Gerda Graf

Im Dialog mit Sterbenden


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die uns Betroffene berichten, sehr einfühlsam und äußerst behutsam im Dialog umzugehen.3 Holen Sie den Betroffenen nicht notwendigerweise aus seiner Phantasiewelt und vermeiden Sie Illusionen zu korrigieren oder auch zu bestätigen. Sie können dem Betroffenen besser helfen, indem Sie in Ruhe herausfinden, welche möglichen Gefühle, verborgene Bedürfnisse u. a. seinen Wahrnehmungen als Basis dienen könnten. Wenn Sie diese einfühlsam in einem gemeinsamen Dialog mit dem Betroffenen zum Ausdruck bringen können, kann sich dieser angenommen fühlen und seine Wahrnehmungen werden sich auflösen, da ihnen die Basis fehlt.

       2. Wahrnehmen und Erkennen vom Symbolcharakter einer Rede

       Traumsymbole

      In der Symbolsprache ändert sich der Sprachausdruck und ähnelt in seiner Bildhaftigkeit der Poesie oder auch biblischen Gleichnissen. Oft enthalten diese Bilder uns bereits bekannte Symbole. Diese Vertrautheit mit der aus unserer kulturellen Erfahrung stammenden Symbolik kann uns helfen unsere Gefühle zu akzeptieren.4 „In den Traumsymbolen sind Erfahrungen von Generationen kondensiert. Nicht von ungefähr ist die Sprache der Träume mit der Sprache von Mythen und Märchen verwandt, in deren Symbolsprache die Lebenserfahrungen von Generationen eingefangen sind“ (Lückel 1994: 86). Die Inhalte der Bilder sind beispielsweise Themen wie Furcht, Einsamkeit, Ohnmacht, Hoffnung, Zweifel, Glaube, Ahnung und Ungewissheit.

       Definition Träume

      Träume sind verdichtete Emotionen und Erfahrungen, die in einer bildreichen Sprache sich uns mitteilen. Mithilfe von Träumen finden wir einen Weg, unsere Kreativität auszudrücken, und mit ihrer Hilfe versuchen wir z. B. Erlebtes und Konflikte zu gestalten, Wünsche und Nicht-Erlebbares zu leben. Träume geben uns die Möglichkeit, schöpferisch zu handeln, Lösungen in Konflikten und Problemen zu finden. Gerade in Situationen des Lebens, wo der Mensch an der Schwelle von einer Lebensphase in eine andere steht (bzw. vom Leben in den Tod), nimmt er in seinen Träumen oft einen anderen Akteur wahr, der für ihn die Problemlösung erlebt. Mit viel schöpferischer Kraft erlaubt uns dieses traumhafte Rollenspiel Lösungsentwürfe durchzuspielen, bevor wir die passenden für unser eigenes Leben annehmen können. Dies kann v. a. dann besonders hilfreich sein, wenn der Mensch, wie in der Sterbephase häufig, so genannte unerledigte Lebenssituationen noch einmal durchlebt.

       Wahrnehmungen

      Die Wahrnehmungen in Träumen oder Halluzinationen können für den Betroffenen aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt werden, wie z. B. auch der Vogelperspektive, im veränderten Tempo (z. B. Zeitraffer, Slow-Motion), oder der Betroffene spürt beispielsweise, wie er seine alten Kräfte wiedererlangt. So erzählte beispielsweise eine Patientin, die seit vielen Jahren an einer schweren chronischen Erkrankung litt und nur mehr eine eingeschränkte Motorik besaß, dass sie in ihren Träumen nicht nur wieder wie früher Ski fahren könne, sondern auch in ihren Träumen erstmals Sportarten ausüben könne, welche sie in der Realität nie ausprobiert hatte. Ein anderer Patient, der aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr Auto fahren konnte, berichtete, dass er im Traum ab und zu wieder Auto fahren würde, es ihn aber sehr anstrengen würde, da das Auto wie in einem Stummfilm sehr schnell und unharmonisch fahren würde.

       Individualität der Symbolsprache

      Jeder Mensch hat aufgrund seiner persönlichen Lebenserfahrung immer auch individuelle Träume und eine individuelle Symbolsprache. Und doch erleben wir in der Begleitung von Schwerkranken und v. a. von Sterbenden oft, dass bestimmte Bilder den Betroffenen erscheinen. Dies ist u. a. aus dem gemeinsamen Kulturkreis und seiner Symbolik erklärbar. Im Folgenden finden Sie eine kleine Auswahl von Bildern, denen Sie so oder in einer Variante v. a. in der Begleitung von Sterbenden begegnen können. Wichtig ist jedoch, dass wir daran denken, dass jedes Bild einen individuellen Sinngehalt besitzt, wir also nie sagen können: „Ach, das kenn‘ ich schon, ich weiß schon, worum es geht …“. Bleiben wir doch ruhig offen für das, was der Betroffene uns möglicherweise in einem vertraulichen Gespräch erzählen mag. Denn nur er wird die Symbolkraft des Bildes für sich entdecken können und uns vielleicht mitteilen.

       Sorge um die wirtschaftliche Absicherung

       Fallbeispiele – Sorge um die finanzielle Absicherung

      Ein älterer Patient drückt gegenüber einer Krankenschwester seine große Sorge aus, dass das Geld nicht reichen könnte. Er zählt das Geld nach und ist beruhigt, dass es noch vier Tage reichen wird. Vier Tage später stirbt er.

      Eine schwerkranke Patientin bittet entlassen zu werden, da sie Angst hat, dass der Klinikaufenthalt zu teuer wird. Ihre Nichte kann sie beruhigen, dass sie alles Finanzielle regeln wird.

      Ein 72-jähriger Patient macht sich große Sorgen, dass die Familie nach seinem Tod finanziell nicht ausreichend versorgt sein könnte. Er ist sehr unruhig und möchte wieder zur Arbeit gehen. Er studiert intensiv die Stellenanzeigen. Nach vielen unruhigen Tagen und Nächten wacht er nach einem ruhigen Mittagsschlaf nicht mehr auf.

      Ein älterer Patient möchte das Krankenhaus verlassen, weil er sich sorgt, dass die Rente nicht weiter bezahlt werden würde. Nach einer Nacht erzählt er beruhigt einer Krankenschwester, die Rente sei ihm ausbezahlt worden. Er stirbt am gleichen Abend.

      Weitere mögliche Bilder: Furcht, dass

      

der zurückbleibende Ehepartner sich nicht alleine versorgen kann,

      

das Geld von Angehörigen o. a. vom Sparbuch, Konto entwendet wird,

      

der Besitz veräußert wird oder

      

das Bargeld aus dem Schrank gestohlen wird.

      Die Schwierigkeit für den Begleiter besteht gerade auch bei diesen Bildern darin, zu unterscheiden: Hat die Rede einen Symbolcharakter oder besitzt sie einen handlungsnötigen Realitätsbezug? Es gilt, sich einfühlsam und vertraulich zu informieren und in keinem Fall einfach zu denken: „Ach, das ist ja doch nur so ein Symbol …“. Wenn Sie keine realen Gründe für die Äußerung des Betroffenen erkennen können, werden Sie hinter dem geäußerten Bild eine andere Not entdecken.

       Nach Hause zurückkehren

       Fallbeispiele – Heimkehr

      Eine 62-jährige Krebspatientin bittet die Krankenschwester beim Ordnen der Wäsche im Schrank zu helfen: Sie würde am Nachmittag die Klinik verlassen und nach Hause gehen. Die Krankenschwester ist irritiert und fragt die Stationsschwester, ob diese Patientin schon entlassen wird. Dies wird verneint. Die Schwester verspricht der Patientin später die Wäsche zu ordnen und setzt sich für ein ruhiges Gespräch zu ihr ans Bett. Die Patientin erzählt ihr, dass sie ihre Blumen und Pflanzen so vermisst. Gemeinsam mit der Krankenschwester hat sie ein schönes Gespräch über ihre Blumen und Pflanzen. Am Abend stirbt die Patientin.

      Eine alte Bewohnerin spricht seit drei Tagen sehr bestimmt davon, dass sie aus dem Pflegeheim gehen und nach Hause zurückkehren wird. Sie würde sich dort um ihre Familie und Tiere kümmern müssen. Jeden Morgen fragt sie die Pfleger, ob jetzt der Tag gekommen ist, wo sie heimkehren kann. Einige Tage später kehrt sie heim und ist ruhig gestorben.

      Das reale Zuhause kann sich im Bild wandeln zu einem so genannten übergeordneten Zuhause, wo man Geborgenheit und Erlösung findet, ganz und heil werden kann.

       Sich auf eine Reise vorbereiten

       Fallbeispiele – Reise

      Eine ambulant betreute ältere Patientin plant sehr vergnügt eine große Kreuzfahrt. Sie erzählt ihrem Mann, dass sie bereits übermorgen die Reise antreten wird und noch viel besorgen muss. Er könne ja später nachkommen, wenn es ihm jetzt zu schnell ginge. Sie schreibt eifrig kleine Merkzettel,