Gerda Graf

Im Dialog mit Sterbenden


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Themen, die sehr häufig mit einem Tabu belegt sind.

      Was aber „machen” Menschen, die sich freiwillig – ob professionell oder ehrenamtlich – an das Sterbebett setzen, um Schwerstkranke und Angehörige zu trösten, mit ihnen zu weinen oder einfach nur zuzuhören?

      Sie begleiten Sterbende in der letzten Phase ihres Lebens, erleben hautnah den Kampf gegen Schmerzen, Ängste, Verzweiflung, aber auch Hoffnungen und letzte wirkliche Botschaften.

      All dies auszuhalten wird nicht dadurch einfacher, dass ein Hospizhelfer, Arzt, eine Krankenschwester, Angehörige die Grundlagen der Kommunikation beherrschen.

      „Was den existenziellen Grund eines Menschen berührt”, so schreibt Martin Weber (2000), „muss belastend, muss schwierig bleiben” (S. 34), „und doch kann es befriedigender sein als das Gelingen einer komplizierten Operation“.

       Kommunikative Kompetenz

      Hierzu bedarf es kommunikativer Kompetenz. Ein gelingendes Gespräch wird sich dabei nicht auf bloße „Gesprächstechnik” reduzieren lassen, sondern der Schwerstkranke wird – günstigenfalls – erleben, ob er ein echtes Interesse, eine tatsächliche Wertschätzung seiner Person erfährt und spürt.

      Helene Mayer (2001), die Vorsitzende der österreichischen IGSL, Internationale Gesellschaft für Sterbebegleitung & Lebensbeistand, betont in ihrem Editorial die Bedeutung und Überlegenheit der nonverbalen Kommunikation im Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden.

      Die Bedeutung nonverbaler Kommunikation

      Gerade hier geschieht das Senden einer Nachricht sehr häufig – oft wegen des Fehlens anderer Möglichkeiten der Übermittelung – durch Blickkontakt, aber auch Lächeln, Gesten, veränderte (etwa plötzlich distanzierte) Körperhaltung usw.

      Ob den schwerstkranken Menschen jemand anlächelt, anstarrt, weint, führt sehr häufig zu spontaner Reaktion – mehr oder weniger ausgeprägt auf allen vier Ebenen einer Nachricht.

      Mayer (2001, S. 3) versucht durch ein kleines Fallbeispiel einiges zu verdeutlichen:

       „Rote Schuhe“

      „Als Angela im Krankenhaus lag, weil ihr der Blinddarm entfernt werden musste, wurde zwei Tage später eine junge Patientin zu ihr ins Zimmer gelegt, der bei einem schweren Verkehrsunfall beide Beine gebrochen worden waren. Diese Patientin war überzeugt davon, dass sie nie wieder würde laufen können. Sie war unglücklich, unwillig und launisch. Kaum ein freundliches Wort war den ganzen Tag über von ihr zu hören. Sie weinte oder schlief den ganzen Tag. Nur morgens, wenn die Post kam, schien sie ihrer Umwelt etwas freundlicher gesonnen. Doch trotz aller Geschenke blieb sie traurig und unglücklich. Eines Tages erhielt sie ein größeres Päckchen von ihrer Tante, die weit entfernt wohnte. Als die junge Patientin das Paket geöffnet hatte, fand sie ein wunderschönes Paar roter Schuhe mit kleinen Absätzen.

      Die Krankenschwester murmelte etwas von „Leuten, die überhaupt kein Feingefühl hätten …“, und räumte die Verpackung weg. Doch die Patientin schien sie gar nicht gehört zu haben. Sie steckte die Hände in die Schuhe und ging mit ihnen auf der Bettdecke spazieren. Ab diesem Tag änderte sie ihr Verhalten. Sie nahm die Anweisungen der Krankenschwester bereitwillig an, und bald schon konnte die Therapie intensiviert werden.

      Eines Tages sah Angela zufällig ihre ehemalige Zimmernachbarin, wie sie lachend mit einer Freundin in eine Eisdiele ging; an den Füßen trug sie rote Schuhe mit kleinen Absätzen.”

       Das Hygieneund Distanzgebot gilt heute als Unfug

      War es vor zehn bis zwanzig Jahren noch der Pflegekraft / dem Arzt „verboten”, sich auf oder nah an das Bett eines Patienten zu setzen (etwa um seinen Arm, seine Stirn zu streicheln, seinen Kopf an sich zu drücken) – und dies geschah häufig unter dem Aspekt der Hygiene oder des Distanzgebots –, so gilt dies heute als Unfug.

      Denn sehr viele Patienten versuchen durch nonverbale Kommunikation ihre Ängste, Hilflosigkeit, Trauer, Aggression und Schmerz auszudrücken und sollten in diesem Bedürfnis nicht allein gelassen werden, denn nonverbale Botschaften sind der Sprache überlegen.

       Medizinische Information

      Stellen Sie sich vor, Sie beteuern vielfach – etwa als Krankenschwester, Arzt, Sozialpädagogin: „Sie brauchen vor der OP keine Angst zu haben; dies ist nur ein kleiner, unbedeutender Eingriff. Dr. M. hat den schon hundertfach durchgeführt. Die Misserfolgsquote liegt nur bei 0,5 %….”

      Was bedeutet das für sehr viele Patienten – nach dieser doch sachlich vorgetragenen Information? „Ich bin bei diesen 0,5 %…!” Neben diese (notwendige) medizinische Information sollte die nonverbale Kommunikation treten.

       Eine andere Qualität

      Bevor die Pflegekraft, der Arzt oder andere vielfach beteuern: „Sie brauchen keine Angst zu haben” u.s.w., erhält das „In-den-Arm-nehmen”, den „Patienten an sich drücken” eine völlig andere Qualität, selbstverständlich nur, wenn die Beziehung zwischen beiden dies hergibt und wenn die Patienten dieses Bedürfnis auch (nonverbal) ausdrücken.

      Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe kommt bei Schwerstkranken erst gar nicht auf, wenn sie ein verlässliches Gefühl dafür entwickeln können, dass ihre körperlichen Schmerzen mit modernsten Methoden zuverlässig gelindert und ihre begleitenden (seelischen) Schmerzen durch entsprechende Betreuung und psychosoziale Unterstützung begleitet werden. Nonverbale Anteile – gerade auch in der professionellen Arbeit – können hierbei einen unschätzbaren Anteil beitragen.

      Letztendlich muss der „Hospizler”, der „Profi” rüberbringen:

      „Mich interessierst du. Ich verstehe, warum du so fühlst, dich so verhältst. Du interessiert mich als Person….”

       Der Wert des Zuhörers

      Fazit: Er ist ein guter Zuhörer! Über den Wert des Zuhörens ist schon viel nachgedacht und geschrieben (z. B. Hofmann, 1995) worden. Dort wird die Frage gestellt: Lässt sich dieses Gesprächsverhalten lernen? Ich meine: Ja! Jeder, der will, kann ein guter Zuhörer werden. Die Kommunikation im Berufsalltag des Krankenpflegepersonals bedarf der professionellen Gesprächsführung. Nun haben sich seit vielen Jahren Wissenschaftler und Praktiker darum bemüht herauszuarbeiten, was die Grundlagen der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Psychologie der Gesprächsführung, sind. Diese Theorienentwicklung und Systematiken haben in ein Konzept Eingang gefunden, das sich unter „Gesprächspsychotherapie / klientenzentrierte Gesprächsführung” zusammenfassen lässt.

      Professionelle Gesprächsführung

      Das Gegenüber, der Mensch, der Partner, der Patient, der / die Mitarbeiter stehen dabei im Vordergrund. Als deren Partner / Zuhörer will ich mich bewähren und nicht als Experte, der vorschnelle Ratschläge gibt, wie hilfesuchende Personen ihr Leben oder auch ihr Sterben besser „in den Griff bekommen”. Denn der Schlüssel zur Problembewältigung liegt bei jedem selbst. Man kann ihn nur beraten, begleitend im helfenden Gespräch unterstützen. Die Bedeutung des Gesprächs in der zwischenmenschlichen Beziehung auf der Station ist allen, die dort arbeiten, bekannt. Der amerikanische Psychologe Carl Rogers hat die wissenschaftliche Gesprächsführung begründet. Nach einigen Jahren in der Praxis der Beratung und Psychotherapie hat er zusammen mit seinen Mitarbeitern eine Vielzahl von Tonbandprotokollen aus Beratungssituationen abgehört, analysiert und drei Variablen gefunden, die immer wieder auftauchten, wenn ein Gespräch gut verlief. Es sind die Elemente einer einfühlsamen Haltung:

       Was macht ein „gutes“ Gespräch aus?

      

Positive Wertschätzung

      

Einfühlung / Empathie

      

Verbalisierung der emotionalen