Gerda Graf

Im Dialog mit Sterbenden


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kommen vollständig (100 %, d. h. nur die schraffierte Fläche wird gesendet und nur die schraffierte Fläche kommt an) bei E an und nur diese, d. h., E interpretiert auch nichts hinein, sondern decodiert wertfrei, „ohne von sich aus etwas dazu zu tun” (z. B. Sinnentstellendes).

      Weitere erste Hinweise gibt das Kommunikationsmodell von Brommer (1994).

       Zwischenmenschliche Kommunikation braucht „Verständigung“

       Abb. 3: Kommunikationsmodell aus: Brommer (1994.S. 78)

       Was sind Axiome?

      Dieses Grundmodell der zwischenmenschlichen Kommunikation wird nun von Watzlawick, Beavin & Jackson (1969) in „pragmatische (d. h. verhaltensmäßige, beobachtbare) Axiome” (d. h. gültige Wahrheiten, die keiner Beweise bedürfen) überführt.

      Sie sind nicht im streng wissenschaftlichen Sinne beweisbar, sondern stellen die erfahrene Beschaffenheit der Kommunikation dar.

       1. Axiom

       Das grundlegende Axiom

      Man kann nicht nicht kommunizieren.

      Oder anders umschrieben: Man kann sich gar nicht nicht verhalten. Wir Menschen sind nun einmal soziale Wesen und wann immer wir auf unsere „Spezies” treffen, senden wir Signale – bewusst oder auch nicht. Wir teilen etwas mit, wenn wir auf jemanden zugehen und ein Gespräch beginnen, und wir tun es erst recht, wenn wir jemandem brüsk die kalte Schulter zeigen und ein Gespräch verweigern.

      Oder: Eine Stationsschwester eines Krankenhauses hat soeben ihren Frühdienst begonnen und noch keinen Laut von sich gegeben. Zwei Mitarbeiter, die ihr einzeln und unabhängig voneinander begegnet sind und (vermeintlich) keinerlei Kontakt mit ihr hatten, tauschen sich aus: „Sei bloß vorsichtig, die Öse (im Ruhrgebiet gleichzusetzen mit „Stationsleitung“) ist heute wieder ganz übel drauf…”

       2. Axiom

      Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.

       Kommunikation besteht immer aus Inhalts- und Beziehungsanteilen. Was aber ist wichtiger?

      Dieses Ergebnis der Kommunikationspsychologie ist für helfende, soziale Berufe von besonderer Bedeutung. Denn wenn Kommunikation (fast) nie nur den Austausch von Sachinformationen darstellt, muss ich der Beziehungsseite besondere Aufmerksamkeit widmen. Wenn die Beziehung zu den Kollegen / Kolleginnen auf der Station stimmt, werde ich im Alltag vieles hinnehmen, kompensieren, nicht übelnehmen. Ist dies nicht der Fall, kann das kleinste Ereignis eine Krise auslösen. Hier verliert der Inhalt völlig an Bedeutung. So kann z. B. unter dem Vorwand einer sachlichen Verkleidung ein Pflegefehler dokumentiert werden, in Wirklichkeit soll jedoch die ungeliebte Kollegin getroffen werden.

      Was für die kollegiale Ebene gilt, ist für den Umgang mit Patienten / Bewohnern/-innen ebenso evident:

      Will ich, dass der Patient mir vertraut, meinen Anordnungen Folge leistet, muss ich mich um den Aufbau einer guten Beziehung bemühen, und diese „Investition lohnt sich”, denn erst dann kann ich mich verstärkt auf den Inhalt (etwa die eigentliche Problembewältigung) konzentrieren.

       3. Axiom

      Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.

      Dieser Teufelskreis der Kommunikation hat folgendes Muster, an einem Beispiel verdeutlicht:

       Die Verwechslung von Ursache und Wirkung

      Sie – während eines Stadtbummels – zu ihm: „Du läufst ja viel zu schnell, da kann ja kein Mensch folgen!” Er: „Wenn du auch an jedem Geschäft stehen bleibst, kommen wir ja nie vom Fleck!”

      Jeder gibt dem anderen die Schuld; keiner hat Recht.

       Wer hat angefangen?

       Abb. 4: Teufelskreis der Kommunikation

      Wie lässt sich diese kreisförmige Kommunikation durchbrechen?

      Oder ein anderes Beispiel:

       Kausalität

      Eine Angehörige ist der Meinung, dass ihre Mutter im Altenheim nicht gut gepflegt wid. Die Altenpflegerin fühlt sich verletzt und argumentiert:

      „Wenn Ihre Mutter und auch Sie besser mitarbeiten würden, wäre das Ganze bei unserer Zeitknappheit nicht ständig ein Problem!” Wie lässt sich dieser Konflikt klären?

       4. Axiom:

       Digitaler und analoger Modus

      Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber die für eindeutige Kommunikationen erforderliche logische Syntax.

      Dieses Axiom klingt zugegebenermaßen etwas komplex, lässt sich aber leicht übersetzen:

      Komunikation hat sprachliche (= verbale) und nicht-sprachliche (= nonverbale ) Anteile, etwa Gestik, Mimik, Körpersprache.

       Kongruenz

      Passt beides nicht zusammen, ist sie „inkongruent”, vielleicht dominiert der nonverbale Anteil.

      Würden Sie einem Referenten im Rahmen einer Fortbildung glauben, der behauptet:

      „Ich freue mich sehr, bei Ihnen zu sein!” Gleichzeitig schaut er angewidert in die Runde und wirft einen nervösen Blick auf seine Uhr.

       5. Axiom

      Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht.

      Es kommt demnach also darauf an, wer mit wem spricht:

      Axiom 5 kann so umgesetzt werden:

      Es gibt symmetrische, d. h. partnerschaftliche, gleichberechtigte Kommunikationsabläufe (etwa zwischen zwei gleichgestellten Sachbearbeitern in einer Behörde, zwei gleichaltrigen Freunden einer Schulklasse) und solche, die komplementär erfolgen (etwa von „oben nach unten”: Nachricht von Vater / Mutter an Kind oder von Vorgesetzten an nachgeordneten Mitarbeiter).

       Wie stehen die Kommunikationspartner zueinander?

      Angenommen, jemand sagt:

      „Zieh die Jacke an; ohne Jacke kommst du hier nicht raus!”

      Dies erhält eine völlig andere Bedeutung in Abhängigkeit davon, wer diese Nachricht gesendet hat:

      • Vater zur 14-jährigen Tochter

      • Jugendlicher Fußballspieler zum Vereinskamerad

      • Stationsleitung zu PDL

      • Ein frisch verliebter Mann zu seiner Freundin (vielleicht mit dem Zusatz „Liebling”)

       Transfer in die Praxis

      Dass die Kenntnis dieser Axiome und natürlich ihre praktischen Umsetzungsmöglichkeiten (individuell und institutionell) sehr hilfreich sind, hat sich in der Praxis vielfach bewährt.

       2. Die Erweiterung des Grundmodells 1

       Der Erfolg eines Modells

      Friedemann