürlich in der Hoffnung, dass dein Flug erst spät geht.«

      »Sehr spät sogar, um halb drei nachts«, log ich.

      »Wunderbar!« – er lächelte mich an und zitierte anschließend einen meiner klassischen Lieblingsdichter, Tarafa ibn al-Abd: »Die Tage werden dir sagen, wovon du nichts wusstest.»

      Und damit schloss er unsere Unterhaltung, ganz so, als verstünde es sich von selbst, dass ihm, jetzt, da ich im Besitz des Päckchens war, keine Gefahr mehr drohte. Als ich Simon am Ende des langen dunklen Flurs vor seiner Tür umarmte, hatte ich den merkwürdigen Eindruck, dass er nicht mehr die Züge eines leichtsinnigen Kindes besaß, die ich früher an ihm gekannt hatte. Das Leuchten in seinen grünen Augen war erloschen. Er war gealtert, Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Seine Art, mich zu umarmen, das Zittern seiner Hände, als er nach der Pistole gegriffen hatte, um sie wieder unter seine Achsel zu schieben, bevor wir uns schließlich verabschiedeten, weckten in mir die Gewissheit, von ihm tatsächlich eine Geschichte zu erfahren, und mir war plötzlich klar, dass ich nichts anderes zu tun hatte, als ihm zuzuhören. Kairo hatte sich verändert, und Simon Syros auch!

      1

      ZUM ERSTEN MAL hatte ich Simon Syros Ende der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts während meines zweiten, für sechs Monate geplanten Aufenthalts in Kairo getroffen. Kurz zuvor, drei Wochen nach meiner Ankunft, hatte ich Kismet kennengelernt, was mich schließlich dazu bewog, meinen Aufenthalt um mehr als ein Jahr zu verlängern. Nie zuvor war es mir in den Sinn gekommen, eine Beziehung zu einer arabischen Frau einzugehen, geschweige denn zu einer verheirateten! Kismet und ihr Mann lebten in Helwan, einer Stadt unweit von Kairo. Hin und wieder besuchten die beiden das Restaurant Le Grillon im Zentrum. Als ich Kismet, die ganz natürlich als schöne dreißigjährige Frau im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Tischnachbarn stand, dort zum ersten Mal sah, dachte ich noch, sie und ihr Mann hätten zufällig am gleichen Tisch Platz genommen, an dem auch ich gemeinsam mit ein paar ägyptischen Bekannten saß. Dass Kismet unbedingt darauf bestand, neben mir Platz nehmen zu wollen, hielt ich, ein Fremder und der einzige Nichtägypter in der Runde, zunächst für eine Form des Respekts und der Gastfreundschaft. Später jedoch, wir hatten inzwischen zusammengefunden, gestand sie mir, es sei für sie Liebe auf den ersten Blick gewesen, sie habe mich schon beim Betreten des Restaurants erspäht und zu ihrem Mann gesagt: »Wir müssen uns an diesen Tisch setzen!« Und dies, obgleich die beiden mit einem Sänger verabredet waren, der sich mit einer Stunde Verspätung noch zu uns gesellte. Damals war es mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass wir uns ineinander verlieben und eine Beziehung eingehen könnten, wie sie dann, mit all ihrer Sinnlichkeit, Zuneigung und Leidenschaft, über mehrere Jahre Bestand haben sollte. Ich sah Kismet nur selten an, und wenn sich mir die Gelegenheit bot, sprach ich mit ihr. Ja, ich beneidete ihren Ehemann Mamduh um diese schöne Frau, und mir fiel auf, dass Kismet die Männer an unserem Tisch faszinierte: Jede Bemerkung, jedes Lächeln, jeder Blick, alles zielte auf sie. Und sie war zu allen freundlich, blieb aber auf charmante Weise distanziert, und damit erinnerte sie mich an jenen Typ Frauen, der selbst bestimmt, von wem sie begehrt werden wollen. Etwas Ähnliches habe ich wohl, wenn auch nur dunkel, an jenem Abend gespürt, als Kismet neben mir Platz genommen hatte. Dass ich wegen einer Recherche über Tabus in der Literatur nach Kairo gekommen war und mich noch etwas länger hier aufhalten wollte, griff sie als Gelegenheit auf, mich wiederzusehen. Sie wollte mir, wie sie sagte, eine interessante Persönlichkeit vorstellen und schlug mir vor, doch Ende der Woche im Restaurant Arabesque zu einem Konzert zu kommen.

      Mir war nicht klar, dass Kismet, die an einem Mädchengymnasium unterrichtete, hin und wieder in vornehmen Restaurants als Sängerin auftrat. Die meisten Ägypter mussten sich wegen der niedrigen Gehälter etwas hinzuverdienen, und Kismet hatte eine schöne Stimme. Die Band, mit der sie auftrat, spielte »niveauvolle, moderne« Lieder und bestand aus drei Musikern »aus aller Welt«. Der erste, ein Nigerianer, spielte Riq, der zweite, ein Spanier, Gitarre, und der dritte, ein Amerikaner, ein »netter junger Mann namens Simon Syros«, Klarinette. »Der wird dir gefallen.« Und »der« war auch derjenige, den sie mir vorstellen wollte. »Ein Sprachforscher wie du«, meinte sie. »Jung« war Simon Syros damals allerdings schon nicht mehr. Er hatte wenige Wochen zuvor seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert. Doch wenn man ihn traf und mit ihm sprach, versprühte er eine gewisse Jugendlichkeit. Er ähnelte, wie man bei uns sagt, einem jungen Mann, der die Welt auf die leichte Schulter nimmt. Er war, dies erfuhr ich gleich an unserem ersten Abend nach dem Konzert im Arabesque, Linguist und hatte zahlreiche Sprachen studiert, darunter Arabisch. Hier in Kairo wollte er einen Traum verwirklichen, auf den er seit Jahren hingearbeitet hatte: die Herausgabe eines Weltwörterbuches.

      Damit war mein Interesse an ihm geweckt, und so fragte ich nach, für welches Fachgebiet dieses Wörterbuch denn sein sollte und was er mit »Welt« meinte. Es gehe, so erläuterte er mir, um die Sprache von Soldaten aus verschiedenen Ländern, um deren Übereinstimmungen und Abweichungen. Genauer erklärte er sich nicht. Er sprach an diesem Abend nur von einem »großen Vorhaben«. Ich drang diesbezüglich auch nicht weiter in ihn, mir reichte das zarte Gefühl der Freundschaft, das uns vom ersten Moment an verband, und zwar nicht allein wegen unseres gemeinsamen Interesses an Sprachen, wie Kismet vermutet hatte.

      Nach jenem ersten Konzert saß ich häufig als Gast im Arabesque und hörte der Band zu, und anders als seine beiden Kollegen, die nach ihrem Auftritt meist weiterzogen, um in der Al-Haram-Straße zu spielen oder nach Alexandria zu fahren, wo sie bei Tagesanbruch in einer der dortigen Bars musizierten, leistete Simon Kismet und mir dann gerne noch Gesellschaft. Hin und wieder verließen wir das Restaurant auch gemeinsam, um den Abend woanders fortzusetzen. Manchmal gingen wir in seine Wohnung in Zamalek, jenem eleganten, von reichen Ägyptern, Europäern und Amerikanern bewohnten Viertel, das wegen seines Flairs und der vielen luxuriösen Bars und Restaurants berühmt ist, seltener auch in meine Wohnung in Dokki, einer populären Gegend, bekannt für ihre einfachen, aber schönen Märkte.

      Während unserer jahrelangen Freundschaft kam Simon kein einziges abschätziges Wort zu meiner Beziehung mit Kismet über die Lippen. Im Gegenteil, er warnte uns manchmal, wenn er vom Besitzer des Arabesque erfahren hatte, dass ihr Mann dort auftauchen würde. Einmal äußerte er sich mir gegenüber mit der Bemerkung, Mamduh trete in die Fußstapfen des Pelzhändlers aus Lawrence Durells berühmtem Roman Das Alexandria-Quartett. Als ich ihn fragte, worauf er anspiele, sagte er leichthin: »Nun, er macht es wie dieser und läuft vor lauter Eifersucht mit einer Pistole hinter dir her. Aber sei beruhigt, denn es gibt da noch eine Übereinstimmung: Die Pistole ist nicht geladen!«

      Kaum war ich aus der Tür des Hotels Layali al-Qahira getreten, ging ich durch die Straßen und Gassen als trüge ich eine Zeitbombe unterm Arm. Ganz zu schweigen von der angstvollen Vorahnung, die mich auf Schritt und Tritt verfolgte, man könne mich aufhalten und festnehmen, von der Angst, in eine Geschichte hineingezogen zu werden, deren Folgen ich nicht absehen konnte, von der Angst, in die Fänge von Häschern zu geraten, deren Ziel ich aus einem anderen Land nur allzu gut kannte, einem Land, das ich längst hinter mir gelassen habe, und diese Angst, sie ließ mich selbst dann nicht los, als ich in Bab al-Louk in ein Taxi stieg. Und während ich den Fahrer bat, doch loszufahren und mich nach Zamalek ins Hotel Longchamps zu bringen, starrte ich ihn an, als vermutete ich in ihm einen jener Hintermänner der Macht, die möglicherweise in dieser Nacht meine Verfolgung